Mehr Chancen für SAP-Konkurrenten

Standard-SW: Vergleichbar dank einheitlicher BWL-Konvention

31.05.1996

Badings Team hat die von Standardsoftware abgedeckten betriebswirtschaftlichen Funktionen in ihre kleinsten Bestandteile, sogenannte "Prozeßbausteine" zerlegt, die er als als "genetischen Code der Betriebswirtschaft" beschreibt.

Dadurch könnte, so Bading, die Vormachtstellung von SAP bedroht werden, weil eine allgemeine Verwendung seiner Bausteine Standardpakete in einer Weise vergleichbar machen würde, die den Anwendern weit besser als bisher die Möglichkeit gibt, das für sie optimale Produkt auszuwählen. Ziel ist es, daß die Kunden nicht mehr das umfangreichste der angebotenen Softwarepakete kaufen, um auf der sicheren Seite zu sein. Vielmehr sollen sie mit Hilfe der Bausteine ihre eigenen Abläufe transparent machen, einen optimalen Prozeß definieren und daraus ein Pflichtenheft erstellen, dem der Anbieter genügen muß.

Doch es steckt noch mehr in den Bausteinen. Es handelt sich dabei um sehr kleine und klar definierte betriebswirtschaftliche Funktionen, die gleichzeitig an mehreren Stellen in einem Unternehmen benötigt werden. Es wäre deshalb nur konsequent, sie in Software-Objekte umzusetzen, aus denen sich eine maßgeschneiderte Standardsoftware zusammenstellen ließe.

Ziel des unter der Bezeichnung "CW-Kompass" laufenden Projektes war ursprünglich, betriebswirtschaftliche Anwendungspakete vergleichbar zu machen. Der ursprünglich beabsichtigte Funktionsabgleich geriet aber schon bald ins Stocken, weil die Hersteller unter gleichen Bezeichnungen unterschiedliche Funktionen implementierten oder umgekehrt identische Funktionen verschieden benannten.

Diese Erkenntnis stellte die Initiatoren vor die Wahl, das Projekt aufzugeben oder selbst eine umfassende Terminologie zu entwickeln, die auf alle marktgängigen Softwareprodukte anwendbar ist. In jahrelanger Kleinarbeit wurden Handbücher durchforstet und an betriebswirtschaftlichen Definitionen gefeilt. Herausgekommen sind Tausende von Einzelfunktionen, sogenannte Prozeßbausteine, aus denen sich beliebige Abläufe für Warenwirtschaft und Finanzwesen gestalten lassen. Als Grundlage dienen zudem die Geschäftsprozeßmodelle des Wirtschafts- informatikers August-Wilhelm Scheer, die auch bei der R/3 von der SAP AG eingesetzt werden.

Bading hat zudem aus den Bausteinen Referenzmodelle für die genannte Geschäftsbereiche erstellt, an denen sich Kunden beim Business-Re-Engineering orientieren können. Unterstützt wird diese Aufgabe durch das Analyse- und Modellierungswerkzeug "Nautilus" von der Integra/Isa GmbH, Bielefeld. Das Tool ermöglicht den Kunden, ihre Arbeitsabläufe mit Hilfe des Vokabulars zu durchleuchten und neue Prozesse zu definieren.

Für diese Aufgabe gibt es bereits erste Kunden. Es handelt sich dabei um die Jomo GmbH & Co. KG aus Weeze, einen Großhändler für Krankenhausbedarf mit einem Jahresumsatz von rund 300 Millionen Mark, sowie um die Karl Göbelhoff GmbH, dem nach eigenen Angaben größten Bürofachhändler Norddeutschlands.

Diese Form des Business-Re-Engineering ist jedoch eher der Nebeneffekt eines Projekts, das die Vergleichbarkeit von Standardsoftware zum Ziel hat. Auch dafür eignen sich die Prozeßbausteine. Mit dem Analysewerkzeug von Integra/ Isa können die Anwender den für sie optimalen Geschäftsablauf definieren und ihn mit den von den Anbietern angebotenen Softwarelösungen abgleichen. Diese Methode hat den Vorteil, daß nicht nur im vorhinein geklärt wird, ob ein Produkt die erforderlichen Funktionen hat, sondern auch, ob sie im Rahmen der geplanten Prozesse funktionieren. Derzeit stellen Kunden immer wieder erst bei der Installation fest, daß eine gewünschte Funktion softwaretechnisch untrennbar mit einer unerwünschten verknüpft ist.

Hier kann Bading zur Zeit nur theoretisch Abhilfe schaffen, denn ein solcher Abgleich von geplanten und angebotenen Geschäftsabläufen funktioniert nur, wenn die Anbieter der vorgeschlagenen Sprachregelung folgen. Die Verhandlungen darüber sollen in Kürze aufgenommen werden.

Dennoch ist schon jetzt der Vergleich von Standardsoftware möglich. In Zusammenarbeit mit den wichtigsten Anbietern wurden aus den von Bading definierten Prozeßbausteinen diejenigen herausgefiltert und zu sogenannten Standardbausteinen zusammengefaßt, die als wettbewerbsrelevant gelten.

Die rund 850 Kriterien wurden in eine von Integra/Isa entwickelte Datenbank eingespeist. Dort braucht der Anwender nur noch auf die gewünschte Funktion in einem Auswahlfeld zu klicken, um eine Liste der sie unterstützenden Produkte zu erhalten (vgl. die Abbildung). Ob diese Funktionen in den vorgesehenen Prozessen wie gewünscht arbeiten, ist mit dieser Software jedoch nicht zu entscheiden.

Die Vergleichsdatenbank soll ab Juni für rund 600 Mark angeboten werden und in der ersten Version die Informationen über die Features im Bereich Warenwirtschaft und Finanzwesen von mindestens 15 Anbietern enthalten. Dazu gehören unter anderem Siemens-Nixdorf, IBM, SAP, JD Edwards, KHK, Navision und Ratioplan. Insgesamt haben sich rund 70 Firmen an dem mehrere Jahre laufenden Projekt beteiligt.

Chancen für eine Realisierung

Wie diese Namen und Zahlen demonstrieren, haben die Hersteller durchaus Interesse gezeigt, solange es nur um den Vergleich auf funktionaler Ebene ging. Die Motive dafür waren höchst unterschiedlich. Große Anbieter wie SAP können davon ausgehen, daß sie schon aufgrund des gewaltigen Umfangs von Produkten wie R/3 gut aussehen, während kleinere Unternehmen sich erhoffen, über den Vergleich im Markt besser wahrgenommen zu werden - zumal eine Zugriffsmöglichkeit via Internet geplant ist. Andere Firmen wie Siemens-Nixdorf erwarten sich von der Datenbank eine bessere Bestimmung der eigenen Marktposition und das Aufdecken noch vorhandener Schwächen.

Bei einem Vergleich auf Prozeßebene sieht die Sache laut Bading anders aus. Hier sticht das Argument der Funktionsvielfalt nur noch bedingt. Sieger werde hier der Anbieter, dessen Produkt am besten zu den Abläufen des Kunden paßt. Daher ist noch keineswegs entschieden, ob es Bading gelingen wird, insbesondere die großen Hersteller auch für diesen Teil seines Projekts zu gewinnen.

Kritik kommt insbesondere von Anbietern, die darauf verweisen, daß Bading sich bei der Prozeßgestaltung auf die gleichen Grundlagen stützt wie der Marktführer SAP. Dagegen kann Bading einwenden, daß die Vorteile für die Mitbewerber dennoch überwiegen. Hat der Kunde bisher meist kaum mehr als drei oder vier Produkte verglichen, so bringt Badings Vergleichskonzept nun alle Pakete ins Blickfeld, die den Anforderungen des Anwenders entsprechen. Anbieter, die jetzt noch im Rennen sind, können nun Argumente wie den Preis, Kundennähe, individueller Service ins Feld führen, bei denen SAP nicht mithalten kann.

Dennoch dürfte es sich als schwierig erweisen, die gesamte Branche auf eine gemeinsame betriebswirtschaftliche Sprache, eben Badings Prozeßbausteine, zu verpflichten. Hinzu kommmen die Kosten für die Anpassung der jeweiligen Produkte an das Synonymen-Lexikon der neuen Terminologie. Gänzlich aufgeben müssen die Hersteller ihre gewohnten Bezeichnungen nicht.

Schwerer wiegt jedoch, daß man bei der SAP aufgrund der Dominanz von R/2 und R/3 hofft, die eigene Begrifflichkeit als betriebswirtschaftlichen Standard durchsetzen zu können. Tatsächlich ist es längst üblich, daß Unternehmen nicht mehr mit den im BWL-Studium erlernten Verfahren, sondern nach den Möglichkeiten organisiert werden, die die jeweils eingesetzte Standardsoftware vorgibt. So versteht sich die SAP schon jetzt nicht nur als Softwarelieferant, sondern auch als Exporteur von Betriebswirtschaftsregeln.

Bading hofft angesichts dieser Situation auf den Druck von Anwenderseite sowie auf die Unterstützung durch SAP-Berater und andere Dienstleister, denn sie wären die eigentlichen Nutznießer eines Analysewerkzeugs wie Nautilus. Er will aber auch die Industrie einbinden, die in einer als "Open Reference Initiative" betitelten Organisation über die Inhalte und Bezeichnung der Prozeßbausteine mitentscheiden sollen.