Größter Computerkomplex der Raumfluggeschichte:

Space-Shuttle flog mit IBM-Software

30.04.1981

KENNEDY SPACE CENTER, FLORIDA - Mit fahrplanmäßiger Pünktlichkeit setzte die Raumfähre Columbia am 14. April 1981 um 20.22 Uhr MEZ nach einem programmäßig verlaufenen Flug auf der salzverkrusteten Piste des Luftwaffenstützpunktes Edwards in Kalifornien auf. Nach der Bilderbuchlandung liegt es nahe, einen ersten Blick auf den enormen Computerkomplex zu werfen, der das Unternehmen ermöglicht, in allen Phasen unterstützt und zu einem so großartigen Erfolg gemacht hat.

An Bord und am Boden wurde der Flug von Anfang an, vom Countdown, über den Start, die Aufstiegsphasen, 36 Erdumkreisungen, den Abstieg, bis hin zum Aufsetzen und Ausrollen von dem größten Computerkomplex unterstützt, der je für eine amerikanische Raumflugmission eingesetzt worden ist. Auch die mit der Datenverarbeitung verbundenen Aktivitäten entbehrten - wie ja das Gesamtunternehmen - nicht der Spannung. Wenige Stunden vor dem Abheben bekamen die bereits an Bord der Columbia installierten fünf Bordrechner Gesellschaft von einem weiteren IBM-System/4 Pi Modell AP-101 mit einem Gewicht von fast 25 Kilogramm, das eine Art "Prophylaktikum" gegen die Effekte von "Murphys Law" wirken sollte. Der kleine Rechner sollte vom Piloten dieser ersten Raumfährenmission, Captain Robert L. Crippen, bedient werden und war mit einer Serie von "Heimflugprogrammen" geladen, die dem Orbiter im Falle einer ausgedehnten Fehlersituation im System ein sicheres Landen ermöglicht hatte.

Rund um den Globus überwacht

Die Columbia wurde von einer Vielzahl von Zielverfolgungs- und Datenverarbeitungsstationen rund um den Globus überwacht, doch fanden die umfangreichsten Aktivitäten in zwei Zentren der National Aeronautics and Space Administration (NASA) statt: im Kennedy Space Center von Cape Canaveral in Florida, wo der Start erfolgte und im Mission Control Center des Johnson Space Centers bei Houston, Texas. Sekunden nach dem Abheben des Raumfährenaggregats vom Startgerüst ging die Steuerung und Flugüberwachung an die Mission Control über und verblieb dort während des gesamten Flugs.

Die meisten Rechner und ihre Programmierung für das Space-Shuttle-Programm wurden von IBM geliefert. Von ihr stammen vor allem die sechs Bordrechner für Navigation und Steuerung. Die IBM entwickelte das Launch Processing System und das Cargo Integration and Test Equipment System im Space Center und koordinierte den Systementwurf für die Bodenkontrolleinrichtungen in Texas. Vorher war die IBM bereits an allen von der NASA durchgeführten Raumflugprogrammen beteiligt, also an den Projekten Mercury, Gemini, Apollo, Skylab und am Apollo-Soyus-Versuchsprojekt.

Wegen der Komplexität der an Bord der Columbia installierten Rechneranlage hatten Pilot Crippen und Commander John W. Young im Vergleich zu früheren Missionen verhältnismäßig wenig mit den Computern zu tun. Grundsätzlich hatten die fünf redundanten AP-101-Rechner die Aufgabe, den Astronauten durch alle Schwierigkeiten der extraterrestischen Navigation und Steuerung hindurchzuhelfen, sie beim Systemmanagement zu unterstützen und die Checkout-Verfahren beim Countdown und während des Flugs zu vereinfachen. Beim Aufstieg waren die Bordrechner mit 38 Subsystemen des Orbiters und mit vier Subsystemen an den Feststoffraketen verbunden und sollten lebenswichtige Steuerungsoperationen wieder und wieder kontrollieren.

Die Meldungen von den vier Subsystemen der zwei Feststoffraketen waren besonders wichtig, da die Raumfähre Columbia das erste bemannte Raumfahrzeug ist, das mit Feststoffraketen angetrieben wird. Bisher wurden die Startraketen ausschließlich mit flüssigem Treibstoff gespeist. Hinzu kam, daß bisher kein Raumflugkörper auf seinem Jungfernflug mit Besatzung geflogen ist.

Crippen und Young konnten den Dialog mit den Rechnern aufnehmen: Diagramme, Flugbahnkurven und Vorhersagedaten über den Flugverlauf auf einem der drei 178 mal 127 Millimeter großen Bildschirme wurden ihnen im Cockpit des Orbiters aufgezeichnet. Eine vierte Bildschirmstation befand sich am Platz des "Missionsspezialisten" direkt hinter dem Pilotensitz. Die Bordrechner des Orbiters arbeiteten mit vier Sätzen von Anwendungsprogrammen und übernahmen alle Aktivitäten, von der Nutzlastberechnung bis zur Zündung der Steuerdüsen. Eines der Programme hatte gegen Ende des Flugs eine lebenswichtige Rolle zu spielen, als der Orbiter wie eine Boeing 747 auf der Piste des Luftwaffenstützpunkts Edwards landete. Die Programme waren in HAL/S geschrieben, einer speziell für die Luft/Raumfahrt entwickelten Sprache.

Um den Fortschritt in der computergestützten Steuerung und Navigation etwas anschaulicher herauszustellen, sei erwähnt, daß die Columbia-Bordrechner 40mal schneller sind als die Bordrechner des Projekts Apollo/Saturn. Sie haben die fünffache Speicherkapazität und arbeiten mit achtmal mehr Befehlen als der Rechner, der Neil Armstrong und seine Mannschaft bei der ersten erfolgreichen Landung auf dem Mond unterstützte.

1,8 Millionen Befehle im Betriebssystem

Den Countdown für Start und Checkout übernahm ein verhältnismäßig neues Computersystem im Kennedy Space Center. Das Launch Processing System umfaßte im Prinzip acht autonome Startdatenverarbeitungskomplexe, die wiederum aus je einem Netzwerk von bis zu 40 Modcomp II/45 Minicomputern der Modular Computer Systems, Inc., bestanden. Zur Bewältigung der gewaltigen Fülle von Einzelprüfungen und ihrer ständigen Wiederholung an zahllosen, dabei aber lebenswichtigen Punkten hatte jedes Startdatenverarbeitungszentrum 1,8 Millionen Befehle im Betriebssystem und in der unterstützenden Softwarebibliothek. An die Minicomputer waren einige Farb-Bildschirmgeräte angeschlossen, an denen die Realzeitüberwachung oder der Verkehr mit einem der beiden Großrechner 6680 von Honeywell durchgeführt wurde.

Da die Columbia auf ihrem Jungfernflug keine Nutzlast an Bord hatte - wenn man von bestimmten Testgeräten absieht - wurde das Cargo Processing System nicht voll gefahren. Auf den nächsten Flügen der Raumfähre wird das System mit seinen etwa 100 Gestellen voller Elektronik und Computereinschüben und mehr als 800 Verbindungskabeln zu den Minicomputern und Großrechnern in der Zentrale wohl voll eingesetzt werden. Im Prinzip prüft das System die elektrischen Verbindungen und simuliert die Funktionen der Nutzlast sowie alle diesbezüglichen Vorgänge während der Startvorbereitungen.

Der Entwurf der Launch Processing und Cargo Processing Systeme, die Entwicklung der Systemprogramme und die Integration von Hardware und Software in jedem Zentrum erfolgte durch die IBM.

Die Flugüberwachung während der 36 Erdumkreisungen war Aufgabe von drei IBM System/370-168 Großrechnern und eines ganzen Arsenals von Telekommunikationssystemen im Johnson Space Center. Jeder Rechner hat eine Speicherkapazität von 8 MegaByte und eine Vielzahl von Datenkanälen als zusätzliche Prozessoren.

Die meisten Systemprogramme sind IBM-Produkte, die zum Anschluß an die Realzeiteinrichtungen der Flugleitzentrale kaum geändert werden mußten. Die Systemprogramme umfassen JES/3, TSO, IMS/VS, VTAM/ NCP und unterstützende Zugriffsmethoden für den Realzeitbetrieb. Die Anwendungsprogrammen stammen zum größten Teil von der Rockwell Inc. Sie bestehen vor allem aus Standard-Anwendungssoftware der Luft- und Raumfahrt (Telemetrie, Flugbahnberechnung, Navigationshilfen, Netzwerkkommunikation und -steuerung).

Während der Raumfährenentwicklung unterstützten die Rechner im texanischen Zentrum die Programmentwicklung, die Lastdatenverarbeitung, die Ausbildung des Flugleitpersonals und dienten Testzwecken.

*Tim Scannell ist Redakteur der COMPUTERWORLD; übersetzt wurde der Artikel von Hans J. Hoelzgen, Böblingen.