Nur im operationalen Bereich ist Software von der Stange sinnvoll, denn:

Standardpakete verschaffen keine Wettbewerbsvortelle

08.09.1989

Wer heute noch sein Gehaltsabrechnungssystem selbst entwickelt, erfindet das Rad zum x-ten Mal. Bei den "Brot-und-Butter"-Anwendungen hat sich die sogenannte Standardsoftware längst durchgesetzt. in jedem größeren Anwenderbetrieb gibt es jedoch Applikationen, die als "strategisch" eingestuft werden: Marketing-orientierte Unternehmen nennen hier die Vertriebsunterstützung, Handelskonzerne die Warenwirtschaft,

Produktionsbetriebe die Fertigungssteuerung. Wer es sich leisten kann, entwikkelt seine Anwendungen in diesen wettbewerbsentscheidenden Bereichen selbst - auch wenn die

Do-it-yourself-Methode meist teurer zu stehen kommt als die Lizenzgebühr für die Software von der Stange. Letztlich zahlt sich ein maßgeschneidertes System aus, wenn man damit dem Mitbewerber um die entscheidende Nasenlänge vorauseilen kann.

Hans Niggemann, Leiter der Anwendungsentwicklung,Kaufhof Holding AG, Köln

Es gibt Systeme, die für eine Standardentwicklung nicht in Frage kommen. Dazu zähle ich solche Anwendungen, die unmittelbar den Teil des Geschäfts betreffen, der im Wettbewerb eine besondere Rolle spielt. Für uns ist das die Warenwirtschaft; sie bildet sozusagen die Kernanwendung, die auch innerhalb aller unserer Anwendungssysteme einen besonderen Stellenwert einnimmt. Das gilt sowohl für den Aufwand, den wir betreiben, als auch für die Bedeutung, die wir diesem System beimessen. Bei unseren Touristik-Aktivitäten ist hingegen das Buchungssystem ein Faktor, der den Wettbewerb entscheidend mitbestimmt.

Wenn es auf dem Markt Standardsysteme gäbe, die unseren Ansprüchen genügen, so würden wir möglicherweise dennoch selbst entwickeln. Wir wollen hier Oberhaupt kein Standardsystem haben, weil wir uns eben von anderen Unternehmen positiv abheben wollen.

Wir haben auch schon die Frage diskutiert, ob wir vielleicht gemeinsam mit einem Softwarehaus ein System entwickeln sollten, das dann vielleicht als Standardsoftware

vermarktet wird. Wir könnten dabei unser Know-how einbringen und an der entwickelten Software partizipieren. Doch damit würden wir auch unser Know-how nach außen tragen.

Ein anderer Gesichtspunkt ist der, daß wir bei einem System, das unsere Wettbewerbsfähigkeit mitbestimmt, unsere Einflußmöglichkeiten nicht aufgeben wollen. Wenn wir eine Änderung vornehmen möchten, dann dürfen wir nicht davon abhängig sein, daß ein Hersteller seine Standardsoftware ändert.

Sicher spielt auch eine Rolle, daß es in den wettbewerbsentscheidenden Sektoren einfach weniger Standardsoftware gibt - zumindest dann, wenn diese Software sehr gut mit den jeweiligen Anforderungen übereinstimmen muß. Denn natürlich wird ein Unternehmen da, wo Wettbewerbsvorteile eine Rolle spielen, am wenigsten bereit sein, sich einer Standardsoftware anzupassen. Bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung, ist man vielleicht eher bereit, die eigene Organisation zu ändern, weil darin niemand etwas Wettbewerbsentscheidendes sieht. Auf den Gebieten, denen eine Kernbedeutung zukommt, wird man das sicher nicht tun.

Zweifellos existiert hier ein Regelkreis: Es gibt keine Nachfrage, also auch keine ausgefeilten Programme; und weil die angebotene Software höheren Ansprüchen nicht genügt, ruft sie auch keine Nachfrage hervor. Allerdings ist zu beobachten, daß auch auf diesen bisher noch unbearbeiteten Sektoren nach und nach Standardsoftware angeboten wird. Das gilt für die Warenwirtschaftssysteme und für Buchungssysteme.

Diese Software ist jedoch immer zugeschnitten auf kleinere Unternehmen, die sich eine aufwendige Eigenentwicklung nicht leisten können und vor der Frage stehen: Standardsystem oder gar kein System? Diese Frage dürfte sich heute jedoch Oberhaupt nicht mehr stellen. Also müssen sich diese Unternehmen eben auf andere, Art und Weise profilieren - zumal für einen kleineren Betrieb die Profilierungsmöglichkeiten über DV-Systeme ohnehin nur bedingt gegeben sind.

Jan Ellerbroek, Leiter der Anwendungsentwicklung, Colonia, Versicherungsgruppe, Köln

Seit 1974 arbeiten wir mit einer IMS-Umgebung, und innerhalb dieser Umgebung haben wir 95 Prozent unserer Anwendungssoftware selbst entwickelt. Die weit verbreiteten Standardpakete, beispielsweise die SAP-Produkte oder das Personalabrechnungssystem Paisy, setzen wir überhaupt nicht ein. Lediglich für die Anlagenbuchhaltung nutzen wir eine Fremdentwicklung.

In der gesamten Versicherungswirtschaft wird wenig fertige Software gekauft. Die Softwareindustrie hat für unsere Branche allerdings auch nicht viel anzubieten. Uns sind nur zwei Entwicklungen bekannt: Einmal vertreibt das amerikanische Softwarehaus "Police Management Systems" (PMS) standardisierte Applikationen. Zum anderen arbeitet die IBM in Belgien an einer "Integrated Insurance Application"; doch stellt dieses Anwendungssystem lediglich einen Rahmen für eigene Entwicklungen der Anwender dar.

Möglicherweise wird jeder Versuch, ein Standardpaket für Versicherungen zu entwickeln, auf ein solches Rahmenpaket hinauslaufen, in das dann eigene Entwicklungen eingepaßt werden müssen. Zwar könnte die Fertigsoftware in einigen Bereichen durchaus sinnvon eingesetzt werden. Aber dort, wo die Applikationen strategische Bedeutung für das Unternehmen bekommen, reicht ein Standard nicht aus. Wenn die Software über Erfolg und Mißerfolg am Markt entscheidet, ist eine individuelle Entwicklung gefordert.

Eine solche strategische Anwendung ist in unserem Unternehmen die Vertriebsunterstützung. Wir statten beispielsweise unsere Außerdienstmitarbeiter mit PCs aus, damit sie ihre Kunden schneller und besser betreuen können. Das vermittlerorieritierte Softwaresystem, das bei diesen Kundengesprächen eingesetzt wird, haben wir selbst entwickelt. Hier räume ich einem Standardpaket auch keine allzu großen Marktchancen ein.

Wir würden es sicher nicht besonders gern sehen, wenn unser Mitbewerber über dasselbe System zur Vertriebsunterstützung verfügen könnte, wie wir. Denn selbstverständlich wollen wir unsere Vermittler besser unterstützen, als andere Unternehmen das können. Aus diesem Grund glaube ich einfach nicht, daß man diesen Bereich standardisieren kann oder soll.

Uwe Dubbert, EDV-Leiter mittlerer Betrieb aus dem Fertigungsbereich (Automobil-Zulieferindustrie)*

Standardsoftware setzen wir für Finanzbuchhaltung, Lohn, Kostenrechnung und Personalzeitwesen ein; und hier sind wir auch zufrieden damit. Es gibt allerdings Bereiche, wo wir der Meinung sind, daß auf dem Markt keine für uns brauchbare Standardsoftware angeboten wird. Dort entwickeln wir selbst.

Wir sind in dieser Beziehung ein gebranntes Kind. Vor längerer Zeit haben wir mit einem Softwarehaus, das Fertigungssoftware speziell für unsere Branche angeboten hat, einen Versuch gewagt. Das Resultat war ausgesprochen negativ; denn das Unternehmen mußte Konkurs anmelden, obwohl es bereits eine relativ große Kundenbasis hatte. Wenn man das einmal erlebt hat, wird man sicherlich sehr vorsichtig. Deshalb haben wir damals beschlossen, das im Haus vorhandene Anwendungs- und DV-Know-how zu nutzen und selbst zu entwickeln.

Schließlich wissen wir selbst am besten, wie eine für uns zugeschnittene Lösung beschaffen sein muß, denn wir haben den direkten Kontakt zu den Anwendern. Außerdem sind in unserer Branche derzeit Umschichtungen bezüglich der Anbindung an unsere Großkunden in vollem Gange; neben dem Kommunikationsstandard des Verbands der Automobilindustrie wird die Edifact-Norm eingeführt. Und das hat natürlich Auswirkungen auf unsere Anwendungen. Wenn ich daran denke, wie lange es dauern würde, unsere Anforderungspalette mit einer Standardsoftware zu realisieren, bin ich froh, daß wir uns zur Eigenentwicklung entschlossen haben

Im übrigen hätten wir bei einer Standardanwendung wenig Einfluß darauf, wie die Anwendung letztendlich aussehen würde. Für uns ist es aber notwendig, daß wir die derzeit aktuellen Vorgaben schnell und präzise mit unseren Kunden realisieren können. Darin liegt einer der Vorteile des selbstentwickelten Systems.

Darüber hinaus halten wir es für günstig, daß wir mit unserer Eigenentwicklung schrittweise in die jeweilige Anwendung einsteigen können. Je nachdem, welchen Organisationsgrad das Unternehmen erreicht hat, ist es möglich, DV-Systeme sukzessive einzuführen und ständig weiterzuentwickeln. Das hat sich in unserem Unternehmen als sehr positiv erwiesen. Bei den meisten Standardpaketen fehlen hier jedoch die Zwischenstufen.

Last but not least ist ein Standardpaket immer "Software von der Stange", wohingegen wir einen "Maßanzug" speziell für unseren Markt entwickelt haben. Damit können wir flexibel auf neue Anforderungen reagieren. Und das bedeutet mit Sicherheit einen Wettbewerbsvorteil. Aus heutiger Sicht kann ich sagen: Wäre das Experiment mit dem Softwarehersteller gut gelaufen, wären wir heute wohl nicht so weit, wie wir sind. Zumindest hat uns die Eigenentwicklung keinen Nachteil gebracht.

Kay Wefelnberg, Leiter der Systemanalyse für den Marketingbereich und die Kommunikationstechnik, Schwarz Pharma AG, Monheim

Unter dem Kostengesichtspunkt bedarf die Frage "Make or Buy" heutzutage kaum mehr einer intensiven Diskussion. In der Regel ist es günstiger, Standardsoftware einzusetzen, als Eigenentwicklung zu betreiben. Konsequenterweise nutzen wir seit 1974 Standardsoftware - damals das RF-Batch-System der SAP, heute die SAP-Komponenten Verkauf, Finanzbuchhaltung, Materialwirtschaft, Produktionsplanung und -steuerung, Kostenrechnung und Anlagenbuchhaltung. Die Einführung der Lagersteuerung und der Qualitätssicherung ist ebenfalls geplant.

Allerdings werden die eingesparten Entwicklungs- und Wartungskosten durch die Mietkosten und den erhöhten Betreuungsaufwand teilweise kompensiert. Außerdem besteht die Kehrseite der Medaille darin, daß man sich in Abhängigkeit (nicht nur) vom Lieferanten begibt. Das unbedingt benötigte neue Feature wird fast immer erst in der nächsten Version realisiert, welche aber die neue Betriebssystemversion voraussetzt; diese wiederum benötigt ein entsprechendes Mehr an Hardwareleistung.

Beim Einsatz von Standardsoftware wird der Kunde also freiwillig zum Gefangenen in einem Netz von Abhängigkeiten. Dieser Kreislauf ist - realistisch betrachtet - kaum zu unterbrechen. Welches Unternehmen kann es sich denn leisten, ein eingeführtes integriertes Softwarepaket durch ein anderes abzulösen?

Überdies ist es anscheinend nicht möglich, gänzlich auf Eigenentwicklung zu verzichten oder existierende Altsysteme durch gekaufte Software abzulösen. So gibt es um das SAP-System herum eine Reihe von Individualentwicklungen, da nicht alle Anforderungen mit den SAP-Standardmitteln realisierbar sind.

Bei uns fällt der größte Teil an Figenentwicklung für die Vertriebsunterstützung an. Da wir ein sehr stark Marketingorientiertes Unternehmen sind, wurden schon frühzeitig entsprechende Anforderungen an die Datenverarbeitung gestellt. So haben wir 1980 in Zusammenarbeit mit einer Unternehmensberatung Spezifikatioüen für ein Marketingsystem entwickelt, welches dann sukzessive bis 1986 realisiert wurde.

Ziel der Konzeption war es, ein DV-technisches Instrumentarium zu entwickeln, mit dem die in der Pharma-Industrie gängigen Marketing-Aktivitäten abgebildet und analysiert werden können. Dabei wurden unter anderem ein umfangreiches Berichtswesen für unseren Außendienst mit über 250 Mitarbeitern und ein ausgefeiltes Zielgruppenmanagement-

System entwickelt.

Ein zusätzliches Argument für die Eigenentwicklung war und ist die Tatsache, daß wir uns einen Wettbewerbsvorteil durch ein auf unser Haus zugeschnittenes Paket versprechen. Gerade in puncto Zielgruppenmanagement waren wir weiter als andere, auch wenn sich dieser Vorsprung derzeit verringert.

Jetzt steht uns der nächste Schritt bevor: Nachdem die Operativen Aufgaben größtenteils gelöst sind, arbeiten wir an der Entwicklung eines Marketinganalyse-Systems. War in der Vergangenheit hauptsächlich eine nachträgliche Erfolgskontrolle möglich, so wollen wir jetzt Planungsgrundlagen für künftige Marketingaktionen schaffen. Da die Marketing-Instrumente sowohl auf die entsprechende Branche als auch auf die in Frage kommenden Zielgruppen zugeschnitten sein müssen, ist ein hoher Spezialisierungsgrad des Pakets notwendig.

Auf dem Markt gibt es einige Anbieter, die mit ihren Systemen ähnliche Zielsetzungen verfolgen wie wir. Da aber der angebotene Funktionsumfang unsere Erwartungen zu wenig abdeckt oder die Akzeptanz aufgrund der angebotenen Oberfläche zu gering ist, werden wir zumindest Teilbereiche durch Eigenentwicklung realisieren müssen.

Das Verhältnis zwischen eigenentwickelter und gekaufter Software beträgt bei uns zur Zeit etwa 1 zu 2. Diese Relation wird sich künftig weiter zugunsten der gekauften Software verschieben, da das größtenteils auf PCs verfügbare - Programmangebot von Monat zu Monat wächst. Als Konsequenz dieses Trends verschiebt sich das Berufsbild der in der Datenverarbeitung tätigen Mitarbeiter. Der hochspezialisierte Programmier-Crack wird zwar noch benötigt, aber der kompetente Gesprächspartner mit fachbereichsspezifischem Wissen gewinnt zunehmend an Bedeutung.

*Name und Anschrift des Unternehrnens sind der Redaktion bekannt.