Erstanwender nimmt sich drei verschiedene Partner:

Statt der DV läuft jetzt der Streit vor Gericht

25.03.1983

MÜNCHEN - Ein beinahe exemplarischer Streitfall in Sachen DV wird seit dem Winter letzten Jahres vor dem Landgericht I in München verhandelt. Es geht um die Frage, wer für den Zusammenbruch der von Erstanwender Sight & Sound Erste Gesellschaft für programmierte Lehrmethoden, München, georderten Individual- und Standardsoftware verantwortlich ist: die DRO Gesellschaft für Datenverarbeitung, Rationalisierung und Organisation, München, als Beratungsunternehmen, Hardwarelieferant Wang oder dessen Münchener Softwarepartner msg software gmbh.

Die gerichtlichen Auseinandersetzungen haben mittlerweile ein beträchtliches Ausmaß erreicht. Die DRO verklagte im Februar letzten Jahres Sight & Sound auf Zahlung der noch ausstehenden Forderung von rund 33 000 Mark für ihre Beratungsleistung: Sight & Sound konterte mit einer Klageerwiderung im April und verkündete Mitte Oktober 1982 auch der msg noch den Streit in diesem Fall. Wang verklagte Sight & Sound, um auf diesem Wege die restlichen 71 000 Mark für die gelieferte Hardware einzutreiben; Sight & Sound reichte Anfang Dezember 1982 eine Wiederklage ein, machte seinerseits Schadensersatzforderungen in Höhe von 550 000 Mark geltend und verkündete gleichzeitig wiederum der msg und der DRO den Streit.

Der Ausgangspunkt des gerichtlichen Clinchs liegt im März 1981. Erstanwender Sight & Sound plante zum 1. Januar 1982 die Einführung von DV im gesamten Unternehmen. Mangels eigener Kenntnisse und Erfahrungen schaltete man für die Projektabwicklung eine Beratungsgesellschaft ein - die DRO. Auf einen schriftlich fixierten Vertrag verzichteten die Geschäftspartner, da die Leistungen klar schienen. Benno Ott, Geschäftsführer der DRO: "Wir wurden beauftragt, Sight & Sound bei der Ausschreibung sowie der Auswahl der Hardware beziehungsweise der Software zu unterstützen. Mögliche weitere Aufgaben sollten aus der Entwicklung des Projekts entschieden werden. "

Die DRO holte zunächst mehrere Angebote für eine EDV-Anlage "zur Abwicklung kaufmännischer Abrechnungssysteme sowie zur Unterstützung der organisatorischen Abläufe" (Ausschreibungstext) ein. Die Abrechnungssysteme sollten neben der Standardsoftware (Finanzbuchhaltung und LuG-Programm) folgende individuelle Komponenten enthalten: Debitorenbuchhaltung für 6000 Kunden mit getrennter Kontenführung von Anzahlungen/Teilzahlungen bis zur Kursbeendigung, Stammdatenverwaltung mit detailliert aufgelisteten Anforderungen sowie ein Statistikprogramm.

Den Zuschlag erhielten schließlich Wang und deren Münchener Softwarepartner msg. Nach Erstellung des Pflichtenheftes im August brachte man die Verträge unter Dach und Fach. Die Installation der Hardware (eine Zentraleinheit 2200 MVP-16, zwei Bildschirme 2236 DE, ein Plattenlaufwerk 2280-3 mit Festplatte 67 MB und Wechselplatte 13,4 MB sowie ein Banddrucker 2273-1) im Gesamtwert von rund 150 000 Mark war für Ende Oktober terminiert. Da Wang den Aus- und Weiterbildungsmarkt für "sehr zukunftsträchtig" hielt, räumte man nach Angaben des Münchener Geschäftsstellenleiters Dr. Werner Ott der Sight & Sound einige Sonderkonditionen ein: Für die Installation der Hardware wurden keine Kosten berechnet und als Zahlungsziel 30 Tage netto oder zwei Prozent Skonto bei Zahlung innerhalb von acht Tagen vereinbart.

Darüber hinaus erklärte sich Wang bereit, in einer Zusatzvereinbarung zum Kaufvertrag "in der Projektabwicklung begleitend tätig zu sein". Für den Fall, daß es eine Verzögerung bei der Softwareerstellung geben sollte, war Sight & Sound außerdem berechtigt, "einen dem Stand der Programmierung angemessenen Lieferaufschub mit der Firma Wang zu vereinbaren". Die Lieferung der Hardware erfolgte am 20. Oktober 1981; zwei Tage später wurde die Standardsoftware implementiert.

Mit größeren Schwierigkeiten hatte die msg allerdings bei der Individualsoftware und vor allem bei der Schnittstelle von Standard- und Individualsoftware zu kämpfen. Ob in diesem Punkt das Pflichtenheft ungenau und damit die DRO verantwortlich war oder ob der msg ein Fehler bei der Programmierung unterlief, wird derzeit vor Gericht geprüft.

Problem bei der Individualsoftware

DRO-Geschäftsführer Benno Ott verweist auf den Vertrag zwischen msg und Sight & Sound, derzufolge die Detailanforderungen bei der Programmentwicklung von beiden Partnern erarbeitet werden sollten. Die DRO sei nach kurzer Einführungs- und Testphase ausdrücklich von der weiteren Beratung und Überwachung durch Sight & Sound entbunden worden. Da die damalige Leiterin der Buchhaltung bei Sight & Sound, die mit der Einführung der DV beauftragt gewesen sei, dies übernommen habe, sei die DRO hier ab September 1981 nicht mehr tätig geworden. msg-Chef Jörg Dreisow erklärt, daß anhand des Pflichtenheftes sein Auftrag klar gewesen sei. Er meint aber: "Die Schnittstellenproblematik wurde von der DRO mit Sicherheit unterschätzt. "

Erstanwender Sight & Sound wurde wegen des immer näherrückenden Einführungstermins der DV zusehends ärgerlicher und stellte die Zahlungen an die DRO vorerst zurück. Eine für Anfang November geplante Besprechung des Anwendungshandbuchs wurde abgesagt.

Vier Wochen später schienen jedoch alle Schwierigkeiten beseitigt. Die msg hatte die Individualsoftware fertiggestellt und bis auf die Statistikprogramme auch implementiert. Die DV-Projektleiterin bei Sight & Sound nahm die Software schriftlich ab. Um die Umstellung auf DV zum 1. Januar 1982 einhalten zu können, wurde allerdings entgegen den Warnungen der msg - so Dreisow - das gesamte Softwarepaket mit Echtdaten gefüttert, ohne vorher nochmals das Zusammenspiel von Standard- und Individualsoftware in Probeläufen zu testen.

Wenig später fand zwischen DRO und Sight & Sound der Nachholtermin in Sachen Anwendungshandbuch statt. Nach Angaben von DRO-Chef Ott präsentierte Sight & Sound-Geschäftsführer Frank Wiedemann mit Axel Marfels überraschend einen neuen DV-Projektleiter. Dieser habe sogleich dafür plädiert, weitere, noch nicht einmal von seiten seines Hauses definierte Aufgaben in das Anwendungshandbuch einzubeziehen. Die DRO lehnte ab und erklärte ihre Aufgabe mit der Vorlage des Handbuches für beendet.

Marfels selbst dagegen betont, daß er nur zusätzliche Ergänzungen im - noch nicht erstellten - Statistikprogramm sowie einige Modifikationen vorgeschlagen habe. Dies sei unbedingt notwendig gewesen, da in der Anwendung der bereits implementierten Programme "erkennbar unsinnige Programmabläufe waren, die zum Teil zu einer Doppelerfassung geführt haben".

Der endgültige Zusammenbruch

Die für die Programmierung zuständige msg verwies auf die nicht ausreichende Beschreibung im Pflichtenheft, zeigte sich aber bereit, gegen Bezahlung die auftretenden Schwierigkeiten zu beseitigen. Von Januar bis Mai 1982 bemühte sich das Softwarehaus, das gesamte DV-System zum Laufen zu bringen - allerdings ohne Erfolg. Sight & Sound mußte schließlich wieder auf die manuelle Bearbeitung aller Vorgänge zurückgreifen.

Gespräche zwischen allen Beteiligten zur Lösung des Problems führten zu keinem erkennbaren Ergebnis. Sight & Sound wirft seinen Geschäftspartnern vor, daß man sich nie um eine Belegung des Problems bemüht habe. Der Leiter der Münchener Wang-Dependance, Dr. Ott, der sich nach eigenem Bekunden als Moderator versuchte, meint dagegen in Übereinstimmung mit msg, Sight & Sound sei Schuld an der verfahrenen Situation, da das Unternehmen Anforderungen und Ansprechpartner in der wichtigsten Phase geändert habe. Die DRO hält das Verhalten von Sight & Sound für fragwürdig.

Aus den gegenseitigen Schuldzuweisungen und Vorwürfen müssen jetzt die Richter den tatsächlichen Sachverhalt herausschälen. Der letzte Stand der Dinge: Ein Sachverständiger wird herangezogen.

. . . auch eine Taktik

Publizistische Schützenhilfe mag in manchen Fällen wünschenswert sein und sogar der Klärung dienen. Ob es allerdings klug oder hilfreich ist, wenn bei noch nicht ausgestandenen gerichtlichen Streitigkeiten einer der Beteiligten sich der Hilfe der Presse zu versichern sucht, muß füglich bezweifelt werden.

Auf den Punkt gebracht, bleibt der vorliegende Fall dennoch exemplarisch und verdeutlicht das Dilemma eines Erstanwenders, der bar jeglicher Erfahrung mit der DV ist. Er steht sozusagen als "Weltkind in der Mitten" zwischen Beratungsunternehmen, Hardwarelieferant und Softwarehaus und fühlt sich am Ende als der Gebeutelte, hilflos und alleingelassen. Da es aber den "pflegeleichten" Kunden und Anwender (noch) nicht gibt, werden Verwicklungen, wie hier geschildert, wohl weiterhin bei den Gerichten an der Tagesordnung sein. Offenbar kann man auch auf diese Weise die Einführung neuer Technologien in den Unternehmen verzögern. cmd