Starthilfe für Voice over IP?

26.10.2004
Die Vormachtstellung der Deutschen Telekom bei DSL-Breitbandanschlüssen gefährdet den noch jungen Markt für Voice over IP. In der Branche wird deshalb der Ruf nach Regulierung laut.

Matthias Kurth, Chef der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP), staunte nicht schlecht, als kürzlich Hunderte von Besuchern die Türen der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn einrannten. Dabei hatte er dort weder zu einem Staatsempfang noch zu einer Vernissage geladen, sondern schlicht zu einer Anhörung, ob und wie Voice over IP (VoIP) reguliert werden soll.

Der Ansturm zeigt jedoch, wie sehr das Thema den Wettbewerbern im deutschen TK-Markt auf den Nägeln brennt. "Jetzt kommt es darauf an, mit klaren Regeln wie in der klassischen Sprachtelefonie dafür zu sorgen, dass sich im VoIP-Geschäft ein innovativer Wettbewerb entwickeln kann und kein neues Monopol entsteht", fordert Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Verbands der TK- und Mehrwertdiensteanbieter (VATM), die Reg TP im Namen der Telekom-Konkurrenten zur Wachsamkeit auf.

Rufnummerngasse für VoIP

Die Zeit drängt. Das weiß auch Kurth. In Deutschland beginnt sich nämlich bereits ein VoIP-Markt zu entwickeln. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Diamond Cluster sollen Ende 2004 schon 200000 Privatkunden über das Internet telefonieren, Ende 2005 wird mit einer Million gerechnet. Utopisch ist diese Prognose nicht, denn mit Freenet, Web.de, Indigo Networks, QSC oder Econo vermarkten die ersten Anbieter schon VoIP-Services. Diese Provider haben Kurth bereits in die Bredouille gebracht, als sie ihren Teilnehmern unabhängig vom Wohnort Ortsnetzrufnummern zuwiesen. Kurth untersagte ihnen daraufhin die Vergabe von Rufnummern ohne lokalen Bezug, kündigte bei dem Hearing aber die Schaffung einer nationalen Rufnummerngasse "032" für VoIP an.

Das Beispiel der Rufnummern macht deutlich, dass eine Regulierung von VoIP wohl unvermeidlich ist. Staatliche Lenkungsmaßnahmen für die Anbieter hätten dabei Einfluss sowohl auf die VoIP-Angebote für Privat- und Geschäftskunden als auch auf die Carrier. Im Consumer-Bereich gilt VoIP als Ersatz für die Festnetztelefonie. Experten gehen jedoch nicht von einer schnellen Ablösung der klassischen Sprachkommunikation aus, weil die Preisdifferenz zwischen VoIP und der traditionellen Telefonie zu gering ist.

Im Segment der Geschäftskunden würde sich ein Eingriff der Reg TP hingegen im Zugangsbereich auswirken. Hier könnten teure Standleitungen oder Virtual Private Networks durch andere Angebote, zum Beispiel Bitstream Access, ersetzt werden. Unbestritten ist, dass die Konvergenz von Sprache und Daten derzeit in Unternehmensnetzen am schnellsten voranschreitet. Immer mehr CIOs veranlassen die Umstellung der TK-Anlagen und Netze auf VoIP. Der Markt für IP-fähige Nebenstellenanlagen wuchs 2003 um 55 Prozent. Die Management-Beratung Mercer beziffert den Spareffekt durch den Wegfall des klassischen Telefonnetzes auf 30 Prozent.

Wie in den Unternehmen ist auch bei Netzbetreibern der Zug in Richtung Konvergenz von Sprache und Daten nicht mehr zu stoppen. Allerdings sitzen die Ex-Monopolisten wie die Deutsche Telekom oder France Télécom in einer Zwickmühle. Einerseits wollen sie ihre Vormachtstellung im klassischen Telefongeschäft beibehalten und zögern die Einführung von VoIP-Angeboten deshalb hinaus. Andererseits sind auch sie aus Kostengründen daran interessiert, künftig nur noch paketvermittelnde IP-Infrastrukturen vorzuhalten und die leitungsvermittelnden Netze abzulösen.

Die klassischen Carrier tun sich mit VoIP aber auch schwer, weil sie bei IP-basierenden Netzen einen Teil der Wertschöpfung aus der Hand geben müssen. Während traditionelle Netze hierarchisch aufgebaut sind und die Intelligenz zentralisiert ist, kann bei IP-Infrastrukturen die Intelligenz dezentral verteilt werden.

"VoIP-Dienst, Breitbandanschluss, Zugang zum IP-Netz und IP-Transport können von verschiedenen Anbietern erbracht werden", wies auch Kurth in Bonn auf die Besonderheit des neuen Marktgefüges hin. Standort- und Netzunabhängigkeit seien kennzeichnend für die Bereitstellung von VoIP-Diensten, die der Kunde unabhängig vom festen DSL-Anschluss zu Hause und auch unterwegs nutzen kann.

Auf den ersten Blick verheißen die vielseitigen Markteintrittsoptionen, die sich für Anbieter aus der IP-Architektur ergeben, einen breiten Wettbewerb mit umfassendem Servicespektrum. Da die Nutzung von VoIP aus Qualitätsgründen aber an einen Breitbandanschluss gebunden ist, für den hierzulande momentan fast nur DSL in Frage kommt, fürchten zahlreiche Provider um eine faire Wettbewerbschance. Der Grund: Die Telekom verbucht zurzeit 86 Prozent der DSL-Anschlüsse auf sich und besitzt dadurch aus Sicht der Konkurrenten einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bei VoIP.

Hermann-Josef Piepenbrock, TK-Experte aus der Kanzlei Piepenbrock und Schuster in Düsseldorf, hält eine Regulierung deshalb für unerlässlich. Handlungsbedarf sieht der Jurist vor allem bei den Vorleistungsprodukten der Telekom sowie deren Marktmacht. "Die Reg TP muss sehr genau aufpassen, dass die Telekom den VoIP-Markt nicht monopolisiert, wie es mit DSL geschehen ist", warnt er.

Dass sich am Kundenzugang beziehungsweise den so genannten Vorleistungsprodukten der Telekom die Geister scheiden, weiß auch Chefregulierer Kurth. Seine Behörde hatte im Vorfeld des Hearings eine Umfrage unter den potenziellen Marktteilnehmern veranstaltet, um die Stimmung auszuloten. Dabei waren sich die Unternehmen weitgehend darin einig, auf VoIP die Regeln der leitungsvermittelten Sprache anzuwenden. Anstoß erregt jedoch die derzeit bestehende Zwangskopplung von DSL- und Telefonanschluss bei der Telekom.

Die Wettbewerber der Telekom können Teilnehmer im Ortsnetz nur durch eigene Infrastruktur oder die Vorleistungsprodukte "Teilnehmeranschlussleitung" (TAL) und "Line Sharing" erreichen (siehe Glossar). Da die wenigsten über eigene Ortsnetze verfügen, bleiben nur die TAL oder Line Sharing. Mit beiden Produkten ist jedoch keine qualitative Unterscheidung vom Angebot der Telekom möglich, weshalb der Ruf nach Bitstream Access immer lauter wird. Bei dieser Vorleistung müsste der Bonner Carrier als marktbeherrschendes Unternehmen den Wettbewerbern einen DSL-Zugang zum Kunden ohne Zwangskopplung mit einem Telefonanschluss anbieten.

Wunsch nach Stand-alone-DSL

Die Reg TP will nun, so Kurth, prüfen, ob ein "Stand-alone-DSL-Bitstromzugang" anzuordnen ist oder nicht. Hoffnungen der Wettbewerber auf eine möglichst billige, neue Vorleistungsvariante erteilte er jedoch einen Dämpfer. "Es ist eine Fehleinschätzung, dass die Kosten für den Telefonanschluss bei der Entbündelung vollständig wegfallen", sagte Kurth und will damit die Investitionen von Anbietern schützen, die in eigene Infrastruktur investieren.

Bei den Marktteilnehmern stößt die Haltung Kurths auf geteiltes Echo. Sie monieren, dass die Prüfung, ob Bitstream Access eingeführt werden soll, zu lange dauert und die Entwicklung des Marktes behindert. "Wir dürfen nicht Auslaufmodelle wie die Bündelung von Telefonanschluss und DSL aufrechterhalten, um bestehende Strukturen zu schützen", kritisierte der Vorstandsvorsitzende der Freenet AG, Eckard Spoerr.