Versicherungen registrieren Milliardenschäden an elektronischem Equipment

Sprunghafter Anstieg von Störfällen nach PC-Vernetzung

16.03.1990

Dieser erste Teil der Serie wird sich hauptsächlich mit den Gründen, den möglichen Störquellen, den Wirkungsmechanismen der Blitzbeeinflussung und den volkswirtschaftlichen Auswirkungen auseinandersetzen.

In dem Maße, in dem wir dazu übergegangen sind, elektronische Hilfsmittel in allen Bereichen unseres Lebens einzusetzen, ist auch unsere Abhängigkeit von derartigen Systemen gewachsen. Dies gilt insbesondere für alle Bereiche der elektronischen Datenverarbeitung von den Großrechnern über die mittlere Datentechnik bis hinab zum PC-Bereich.

Störungen und Ausfälle bedeuten Ärger, Frust, Zeitverlust, Kosten, Kundenverlust und bei länger anhaltenden Störungen unter Umständen sogar den Ruin eines Unternehmens. Eine möglichst hohe Verfügbarkeit ist also anzustreben; Unterbrechungen, Datenverluste etc. sollen so weit wie möglich ausgeschlossen werden.

Daß Störungen, Beschädigungen oder gar Zerstörungen von elektronischen Systemen keine Hirngespinste von Sicherheitsfanatikern sind, belegen die Zahlen der Elektronikversicherer.

Die im Jahr 1987 für die Abwicklung von Schäden aufzuwendende Summe im Bereich der bundesdeutschen Sachversicherungen belief sich auf zirka drei Milliarden. Eine Aufteilung dieser Schäden auf einzelne Schadensgruppen zeigt die folgende Statistik (1):

Allein die Schäden durch indirekte Blitzeinwirkung und Kurzschluß machen eine Schadensumme von einer Milliarde Mark aus!

Besonders auffällig verläuft die Schadensentwicklung im Bereich der indirekten Blitzeinwirkung (2):

Innerhalb von vier Jahren hat sich der Anteil von Überspannungsschäden am Schadensaufkommen nahezu verdoppelt.

Folgende Gründe sind für den raschen Anstieg auszumachen:

1. Höhere Empfindlichkeit von elektronischen Bauelementen

Eine hohe Integrationsdichte, die durch die zunehmende Komplexität der auf elektronischen Schaltkreisen (ICs) realisierten Funktionen erforderlich wird, führt dazu, daß diese sowohl empfindlicher gegen störende Beeinflussungen wie auch gegen Beschädigung durch Überspannungen mit kleinem Energieinhalt werden. Das ist offensichtlich der Preis, den wir für noch schnellere und noch leistungsfähigere Systeme zu zahlen haben.

2. Vermehrter Einsatz komplexer elektronischer Geräte und Anlagen

Nicht nur die Leistungsfähigkeit elektronischer Systeme ist in den letzten Jahren in atemberaubender Weise gewachsen, es ging auch ein enormer Preisverfall damit einher. So wurden elektronische Hilfsmittel auch für mittlere und kleinere Firmen erschwinglich, ja zu einem "Muß", um Kosten zu senken und im immer härter werdenden Konkurrenzkampf überleben zu können, beziehungsweise die eigene Marktposition auszubauen.

Bereiche, die früher weitestgehend mit mechanischen oder elektromechanischen Teilen arbeiteten (Kassen, Fernmeldesysteme etc.) wurden auf leistungsfähigere, preiswertere, aber leider auch empfindlichere Elektronik-Baugruppen umgestellt.

3. Zunehmende Vernetzung der Systeme untereinander

Während in der "Urzeit" der DV in der Regel alle Systemkomponenten, nämlich Systemeinheit, Massenspeicher, Ein-/ Ausgabeeinheiten, in einem Raum vereint waren, herrscht seit einigen Jahren der Trend zu dezentralen Lösungen, die untereinander vernetzt werden. Diese Vernetzung bezieht auch voneinander unabhängige, in sich geschlossene Bereiche mit ein: Kaufmännische Datenverarbeitung, Technische Datenverarbeitung (CAD), Labormeßeinrichtungen, Fernmeldesysteme, Automatisierungsanlagen, Überwachungssysteme.

Damit verbunden ist aber auch ein Anstieg der gegenseitigen Beeinflussungen. Während Störeinflüsse bei "isolierten Arbeitsplätzen", beispielsweise bei PCs ohne Vernetzung, relativ einfach zu überschauen sind, steigt deren Anzahl bei einer Verbindung der Einzelsysteme untereinander sprunghaft an. Es entstehen Abhängigkeiten von der Art der verwendeten Datenschnittstellen sowie von Übertragungsgeschwindigkeiten, Abschirmmaßnahmen von Leitungsverlegung und -längen.

4. Sinkende Qualität der Verbrauchernetze

Die statische Stabilität des Niederspannungs-Versorgungsnetzes der Bundesrepublik kann als hervorragend bezeichnet werden. Leider hat aber die stark angestiegene und weiter wachsende Zahl nicht-linearer und geschalteter Verbraucher dazu geführt, daß unser Netz mit einer Vielzahl "hausgemachter" Störungen belastet ist, die der modernen Elektronik das Leben erschweren.

Herstellerrichtlinien müssen beachtet werden

Der Entwickler eines elektronischen Gerätes geht im allgemeinen davon aus, daß sein Gerät in einer "normalen" elektrischen Umwelt betrieben wird. Gegen mögliche Störungen - ob aktiv oder passiv - wird eine gewisse Sicherheitsreserve, abhängig von dem zu erwartenden elektrischen Umfeld, eingebaut. Die Hersteller von DV-Anlagen geben zudem an, welche Toleranzen für die Versorgungsspannung und andere physikalische Größen (Temperatur, Luftfeuchte etc.) eingehalten werden müssen, um einen ordnungsgemäßen Betrieb sicherzustellen.

In Installationsrichtlinien ist in der Regel festgehalten, welche Kabeltypen zu verwenden sind, wie die Abschirmung zu handhaben ist und welches Erdungskonzept verwendet werden soll. Diese Vorgaben sollten vom Betreiber einer Anlage im eigenen Interesse genauestens eingehalten werden.

Blitzschäden: selten, aber teuer

Leider zeigt die Praxis, daß auch bei Einhaltung der Installationsrichtlinien noch Störungen oder gar Zerstörungen an elektronischen Systemen auftreten. Dies liegt unter anderem auch daran, daß bei der Installation nicht alle Störquellen berücksichtigt werden oder werden können. Möglichkeiten für einen weitreichenden Schutz sollen hier behandelt werden.

Direkte Blitzeinwirkungen, die zwar recht selten vorkommen, dann aber in aller Regel großen Schaden hinterlassen (Gebäudeschäden, Abbrand, Totalschaden), kann man mit einer ordnungsgemäß, daß heißt nach DIN-VDE 0185 (2) errichteten Blitzschutzanlage begegnen.

Näherungen, also zu geringer Abstand der Blitzschutzeinrichtung zu Teilen der elektrischen Anlage, sind unbedingt zu vermeiden. Auch sollte eine solche Konstruktion in regelmäßigen Abständen überprüft werden, da insbesondere die Erdungseinrichtungen mit der Zeit korridieren und so ihre Wirkung verlieren.

Aber auch eine ordnungsgemäß errichtete Gebäude-Blitzschutzanlage kann meistens nicht verhindern, daß Schäden an elektrischen und elektronischen Einrichtungen entstehen. Hohe Störenergien werden bei Blitzeinschlägen in die Mittelbeziehungsweise Niederspannungs-Versorgungsleitungen oder durch die Sekundärwirkungen des Blitzes, also galvanisch, induktiv oder kapazitiv, in Netz- und Datenleitungen eingekoppelt.

Ein Gebäude wird, auch wenn es mit einer Blitzschutzanlage ausgestattet ist - einen korrekten Potentialausgleich vorausgesetzt -, mitsamt aller im Inneren vorhandenen Geräte bei einem Blitzeinschlag kurzzeitig auf ein sehr hohes Potential angehoben.

Verheerende Folgen für die Geräte

Über alle energie- und datentechnischen Leitungen, die in andere Gebäude verlegt sind, fließen dadurch Ausgleichströme zu den "fernen Erden", die ja "Null"-Potential führen. Diese Ausgleichströme haben zusammen mit den an den Leitungsenden auftretenden Potentialunterschieden verheerende Folgen für die dort angeschlossenen Geräte.

Doch auch im Inneren des betroffenen Gebäudes selbst kann es zu großen Schäden kommen. Beim Einschlag in die Blitzschutzanlage fließen sehr große Ströme (10 bis 150 kA) in kurzer Zeit (10 bis 500s) über die Ableitungen in die Erdungsanlage. Dabei tritt ein starkes, sich

schnell änderndes Magnetfeld auf, das alle im Inneren vorhandenen Installationsschleifen durchdringt.

Dort werden Schleifenströme und damit hohe Spannungen an offenen Stellen induziert. Installationsschleifen ergeben sich zwangsläufig durch den Anschluß von Pheripheriegeräten über Netz- und Datenleitungen.

Nicht nur atmosphärische Vorgänge führen zu Überspannungen. Sie entstehen auch bei notwendigen Schalthandlungen im EVU-Netz und beim Ein- und Ausschalten von Verbrauchern in Hausnetzen (3). Die dabei eingekoppelte Energie reicht zwar nicht immer aus, um elektronische Geräte und Anlagen zu zerstören, wohl aber, um Software-Crashs und Schäden an Plattenlaufwerken hervorzurufen.

Schalthandlungen verseuchen das Netz

Solche häufig auftretenden Überspannungen können zu "partiellen" Beschädigungen an elektronischen Bauelementen, zu einem regelrechten Verschleiß führen. Die Folge sind Fehler, die "hin und wieder" auftreten und verheerende Auswirkungen haben können. Derart beschädigte Bauelemente können nur sehr schwer lokalisiert werden.

Auch die bei Kurzschlüssen in Niederspannungsnetzen auftretenden Überspannungen stellen ein erhebliches Gefahrenpotential dar (3). Es können Spannungswerte von 3 kV erreicht werden!

Der zweite Teil dieser Artikelserie wird sich mit Überspannungs-Schutzeinrichtungen für Netz- und Datenleitungen auseinandersetzen.

(wird fortgesetzt)

Literatur:

(1) Dr. vom Berge, Elektra-Versicherung, "Elektronikschäden aus der Sicht eines Versicherungsunternehmens", Vortrag auf dem Störschutz-Symposium der Firma Telenorma in Hamburg am 1.1.1989.

(2) DIN-VDE 0185, Teil 1: "Blitzschutzanlagen - Allgemeines zu Errichtung", Teil 2: "Errichten besonderer Anlagen".

(3) W. Meissen, "Überspannungen in Niederspannungsnetzen", ETZ, Bd. 104 (1983), Heft 7/8.

(4) DIN-VDE 0110, Teil 1 und 2, "Isolationskoordination für elektrische Betriebsmittel in Niederspannungsanlagen", VDE-Verlag, Berlin und Offenbach.

(5) Entwurf (Gelbdruck) DIN-VDE 0675, Teil 6, "Überspannungsableiter zur Verwendung in Wechselstromnetzen mit Nennspannungen zwischen 100 V und 1000", VDE-Verlag, Berlin und Offenbach.

(6) K. Scheibe, "Über das Alterungsverhalten von Varistoren", 19. Blitzschutzkonferenz (1988), Graz, Tagungsband.

(7) H. Remde, "Funktionsweise von Kabelschirmen in der Leittechnik", Vortrag auf der EMV '88, abgedruckt im Tagungsband, Hüthig-Verlag, Heidelberg.

(8) Elektra-Schaden-Info, "Gefährdung elektronischer Anlagen durch Überspannungen", Elektra-Versicherung, Frankfurt/Main.

(9) E. Reitz, "Elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten", Vortrag auf dem Störschutz-Symposium der Firma Telenorma in Hamburg am 1.1.1989.

(10) H. Pelz, "Elektromagnetische Störeinwirkungen auf elektronische Geräte", Regelungstechnische Praxis, Heft 9184 und 10184.

(11) VDI/VDE 2190, Blatt 3.

(12) F. Schneider (FTZ), "Netzspannungsausfälle und -einbrüche", ETZ Band 107 (1986), Heft 2 und 4, VDE-Verlag, Berlin und Offenbach.