Frankreich entdeckt Qualitäten im eigenen Land:

Standardsoftware dominiert in Paris

16.06.1983

PARIS - "Hat Frankreich den Kampf um die Standardsoftware verloren?" - so fragen die Präsidenten des Dachverbandes Syntec-Informatique, Michel Bossard und Jean-Francois Dubourg, gleich im ersten Satz eines neu erschienenen Informationsbriefes dieser DV-Gruppe im Syntec, dem Verband französischer Hochschulabsolventen. Die momentane Situation gibt offenbar berechtigten Anlaß zu einer derartigen Fragestellung. Deshalb fand auch die erste Fachausstellung für Standardsoftware in Frankreich, die "Progiciel '83" im Pariser Konferenzzentrum Concorde LaFayette viel Beachtung (siehe auch CW Nr. 24/83, Seite 4). Daneben rückten die Afcet-Bureautique und die Frühjahrskonferenz "Printemps Convention" etwas in den Hintergrund, fanden aber auch ihre Besucher.

Zahlen belegen, daß eine Fachveranstaltung zum Thema Standardsoftware auf französischem Boden zur rechten Zeit gekommen ist. So betrug im vergangenen Jahr der Anteil der Datenbankprodukte ausländischer Hersteller 62 Prozent vom Jahresgesamtvolumen, bei Tools lag der ausländische Anteil bei 59 Prozent und bei Anwendungspaketen bei 31 Punkten von Hundert.

Auf welch großes Interesse dieser Markt in Frankreich stößt, läßt sich an der Zahl der Aussteller erkennen: 170 Unternehmen belegten die gesamte erste Etage des Kongreßzentrums.

Alles, was Rang und Namen nicht nur in Frankreich hat, war vertreten. Die Qual der Wahl allerdings hatte wieder der Besucher, der sich für ein bestimmtes Paket entscheiden wollte. Über 1200 Produkte waren gemeldet.

Mit einer kleinen Sensation wartete deshalb die CXP, ein Informationszentrum für Standardsoftware-Anwender, auf. Erstmals präsentierte das Unternehmen eine Datenbank mit fast 3000 Standardpaketen (entspricht in etwa dem aktuellen Stand in Frankreich) auf Videotex. Auswahlkriterien waren Funktion, Einsatzbereich, Hardware, Entwicklungssystem und Hersteller. Daneben bot die CXP an 18 Terminals einen Katalog der ausgestellten Produkte an.

Mikros umlagert

Den noch etwas skeptischen Besuchern präsentierten die Aussteller zum größten Teil kommerzielle Produkte aus Administration und Rechnungswesen. Die Skepsis übrigens begründet sich nach Auskunft französischer Kollegen in der Mentalität der Anwender, die immer noch eigene Lösungen bevorzugen, Lediglich bei hochpreisigen, umfassenden Standardpaketen, wie sie von IBM, NCR, Sligos und anderen angeboten wurden, scheint sich diese Individualitätsschwelle zugunsten der Standardlösungen - mit geringeren Kosten gegenüber den Individuallösungen - abzubauen.

Sensationen gab es dennoch in diesem Bereich nicht.

Gedrängelt haben sich die Besucher an den Ständen, die Standardsoftware für Mikros anboten - auch in Frankreich ist hier ein eindeutiger Boom erkennbar. Besondere Beachtung fanden Produkte wie Micro-Modeller, ein Finanzpaket der Intelligence Limited für Apple und Sirius, CalcResult, ein Planungshilfsmittel für Commodore, ein C-Compiler (C86), ein französischsprachiges Textverarbeitungspaket mit dem Namen "Volkswriter" und natürlich Software für den IBM-PC. Als gängige Betriebssysteme erweisen sich auch bei unserem Nachbarn CP/M, MS-DOS, PC-DOS und CP/M-86. Aber auch Unix scheint seinen Siegeszug fortzusetzen. Besondere Rücksicht nahmen die Veranstalter auf dieses Thema bei der Auswahl der Konferenzvorträge und Diskussionsbeiträge während der gleichzeitig stattfindenden Printemps Convention.

Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen bei der Entwicklung von Standardsoftware, Marktkennzahlen und praktische Hilfen zum Vertrieb der Produkte standen auf dem Programm. Eine Parallelität zum deutschen Markt macht wohl auch den Franzosen zu schaffen: Software-Piraterie. Auch hierzu gab es eine gut besuchte Veranstaltung.

Das Leitthema der Konferenz hieß: Produktivität und Datenverarbeitung, Grundlage für ein dynamisches Unternehmen. An diesem schon fast traditionell zu- nennenden Treffen nahmen rund 3500 Profis und Anwender teil. Der Kongreß mit seinen 59 Veranstaltungen präsentierte sich in leicht abgewandelter Form. Neben dem erwähnten Part über Probleme der Softwareerstellung lösten die Veranstalter das Gebiet der Mikro-Informatik aus den allgemeinen Vorträgen heraus. Damit sollte dem beobachteten Trend dieses jungen DV-Bereiches Rechnung getragen werden.

Man gab sich international

Neu auch eine Session über Marktdaten und Analysen. Diese Session berücksichtigte insbesondere neue Technologien und ihre Chancen, so Teletex, Videotex oder auch die Telekopie. Ein Beitrag des Bifoa von der Universität Köln gab den Zuhörern einen Überblick über die bundesdeutsche Bilanz dieser Sektoren.

Die Internationalität des Marktes wurde ferner durch Daten über die Büroautomation aus den USA und Gesamteuropa unterstrichen.

Internationalität - ein Begriff, die Situation in Frankreich und die Bedürfnisse wiedergibt. Der Wunsch nach internationaler Zusammenarbeit kam auch auf den Randgesprächen dieser Messetage immer wieder deutlich zum Vorschein. Mit wem allerdings diese internationale Kooperation stattfinden solle, wurde auch in offiziellen Stellungnahmen nicht so recht deutlich. Die Traumpartner für den DV-Bereich lassen sich jedoch lokalisieren: die USA, Japan und - Deutschland.