Stammdatenverwaltung im großen Stil

06.09.2007
Von Wolfgang Hornung
Um seine zentrale Organisation und die weltweiten Produktionseinheiten zu steuern, harmonisiert der Anlagenbauer Andritz seine Prozesse und Millionen von Stammdaten.

Seit den 90er Jahren erwarb die Andritz-Gruppe mit Sitz in Graz unter anderem Firmen in den USA, Finnland, Dänemark, Holland, Frankreich, Deutschland und China. Dadurch entstand eine heterogene IT-Landschaft mit 19 ERP-Systemen, vielen lokalen Lösungen und individuellen Geschäftsprozessen. Damit nicht genug, kamen mit den übernommenen Firmen Zigtausende zusätzliche Kunden- und Lieferantenstammdaten sowie Millionen Materialstammsätze in den Konzern. Diese stellen das Kapital eines Unternehmens dar. Durch unterschiedliche Produktbeschreibungen, Normierungen, divergierende Angaben zu physikalischen und chemischen Eigenschaften von Werkstoffen sowie durch zahlreiche Dubletten waren sie aber schwer zu nutzen.

Projektsteckbrief

Projektart: Stammdatenharmonisierung im Rahmen eines konzernweiten ERP-Rollouts mit Hilfe einer speziell dafür entwickelten Methode.

Branche: Anlagenbau.

Stand heute: Projekt soll bis 2013 abgeschlossen sein.

Produkte: Mysap ERP.

Dienstleister: IMG.

Umfang: 19 ERP-Systeme und ihre Stammdaten sind zu vereinheitlichen. Es existieren Zehntausende Kunden- und Lieferantenstammdatensätze sowie mehrere Millionen Materialstammdatensätze.

Herausforderung: Aufbau eines globalen Daten- und Prozessmodells sowie weltweite Standardisierung von Stammdaten unterschiedlicher Qualität und mit verschiedenen Definitionen.

Ergebnis: geringere Komplexität von Prozessen; Stücklisten können heute weltweit automatisch ausgetauscht werden; Projekt läuft noch.

Die Andritz-Gruppe

Die Andritz-Gruppe ist einer der weltweit führenden Lieferanten von kundenindividuell maßgeschneiderten Anlagen, Systemen und Dienstleistungen für die Zellstoff- und Papier-industrie, die Stahlindustrie sowie andere Spezialindustrien (Fest- und Flüssigtrennung, Futtermittel und Biomasse). Darüber hinaus ist die Gruppe auch ein weltweit führender Anbieter schlüsselfertiger Anlagen und Dienstleistungen für Wasserkraftwerke. Der Hauptsitz der Gruppe, die weltweit rund 11 000 Mitarbeiter beschäftigt, befindet sich in Graz, Österreich. Andritz besitzt über 35 Produktions- beziehungsweise Servicestätten sowie über 120 Tochtergesellschaften und Vertriebsniederlassungen. Im Geschäftsjahr 2006 bilanzierte der börsennotierte Konzern einen Umsatz von rund 2,7 Milliarden Euro.

Basis für gute Prozesse

Für die international ausgerichtete Strategie der Andritz-Gruppe war es daher erforderlich, konzernübergreifende Geschäftsprozesse zu schaffen, die standardisiert, automatisiert und skalierbar sind. Die Basis hierfür bilden verlässliche Stammdaten, die in den jeweiligen Verantwortungsbereichen (Product Homes) erfasst, vereinheitlicht, reduziert und harmonisiert werden müssen. Um diese Vorgaben zu erfüllen, will der Konzern sämtliche Niederlassungen bis 2013 nacheinander in ein globales ERP-System am Konzernsitz einbinden.

Hilfe bei der Umsetzung bietet ein Prozess- und Datenmodell in Form eines globalen Templates auf Basis von Mysap-ERP, erklärt Wolfgang Hornung, Senior Vice President bei The Information Management Group (IMG) in München. Es bildete zunächst die Makro-Geschäftsprozesse, später auch die Subprozesse ab, nach und nach wurde es in allen Niederlassungen eingeführt.

Vor dem Projektstart überprüfte dann eine "ERP Task Force" anhand eines ERP-Prototypen die Leistungsfähigkeit und den Abdeckungsgrad von SAP R/3. Zunächst konzentrierte man sich auf die Makroprozesse wie Finanzwesen, Engineering und Lifecycle-Management, Projekt- und Auftragsabwicklung sowie den After-Sales- und Servicebereich. Im anschließenden "Business Blueprint" definierte das Projektteam auch die nach- beziehungsweise vorgelagerten Subprozesse wie operative Beschaffungs-, Logistik- und Produktionsabläufe und implementierte das globale SAP-Template. "So hat Andritz das SAP-Projekt jederzeit im Griff und behält den Überblick über die Fortschritte der einzelnen Aufgaben", sagte Hornung.

Eigens entwickelte Methode

Parallel zum ERP-Rollout erfolgt der Aufbau eines Stammdaten-Managements. Mit der Konzeption und Umsetzung des Vorhabens beauftragte die Andritz-Gruppe die Beratungsfirmen The Information Management Group (IMG), ein Unternehmen der S&T, und die österreichische CNT. Zunächst waren die Stammdaten so zu vereinheitlichen, dass es künftig für jeweils einen Materialstamm nur noch einen, also weltweit gültigen Stammsatz gibt. Dies geschah mittels einer eigens entwickelten Methode zur Sicherung einheitlicher Materialtexte (Name, Bereich, Produktbeschreibung). Sie half, vorhandene Dubletten zu löschen und das Entstehen neuer zu vermeiden. Die automatisierte Darstellung der Materialtexte lässt sich für interne und externe Zwecke nutzen.

Bei den Werkstoffen wurden zunächst die physikalischen und chemischen Eigenschaften gesammelt sowie die unterschiedlichen in Europa, den USA und Asien geltenden Normierungen so weit möglich intern vereinheitlicht und zum "Andritz Material Code" (AMC) zusammengefasst. Eine Aufgabe, die laut Hornung mit sehr viel Geduld und Recherchen verbunden war, da die einzelnen Länder beispielsweise einen Rohstoff wie Blech mit den unterschiedlichsten Definitionen beschrieben. Nach der weltweiten Vereinheitlichung bildete die IMG gemeinsam mit den Projektverantwortlichen der Andritz-Gruppe den Andritz Standardtext (AST) und den AMC in SAP R/3 ab.

Kampf mit den Details

Hier steckt der Teufel im Detail: Das jeweilige Geschäftsmodell, die Datenhistorie und die betriebswirtschaftlich-technischen Konzepte haben großen Einfluss auf das künftig kontinuierlich erfolgende Stammdaten-Management. So können beispielsweise komplexe Zeichnungsteile aus Sicht der zuständigen zentralen Entwicklungsabteilung eines amerikanischen Service-Stützpunktes nur einfache Handelswaren sein. Bei Ausbrennteilen, auf denen Schweißkonstruktionen aufbauen, wird das Datenmodell einerseits von der Darstellung im CAD-System beeinflusst, andererseits von der Fertigungstiefe im Haus. Das zentrale Problem ist hierbei die Handhabung von Altkonstruktionen, die teilweise zu hohen Datenvolumina führen und vom Geschäftsmodell abhängen.

Mitentscheidend sind Größe und Standort: Bei einem Produktionsstandort, der Spezialmaschinen in Kleinserien fertigt, orientiert sich die konkrete Strategie für die Datenvorbereitung und die Datenmigration eher am Fertigwarenbestand und dem nach dem Go-Live zu erwartenden Produktionsprogramm. An einem Standort mit Großanlagenbau liegt der Fokus hingegen auf den beim SAP-Produktivstart abzuwickelnden Kundenaufträgen mit den zugehörigen Stücklisten. Bei einem Servicestandort oder -prozess stehen eher das Fertigwarenlager und das gängige Ersatzteilprogramm im Mittelpunkt.

Anspruch und Wirklichkeit

Die Umsetzung eines SAP-Stammdatenkonzepts setzt ein stabiles SAP-Template als globales Daten- und Prozessmodell voraus, da ansonsten immer wieder Änderungen am Template die Arbeiten behindern würden. In der Praxis kann man jedoch oft nicht darauf warten, sondern sieht sich gezwungen, mit der Aufbereitung und Migration von Stücklisten und technischen Zeichnungen im Hinblick auf den SAP-Rollout frühzeitig zu beginnen. Nur so lassen sich Belastungsspitzen vermeiden, warnt IMG-Manager Hornung. Diese Erfahrung machte auch die Andritz-Gruppe beim Beginn des SAP-Rollouts.

Letztlich wird sich diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nie ganz beheben lassen. Immerhin gibt es eine Ausnahme: Die technischen Materialdaten liegen häufig schon früh im Projekt fest. Das Stammdaten-Team kann daher diese schon einmal bearbeiten.

Gleichzeitig sollte das künftige Stammdaten-Management organisiert werden ein Aspekt, der oft erst spät in ERP-Projekten erkannt wird. Bei der Andritz-Gruppe war es zunächst ein Projektleiter der IT, der während des globalen SAP-Template-Projekts die Ausarbeitung des Stammdaten-Konzepts vorantrieb. Nach dem ersten Rollout diskutierten dann alle Beteiligten in Workshops über die künftige Stammdatenverwaltung. Doch eigentlich sollte diese Aufgabe beim Business liegen. So übernimmt bei der Andritz-Gruppe künftig der Verantwortungsbereich des Global Process Owners (GPO) die globale Koordination des Stammdaten-Managements.

Inzwischen arbeiten die Andritz-Niederlassungen in Finnland, Dänemark und China sowie die ersten Standorte in den USA und Deutschland mit den harmonisierten Prozessen und Stammdaten. Zu den messbarsten Ergebnissen zählt die verringerte Komplexität im internationalen Geschäft, indem zum Beispiel die Stücklisten weltweit ausgetauscht und ohne Überarbeitung an unterschiedlichen Fertigungsstandorten verwendet werden können. (as)