Sondertarif beim Wiedereinstieg in den Job

28.11.1986

Dr. Martin Bangemann, Bundeswirtschaftsminister, FDP, Bonn

Die Einstellung der Menschen zur Ausbildung hat sich in den letzten Jahren spürbar gewandelt. Die jungen Leute, die die allgemeinbildenden Schulen verlassen, suchen fast alle eine berufliche Ausbildung, und auch viele Arbeitslose haben erkannt, daß sie ihre Chancen am Arbeitsmarkt nur erhöhen können, wenn sie Qualifikationslücken schließen.

Es geht nicht allein darum, den technischen Umgang mit neuen Büromaschinen, computergestützten Zeichengeräten oder integrierten Steuerungssystemen zu erlernen. Noch wichtiger ist es, daß die Gesellschaft als ganze lernbereit ist und Neuerungen offen gegenübersteht.

Berufliche Ausbildung in Zeiten raschen technischen Fortschrittes ist mehr als das Einüben von Techniken, die für den Rest des beruflichen Lebens ausreichen. Schon spricht man davon, daß datentechnisches Wissen von zwei bis drei Jahren veraltet ist. Dieser Umstand hat weitreichende Konsequenzen.

Es müssen Qualifikationen vermittelt werden, die zum einen an der aktuellen Arbeit orientiert sind, zum anderen müssen auch die Fähigkeiten zum selbständigen Weiter- und Umlernen entwickelt und gefördert werden.

Es ist nicht eine bestimmte fachliche Berufsausbildung ähnlich der handwerklichen Ausbildung zur Zeit der Zünfte etwa, die die Chancen auf einen Arbeitsplatz wahrt. Es ist zunächst die Qualifizierung überhaupt.

Dazu kommen muß die Fähigkeit zur Weiterqualifizierung, die die Menschen von Wissenslücken und damit vor beruflicher Disqualifizierung schätzt.

Qualifikation im weitesten Sinne - Ausbildung, Fortbildung, Umschulung - ist eine Zukunftsinvestition, die im Interesse der Unternehmen wie der Arbeitnehmer selbst liegt - übrigens nicht nur, weil qualifizierte Arbeitnehmer produktiver sind.

Arbeitnehmer, die wissen, mit welchen Hilfsmitteln sie umgehen und welche Funktion diese im Unternehmen erfüllen, nähern sich neuen Techniken viel unbefangener als Arbeitnehmer ohne Kenntnisse. Wenn von Technikangst die Rede ist, darf man gewiß nicht Risiken der technischen Entwicklung beseite wischen und sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Andererseits wird Technikangst gerade von denen behauptet, manchmal "zelebriert", die so gut wie keine Kenntnisse vorzuzeigen haben.

Unternehmen müssen ihren Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern planen und dies mit der Investitionsplanung verbinden. Das ist eine langfristige Aufgabe; und unter diesem Gesichtspunkt finde ich es richtig, daß die Unternehmen derzeit über ihren aktuellen Bedarf hinaus ausbilden. Denn schon am Beginn der neunziger Jahre wird sich die Zahl der Bewerber um einen Ausbildungsplatz fast halbieren.

Der Staat wirkt an der Ausbildung am intensivsten in der Erstausbildung mit; er stellt beispielsweise die Infrastruktur für den schulischen Teil der dualen Ausbildung bereit; er regelt die Ausbildungsinhalte in enger Abstimmung mit den Verbänden der Wirtschaft. Weitere Aus- und Fortbildungsschritte liegen dann mehr und mehr in der Verantwortung der Unternehmen, und über die Notwendigkeit einer guten beruflichen Qualifikation gibt es, soweit ich erkenne, einen breiten Konsens.

Primäre Verantwortung für die berufliche Weiterbildung geht einher mit der Freiheit ihrer Gestaltung.

In Wissen zu investieren kostet aber Geld. Wer soll diese Kosten tragen? Wer profitiert am meisten von dieser Investition? Das ist schwer abzuschätzen; aber das Unternehmen profitiert von der höheren Produktivität des Mitarbeiters und die Mitarbeiter werden vielseitig einsetzbar, flexibler, und sie sichern ihren Arbeitsplatz durch Können.

Wäre es nicht durchaus zumutbar, daß ein Arbeitnehmer seine Freizeit dafür einsetzt, seine Qualifikationen zu erhalten und zu verbessern? Und weil Qualifizierung Kosten verursacht, haben wir folgendes angeregt: Die Tarifvertragsparteien sollten einmal prüfen, ob nicht die Chancen Arbeitssuchender verbessert werden könnten, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich die Kosten der Nachqualifizierung teilen.

Für eine Zeit - bis der nötige Qualifikationsstandard erreicht ist - könnte ein Wiedereinstellungstarif gelten.

Eine solche Maßnahme, ausgehandelt zwischen den Tarifpartnern, hat nichts mit Lohnschneiderei zu tun; sie könnte geeignet sein, die Wiedereinstellungschancen zu verbessern!

Aus der Rede, die Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann zur Vergabe des 1000. Computerführerscheins der Control Data Institut GmbH in Frankfurt am 14. November 1986 hielt, bringt die COMPUTERWOCHE einen Auszug.