Forrester Forum 1997: Unternehmen müssen systematisch vorgehen

Strategien für das Internet-Business

28.11.1997

Forrester Research erwartet in Europa für das Jahr 2001 ein Online-Geschäftsvolumen in Höhe von 200 bis 220 Milliarden Dollar. Wer ein Stück von diesem Kuchen will, sollte den Einstieg ins Internet-Business zügig und systematisch vorantreiben, raten die Analysten.

Im Web ist der potentielle Käufer immer nur einen Mausklick vom Geschäftsabschluß entfernt - oder von der Konkurrenz. "Das Internet verändert unser Business-Modell in hohem Maße. Es ermöglicht Vorgänge, die in der physischen Welt unmöglich sind", so Terrel Jones, President von Sabre Interactive, dem Online-Sproß des amerikanischen Reisereservierungssystems Sabre. Ein erfolgreiches Web-Angebot muß den Besucher daher vom ersten Eindruck an, den die Homepage vermittelt, bis zur möglichen Bestellung über alle Aktionsebenen hinweg an sich binden.

"Wir müssen den durchschnittlichen Nutzer produktiv machen, ansonsten bleiben wir im Internet-Commerce-Kindergarten stecken", gibt Stan Dolberg, Director Software Strategies bei Forrester, die Marschrichtung vor. Heute erhalte der Anwender zu oft irrelevante Informationen. Er erfährt kaum Hilfestellung und gerät in eine Sackgasse, wenn er tatsächlich etwas bestellen möchte. Die Vorgänge sind ganz offensichtlich zu verschachtelt und ineffektiv.

Transactive Content verspricht Abhilfe durch die Integration von Inhalt (Content), Interaktion und Transaktion zu einem durchgängigen Handlungsablauf. Das dies bitter notwendig ist, bestätigte die Reaktion der Besucher des Forrester Forums auf die Frage, ob denn beispielsweise ihre Mutter in der Lage wäre, auf der eigenen Web-Site etwas zu kaufen. Ganze 42 Prozent der anwesenden Manager antworteten mit nein.

Nach dem Forrester-Modell kann ein kontinuierlicher Handlungsablauf durch vier Schritte vorbereitet werden, erläutert John McCarthy, Group Director Re- search. 1. Transparenz bei den angebotenen Inhalten. 2. Personalisierung. 3. Anpassung der Transaktions-Umgebung. 4. Neubewertung von Organisationsstrukturen.

Zunächst einmal muß eine inhaltliche Bestandsaufnahme erfolgen, die Ordnung in den Informationsdschungel bringt. Dazu dient ein Katalog auf Basis einer Datenbank, die alle Elemente der Web-Seiten beschreibt. Vorteile: Informationen können schnell gefunden werden, Integration und Kontrolle werden ebenso ermöglicht wie die kundenspezifische Anpassung des Angebots. Mit dem Aufbau eines solchen Kataloges sollte so schnell wie möglich begonnen werden, da die Anlaufkosten mit jedem Jahr der Verzögerung spürbar anstiegen, so McCarthy.

Mehrkosten entstehen vor allem durch das planlose Anwachsen des Inhalts und den damit verbundenen erhöhten Sortieraufwand.

Die Katalogerstellung für etwa 15000 Seiten koste bei einem Start im Jahr 1998 zirka 960000 Dollar. Beginnt der Aufbau nur ein Jahr später, sei bereits mit 1440000 Dollar zu rechnen.

Der finanzielle Aufwand erscheint auf den ersten Blick sehr hoch, macht sich aber durch minimale laufende Kosten in den Folgejahren bei immensem Gewinn an Inhaltskontrolle schnell bezahlt.

Erst ein strukturierter und sortierbarer Inhaltskatalog ermöglicht dem Anbieter eine individuelle Interaktion mit dem Kunden - dem zweiten Baustein des Forrester-Modells. Die Erfahrungen aus einer Kontaktaufnahme sollten gesammelt und für weitere Besuche auf der Web-Site genutzt werden. Ein Besucher erhält dann gezielt die Informationen, die für sein Anliegen relevant sind. Bleiben am Ende noch Fragen offen, empfiehlt Forrester, dem Interessenten die Entscheidungsfindung durch direkte Kontaktaufnahme per E-Mail, Call-Center oder, am besten, Live-Chats zu erleichtern.

Wichtig ist dabei vor allem Vertraulichkeit. Der Anwender muß sicher sein, daß nur diejenigen persönlichen Daten vom Gegenüber verwendet werden, die er freiwillig weitergegeben hat. Unternehmen wiederum brauchen laut McCarthy Standards zur Erstellung von allgemein verwendbaren Benutzerprofilen über das Internet. Er sieht hier vor allen Dingen den von Netscape und Firefly entwickelten Open Profiling Standard (OPS).

Sind Content und Interaktion entsprechend vorbereitet, so muß in einem dritten Schritt die technische Grundlage für eine flüssige Weiterverarbeitung von Kundendaten geschaffen werden. Grundlage ist hier die Überblendung separater Transaktionsprozesse. Die Anfrage eines Interessenten wird heute oft in abgeschlossenen Arbeitseinheiten wie Bestellungseingang, Zugriffsverwaltung, Statuskontrolle und Bestandsaufnahme zwischen Front-ends und Internet-Commerce-Back-end eines Unternehmens abgewickelt. Forrester-Mann McCarthy erwartet in den kommenden Jahren die Integration einzelner Transaktionsprozesse mittels Applikations-Servern und Komponentenplattformen. Letztere könnten als Zwischenlösung einzelne Prozesse wie Order-Eingang und Benutzerverwaltung zusammenführen und in einer einzigen Transaktion an das Back-end weitergeben. Komponentenplattformen als Endstufe sind schließlich in der Lage, sämtliche Anfragedaten zu verwalten und den Übertragungsaufwand zur E-Commerce-Anwendung zu verringern.

Die Umsetzung des Transac- tive-Content-Modells erfordert ein Umdenken auch im organisatorischen Bereich. Ein Web-Auftritt sollte nicht länger als Geheimprojekt behandelt werden, sondern als Unternehmensziel klar definiert sein. McCarthy schlägt die Begründung formaler Internet-Allianzen innerhalb des Unternehmens vor. Eine Position, die auch Dell-Chairman Michael Dell ausdrücklich unterstützt. Wolle man den Erfolg eines Internet-Projekts, so müßten sämtliche Entscheidungsträger beteiligt werden. Er weiß, wovon er spricht. Die Dell Computer Corp. macht inzwischen täglich drei Millionen Dollar Umsatz allein über ihre Web-Site. Dell gab dem Publikum einen weiteren Rat mit auf den Weg: "Testen Sie Ihr Angebot anhand von Prototypen mit ausgewählten Nutzergruppen." Der PC-Hersteller entwickelt beispielsweise eigene Front-ends und überprüft deren Praktikabilität zunächst innerhalb der eigenen Mitarbeiterschaft.

Mahnende Worte schrieb Waverly Deutsch, Director Computing Strategies bei Forrester, auch den IT-Abteilungen ins Stammbuch. Sie sollten mit den endlosen Updates des Betriebssystems aufhören und ihre Infrastruktur konsequent auf die neuen Anforderungen des Internets ausrichten. "Das Internet vollzieht eine Wandlung von der Kuriosität zum Kern der IT-Strategie", pflichtet ihr Kim Polese, CEO von Push-Anbieter Marimba Inc., bei. Transactive Content erfordert laut Deutsch den flexiblen Zugriff auf sogenannte Metadaten über die Integration von Transaktions- mit Interaktions- und Content-Servern. In Verbindung mit dem Anwender-Front-end wird so eine Aktionsplattform geschaffen, die alle erforderlichen Prozesse einer Geschäftsbeziehung in einem kontinuierlichen Handlungsablauf abwickelt.

Geografisch eingeschränkte Netze wie LANs, VANs und WANs können dieses Zusammenspiel nach Ansicht von Deutsch nicht leisten. Sie sind zu festgelegt auf bestimmte Vorgänge, die Datenübertragung ist zu undifferenziert und die Administration zu arbeitsintensiv. Sie schlägt eine Migration in zielgruppendefinierte Netze wie Intranets, Extranets und das Internet sowie schließlich die Schaffung von "Active Networks" vor. In einem Active Network können Nutzer und Inhalte identifiziert, Vorgänge priorisiert und so die Übertragung optimiert werden.

Mit Hilfe von Transactive Content können Unternehmen das Internet als vierten Vertriebskanal neben dem persönlichen Kontakt sowie der schriftlichen und telefonischen Ansprache etablieren. Forrester-Stratege Russ Maney machte allerdings deutlich, daß sämtliche Kanäle miteinander harmonisieren müssen. Ansonsten könne es zu Widerständen des Verkaufspersonals und zu Verwirrung auf Verbraucherseite kommen.

Welche Chancen eine Harmonisierung der verschiedenen Vertriebskanäle dagegen bietet, verdeutlicht das Beispiel der amerikanischen Buchhandelskette Barnes & Nobles. Deren flächendeckendes Netz an Buchhandlungen verleiht ihr einen enormen strategischen Vorteil gegenüber der rein virtuellen Buchhandlung amazon.com. Bei guter Abstimmung zwischen Online-Bestellung und Auslieferung über den Händler vor Ort garantiert Barnes & Nobles seinen Kunden einen Zeitgewinn.

Gute Ansätze

Ein Blick auf die aktuelle Landkarte des Transactive Content zeigt, daß das Modell bisher noch von keinem Web-Anbieter vollständig umgesetzt wurde. Allerdings gibt es vielversprechende Ansätze. Forrester nennt beispielhaft folgende Web-Sites: www. dell.com und www.wellsfargo. com (Transactions); www. nytimes.com und www. hotwired.com (Content) sowie www.ivillage.com und www. theglobe.com (Interactivity). Eine gelungene Verbindung von Transaktionen und Inhalten stellen nach Ansicht von Forrester die Seiten www.amazon.com und www.cdnow.com dar, während www.sidewalk.com sowie www.bankamerica.com Inhalte gut mit Interaktion kombinieren.