Business-Process-Management/IT sitzt meist zwischen den Stühlen

Straffes Management für einheitliche Prozesse

20.08.2004

Konzern geht vor Marke - unter dieser Zielvorgabe versuchen immer mehr Firmen, Geschäftsprozesse zu vereinheitlichen und stärker am Kunden auszurichten. Das gilt insbesondere für Querschnittsprozesse wie die Personal- und Finanzverwaltung. Allzu häufig müssen sie jedoch vor der Wirklichkeit kapitulieren. So gleichen viele Unternehmen nach wie vor einer Vorortsiedlung: Jede Abteilung bildet ein Häuschen für sich, mit einem eigenen Vorgarten und einer dicken Mauer zum Nachbarn - sprich: individuellen, oft recht unterschiedlichen Prozessen mit entsprechender IT-Unterstützung.

Der wesentliche Grund für diese isolierten Prozesse ist das ausgeprägte Spartendenken in den über viele Jahre hinweg separat gewachsenen Geschäftsbereichen. Deren Leiter haben eine starke Position, und jeder möchte die Abläufe in seinem Umfeld nach den eigenen Interessen gestalten. Besonders ausgeprägt ist diese Mentalität in traditionsreichen Unternehmen. So stößt man beispielsweise in der Versicherungsbranche immer wieder auf Häuser, bei denen in jeder Sparte - Lebens-, Kranken-, Kfz- und andere Versicherungen - unterschiedliche Abläufe und Anwendungen für die fachliche Betreuung greifen. Auch die Querschnittsfunktionen sind jeweils anders gestaltet - von den Inhalten über das Oberflächendesign bis hin zu den Stammdaten. Teilweise wird sogar ein und derselbe Kunde in getrennten Datenbanken mehrmals verwaltet.

Ursache und Wirkung verwechselt

Nun ist es fast schon Usus, die IT - nach dem Motto "Gewachsene, nicht integrierte Anwendungen behindern das Zusammenführen übergreifender Geschäftsprozesse" - für diesen Zustand verantwortlich zu machen. Allerdings werden hier meist Ursache und Wirkung verwechselt. Oft ist der Grund für das Chaos auf der Business-Seite zu suchen: So erhält die IT von jedem Bereich andere, oft widersprüchliche, aus Sicht des Gesamtunternehmens eventuell sogar unsinnige Vorgaben und setzt die unkoordinierten Aufträge akkurat um.

Eines allerdings muss sich die IT zurechnen lassen: Sie zementiert damit mangelhafte Prozesse. Was sich über Jahre hinweg eingeschlichen hat, schreiben Anwendungen für viele weitere Jahre fest. Ist ein Projekt erst einmal abgeschlossen, lebt das Ergebnis in der Regel recht lang: Immerhin wurden hohe Investitionen getätigt, und Änderungen sind aufwändig. In den seltensten Fällen wird durch eine konsequente Rentabilitätsbetrachtung ermittelt, was im Endeffekt teurer ist: ein neues Projekt aufzusetzen oder die geschäftliche Effizienz Tag für Tag durch schlecht abgestimmte Abläufe zu beeinträchtigen.

Je mehr IT-Unterstützung ein Prozess erfordert, desto problematischer ist die Sachlage. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, empfiehlt es sich, sachverständige Dritte zur Beurteilung der divergierenden Anforderungen hinzuzuziehen. In den Fachbereichen selbst gibt es diese naturgemäß nicht. Die Stabsabteilungen wiederum sind meist mit anderen Aufgaben ausgelastet. Zudem wurden gerade sie im Zuge der Einsparungen der letzten Jahre personell stark ausgedünnt. Die Folge: Es fehlt eine Instanz, die die vielfältigen, oft widersprüchlichen Anforderungen koordiniert.

Die IT wäre durchaus geeignet, die Anforderungen, die ja letztendlich alle bei ihr zusammenlaufen, zu systematisieren und zu sinnvollen Geschäftsprozessen zusammenzuführen. Was ihr aber meist fehlt, ist das Fachwissen über die geschäftlichen Hintergründe, der Überblick und das politische Gewicht - Defizite, die ebenfalls vor dem Hintergrund der firmeninternen Machtverhältnisse zu sehen sind: Die Bereichsleiter haben ihre eigenen Fachleute herangezogen, die die Schnittstellen zwischen Business und Anwendungen definieren. Um möglichst viel Kompetenz in ihrem Einflussbereich zu behalten, betrachten sie die IT-Abteilung als rein ausführendes Organ. Diese übernimmt allenfalls eine "Utility"-Funktion - obwohl Umfragen belegen, dass das Topmanagement sie sich als "Enabler" wünscht, sprich: als Organisation, die sich an der Wertschöpfungskette orientiert und selbständig die Initiative ergreift. Auch hier klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander.

Wo sich die Katze in den Schwanz beißt

An dieser Stelle beißt sich die Katze in den Schwanz. Allzu oft entwickeln IT-Verantwortliche "pragmatische" Anforderungsprofile für ihre Mitarbeiter, die eine rein ausführende Rolle noch zementieren. Dadurch manifestiert sich wiederum das Denken in Fachbereichskategorien. Besonders ausgeprägt ist diese Mentalität in Unternehmen, die über einen langen Zeitraum unabhängige Fachbereiche unterhalten haben. Auch Zukäufe und Fusionen zwischen Firmen mit unterschiedlichen Kulturen fördern solche Denkmuster.

In vielen Unternehmen gibt es mittlerweile Gremien, die Anforderungen priorisieren und Projekte koordinieren. Doch auch hier wirken die beschriebenen Mechanismen: Der Fachbereichsegoismus dominiert, und wer die größte Macht hat, setzt sich durch. Die IT ist zwar vertreten, hat meist aber weder genügend Geschäfts-Know-how noch ausreichend Einfluss, um Prozesse zu vereinheitlichen. Methodische Defizite kommen erschwerend hinzu - so gibt es keine klaren Kriterien oder Regeln für die Projektpriorisierung, kein professionelles Anforderungs-Management. Zudem fehlt das analytische Instrumentarium: Prioritäten werden geändert, ohne deren Konsequenzen und wechselseitige Abhängigkeiten zu erkennen. Die Folge: Entscheidungen werden oft auf informellem Weg getroffen. Spartenverantwortliche, die bei der Projektpriorisierung zu kurz gekommen sind, nutzen persönliche Beziehungen zu einzelnen IT-Verantwortlichen, um ihre Forderungen auch ohne Zustimmung der Gremien durchzubringen.

Völlig unrentable Investitionen

Die eigentliche Organisation wird auf diese Weise ausgehebelt - und damit jeder Ansatz einer Projektsteuerung im Interesse sinnvoller Gesamtprozesse. Insbesondere überschaubare Vorhaben werden vielfach auf dem "kleinen Dienstweg" realisiert, was häufig widersprüchliche Einzelprozesse hervorbringt und im Ergebnis Chaos verursacht: So erhält etwa ein Kunde nach einem Wohnungswechsel plötzlich Briefe an unterschiedliche Anschriften, weil er in verschiedenen Datenbanken gepflegt wird und die Adressänderung nicht konsistent vorgenommen wurde - um ein noch relativ harmloses Beispiel zu nennen.

Aber in vielen Fällen kommt es erst gar nicht so weit. Viele IT-Projekte zur Unterstützung übergreifender Geschäftsprozesse überschreiten jeden Zeitrahmen oder scheitern, weil die Anforderungen nicht zusammengeführt werden können und die Kosten aus dem Ruder laufen. So werden letztendlich völlig unrentable Investitionen getätigt.

Auch hier ist es meist die Business-Seite, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat: Entweder es liegen keine Business-Pläne vor, oder die Folgekosten für Betrieb und Wartung wurden nicht ausreichend bedacht - ein schöner Return on Investment (RoI) lässt sich eben überzeugender versprechen und damit der Projektantrag durchsetzen, wenn man nur die Entwicklungskosten berechnet. Die zusätzlichen Betriebskosten werden "sozialisiert" und den Gemeinkosten zugeschlagen. Das ist aber nur deshalb möglich, weil es keinen Geschäftsprozess gibt, der eine umfassende Kostenbetrachtung vorschreibt - und auch, weil eine Instanz für das professionelle Anforderungs-Management fehlt.

Die Folgekosten explodieren

Häufig explodieren die Folgekosten des Betriebs, weil die Fachbereiche die IT-Produktion nicht einbeziehen. Sie wenden sich im Zuge der Projektplanung allenfalls an die Anwendungsentwicklung, weil sie dort noch am ehesten geschäftsrelevantes Prozessverständnis erwarten. Das Ergebnis: inkompatible Systeme und durch mangelhafte Koordination verursachte Mehrkosten. Existieren formale Prozesse, werden sie nicht selten einfach umgangen. Schreiben etwa Handbücher vor, dass die IT-Produktion bei neuen Projekten einzubeziehen ist, wird dagegen entschieden, weil es schnell gehen soll. Die typische Ausrede: "Es handelt sich ja nur um ein kleines Projekt - da wollen wir nicht zu viel Verwaltungsaufwand treiben."

Offenkundig werden Prozessdefizite auch bei der Auslagerung von IT-Leistungen. Plötzlich müssen die Fachbereiche ihre schlecht koordinierten Prozesse bezahlen, weil der externe Dienstleister Mehraufwand in Rechnung stellt, der vorher in den Gemeinkosten versteckt oder auf inoffiziellem Weg behoben wurde. So tauchen mit einem Mal Kosten auf, die vorher keiner sehen wollte. Die Unternehmensleitung sollte deshalb nicht erst reagieren, wenn sie bereits mit der Nase auf Fehlentwicklungen gestoßen wird, sondern schon im geschäftlichen Alltag gegensteuern und das Fachbereichsdenken unterbinden. Nur so hat ein übergreifendes Business-Process-Management eine Chance. Das erfordert eine Instanz, die das Prinzip "Konzern vor Marke" durchsetzt.

Der schnellste Weg zur Effizienz

Es gibt Beispiele im Markt, wo die IT die Rolle als unabhängiger und sachverständiger Vermittler bereits übernommen hat. So installiert die Technikabteilung etwa bei einem deutschen Rohstoffunternehmen nicht nur Anwendungen, sondern befasst sich auch mit dem Prozessdesign und fungiert dadurch als Brücke zwischen den Abteilungen. Bei Unternehmenszukäufen analysiert sie die Abläufe in den neuen Bereichen und implementiert SAP-Module, in denen Standardprozesse für die konzernweiten Querschnittsfunktionen realisiert sind. Sie hat im Prinzip eine Beraterfunktion, besitzt das nötige geschäftliche Fachwissen und nimmt ihre Rolle als "Enabler" wahr.

Dabei dürfte es sich allerdings um eine Ausnahme handeln. Mit einer solchen Funktion wären viele IT-Abteilungen heute aufgrund ihres einseitig gewachsenen Kompetenzprofils wohl überfordert. Daher ist ein professionelles Anforderungs-Management der schnellste Weg zu effizienten Geschäftsprozessen. Organisatorisch wird es sinnvollerweise in Form von sowohl in Fachbereichen als auch der IT verankerten Stabsfunktionen realisiert (siehe Kasten "Anforderungs-Management"). Deren wichtigste Aufgabe ist es, Forderungen der Fachbereiche aufzunehmen, sie zu priorisieren, in übergreifenden Geschäftsprozessen zu systematisieren und über die IT-Umsetzung bis zur Abnahme der Anwendungen durch den Fachbereich zu begleiten.

Wesentlich für die Gestaltung sinnvoller Geschäftsprozesse ist darüber hinaus eine klare verursacher- und aufwandsgerechte Kostenzuweisung. Ein allgemeines IT-Budget führt lediglich dazu, dass jede Sparte einen möglichst großen Anteil ergattern möchte. Deshalb sollte der Fachbereich, der den Auftrag vergibt, nicht nur die budgetierten, sondern die tatsächlichen Kosten tragen. Das sorgt für Disziplin in den Sparten - und damit für eine Verbesserung des Gesamtunternehmens. (kf)

*Dr. Ralph Köppen ist Managing Consultant bei der Compass Deutschland GmbH in Wiesbaden.

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- warum in vielen deutschen Unternehmen das Business-Process-Management noch immer am Fachbereichsegoismus scheitert;

- warum die IT ihre rein ausführende Funktion überwinden und auch die Rolle des "Enablers" wahrnehmen muss;

- wie Firmenlenker mit einem in der IT und in den Fachabteilungen verankerten Anforderungs-Management-Gremium den Weg zu effizienten Querschnittsprozessen ebnen.

Anforderungs-Management

Voraussetzung für strukturierte, effiziente Geschäftsprozesse ist ein professionelles Anforderungs-Management. Es muss sowohl in der IT als auch in den Fachbereichen verankert sein. Ein paritätisch besetztes "Project Board", das eine unternehmerische Gesamtsicht auf die Projektlandschaft hat, übernimmt die Multiprojektsteuerung. Dieses Gremium registriert alle Anforderungen und gleicht die Projektanträge mit der Unternehmensstrategie ab. Nach einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung werden die Projekte anhand definierter Kriterien priorisiert und koordiniert, ebenso die Einzelbudgets. Ein übergreifendes Gesamtberichtswesen überprüft, ob die Umsetzung mit den unternehmensweiten strategischen Zielen übereinstimmt. Weitere Aufgaben sind die Koordination des übergreifenden Change- und Problem-Managements sowie die mittelfristige Planung.

In den Projekten selbst ist es wesentlich, die Verantwortung richtig zuzuordnen. So behält in den ersten Phasen - Anforderungsdefinition, Spezifikation und Grobentwurf - der Fachbereich das Sagen. Bei der Realisierung und Modultests geht die Verantwortung an die IT über, um für Integrations- und Abnahmetests wieder beim Fachbereich zu landen. Das ist in jedem Fall sinnvoller, als während des Gesamtprojekts zwei Verantwortliche parallel zu bestimmen, denn dann sind Konflikt und Scheitern nahezu programmiert.

Abb: Das große Ganze im Blick

Um unternehmensweite Prozesse abzubilden, ist ein professionelles Anforderungs-Management notwendig. Quelle: Compass Deutschland GmbH