Klage zugelassen

Spycam im Bad setzt Amazon unter Druck

05.12.2023
Von Redaktion Computerwoche
Weil Amazon eine als Handtuchhalter getarnte Spycam in Umlauf gebracht hat, droht dem E-Commerce-Giganten nun eine Klage. Ein US-Richter hat das Verfahren zugelassen.
Eine in einen Handtuchhalter integrierte Spycam, mit der eine Schülerin heimlich gefilmt wurde, bringt Amazon in Nöte: Hat der Online-Händler sorgfältig genug geprüft, was er da verkaufte?
Eine in einen Handtuchhalter integrierte Spycam, mit der eine Schülerin heimlich gefilmt wurde, bringt Amazon in Nöte: Hat der Online-Händler sorgfältig genug geprüft, was er da verkaufte?
Foto: franz12 - shutterstock.com

Eine Spionagekamera, die wie ein Handtuchhalter aussah, hat ein Bürger im US-Bundessaat West Virginia monatelang dazu benutzt, um im Badezimmer heimlich Aufnahmen von einer minderjährigen Austauschschülerin aus Brasilien zu machen. Da die Kamera über den Amazon-Marktplatz erworben wurde, sieht sich die Shopping-Plattform nun einer Klage ausgesetzt. Den Antrag, die Klage abzuweisen, hat ein US-Richter abgelehnt.

Der Online-Händler hatte gehofft, dass das Gericht die Klage nicht zulassen würde, weil die Plattform für das kriminelle Verhalten einzelner Käufer nicht einstehen könne. Doch nach fast achtmonatigen Beratungen lehnte ein Richter den entsprechenden Antrag ab. Er kritisierte vor allem die Produktbeschreibungen, die bei Amazon veröffentlicht worden waren. So waren Badetücher zu sehen, die an dem Haken mit der versteckten Kamera hingen. Der Text dazu soll die Spycam beworben und zudem versichert haben, dass sie bestimmt "keine Aufmerksamkeit erregen werde", weil es sich um einen ganz gewöhnlichen Haken zu handeln scheine.

Richter: Amazon sollte sich nicht schockiert geben

Wie US-Bezirksrichter Robert Chambers schreibt, legen die von Amazon genehmigten Produktbeschreibungen nahe, dass Verbraucher die Spycam benutzen könnten, um "private Momente im Badezimmer aufzuzeichnen". Amazon könne daher heute nicht behaupten, schockiert zu sein, wenn ein Verbraucher genau das tue.

Die Klägerseite hob ferner hervor, dass ein für Produktsicherheit zuständiges Team von Amazon die Kamera überprüft habe, um sicherzustellen, dass kein Produkt in Umlauf gebracht wird, mit dem die Privatsphäre der Käufer verletzt oder heimlich explizite Aufzeichnungen gemacht werden könnten. Die Spycam sei aber zu genau diesem Zweck verwendet worden, wodurch die Klägerin erheblich Schäden erlitten habe. Angeführt werden "chronisches Zittern, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Hypotonie, beeinträchtigtes Sehvermögen, Schwindelanfälle, Hungerattacken, Vermeidungsverhalten und Paranoia".

Amazon wies alle Schuld von sich und argumentierte ganz nebenbei, dass diese Schäden nicht als Körperverletzung angesehen werden könnten. Richter Chambers sprach indes von "schwerwiegenden" Schäden. Einem Kind sei in "seinem zarten Alter" ein schlimmes Trauma zugefügt worden, das eine "unauslöschliche Wirkung" haben werde und von dem sich die Schülerin vielleicht nie mehr erholen könne.

Welche Verantwortung hat ein Händler?

Die Klägerseite behauptet nun, Amazon habe mit dem Spycam-Verkäufer konspirativ zusammengearbeitet, um "ein fehlerhaftes Produkt zu vermarkten und zu vertreiben, von dem beide Seiten wussten, dass es für illegale und kriminelle Zwecke bestimmt war." Amazon habe "die Darstellung des Produkts und den Inhalt der Produktlisten und -beschreibungen" kontrolliert, also die Werbung jederzeit selbst gesteuert. Zudem habe der Händler den Verkauf mit seinen speziellen Algorithmen angekurbelt, heißt es in der Klage.

Eine Niederlage vor Gericht würde für Amazon wohl eine hohe Schadensersatz-Zahlung zur Folge haben. Der E-Commerce-Gigant würde zudem wohl nicht nur den Verkauf besagter Kamera, sondern den von allen Kameras, die als Spycams genutzt werden können, einstellen müssen. Ein Sieg der Klägerseite wäre demnach nicht nur für den Händler, sondern für alle Kamerahersteller, die bei Amazon verkaufen, ein gefährliches Urteil. (hv)