Gastkommentar

Softwarehersteller bauen Türschlösser aus

08.04.1988

Dr. Christoph Zahrnt Rechtsanwalt in Neckargemünd

Da kommen einem die Tränen, wenn man den Offenen Brief der Vereinigung zur Förderung der Deutschen Software-Industrie e.V. an verschiedene Bundesmiriister und an den Bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß liest. Diese seltsame Anhäufung von Viertelwahrheiten darf nicht so stehen bleiben.

Erstens: Fördern will die Vereinigung mit ihrem Namen die deutsche Software-Industrie. Laut Schreiben hätten sich acht namhafte deutsche Firmen zu dieser Vereinigung zusammengeschlossen. Liest man die Unterzeichner dieses Schreibens, so sind auf Herstellerseite hauptsächlich US-Unternehmen beteiligt. Wenn, wie die Unterzeichner befürchten, Arbeitsplätze in der Entwicklung gefährdet sind, dann sind es solche in den USA. Ein bißchen von dieser Wahrheit kommt in der Behauptung im Brief zum Ausdruck, daß sich amerikanische Hersteller bereits überlegen würden, ob sie überhaupt eine deutsche Niederlassung gründen sollten. Also geht es in Deutschland nur um Arbeitsplätze im Handel. Dessen Arbeitsplätze sind gleichermaßen sicher oder unsicher, ob nun Programme made in USA oder Programme made in Deutschland vertrieben werden.

Zweitens: Der Vertrieb von Raubkopien würde "einen enormen Verlust an Steuergeldern für das Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland bedeuten". Da muß man erst einmal fragen, ob die Käufer, die für eine Raubkopie einige Mark ausgeben, wirklich das Original fÜr einige tausend Mark kaufen würden. Also müßte erst einmal Klarheit geschaffen werden, in welchem Marktsegment wieviel raubkopiert wird. Von Computerspielen ist bekannt, daß viel raubkopiert wird. Die Vereinigung selber vertritt den Bereich von Mikrocomputerprogrammen. Sie will zwar auch für den Bereich von Bürocomputern und Großcomputern sprechen, wenn sie Nixdorf und Siemens zitiert; sie hat dafür aber keinerlei Legitimation. Sie kann nicht mal für ihren eigenen Bereich maßgeblich sprechen. Denn Microsoft, der führende Anbieter in diesem Bereich, ist definitiv nicht mit von der Partie. Der deutsche Geschäftsführer von Microsoft "vertrat bereits vor einiger Zeit die Auffassung, die Zahl der kopierten Programme sei ohnehin so gering, daß man schlimmstenfalls mit Umsatzeinbußen in Höhe von maximal zehn Prozent zu rechnen habe".

Möglicherweise kauft der Kunde die Raubkopie aber nicht für ein paar Mark, sondern zum normalen Preis, nämlich, wenn ihm der Händler eine Raubkopie unterschiebt. Dann ist allerdings nicht zu sehen, welchen Verlust der Herr Bundesfinanzminister erleiden soll.

Worum es geht, zeigt eine Meldung in der COMPUTERWOCHE vom 18. März 1988 auf Seite 4 mit der Überschrift "Über 4 Milliarden Dollar Schaden durch DV-Piraten". Die International Trade Commission der USA will das festgestellt haben. Als Hauptsünder werden Taiwan und Brasilien genannt, als weitere Sünder Indien, Mexiko, Südkorea und Japan.

Drittens: In einer weiteren Meldung heißt es: "Auf welcher Grundlage die schwarzmarktlichen Schätzungen beruhen, wurde nicht mitgeteilt". Die Vereinigung bezieht sich für Deutschland auf eine "vom ZDF Mainz angefertigte Berechnung". Es wäre interessant zu wissen, wie das ZDF zu der Schätzung gekommen ist, daß jährlich zwischen 500 und 600 Millionen Mark Verlust entstehen würde. Das ist diejenige Zahl, die die Vereinigung im Herbst 1987 in der Presse lanciert hat. Die Vereinigung zitiert sich also allem Anschein nach selber.

Viertens: Die Vereinigung beklagt sich über die "schwache Rechtsprechung" in Deutschland. Sie möge das endlich einmal konkret darlegen. Der warenzeichenrechtliche Schutz funktioniert gegen die unberechtigte Verwendung eines Warenzeichens, auch gegen die Imitation. Der wettbewerbsrechtliche Schutz funktioniert gegen Raubkopien von Mikrocomputerprogrammen bisher perfekt. Im Bereich von Computerspielen läßt er ein bißchen zu wünschen übrig: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat es in einem Urteil abgelehnt, Computerspiele als Filmwerke oder als einfache Filme ("Laufbilder" in der Sprache des Gesetzes) anzusehen. Wer also einen Softwarepiraten überführen will, soll sich eine Raubkopie außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des OLG Frankfurt kaufen.

Das Urheberrecht funktioniert nur in Grenzen. Es ist durchaus diskussionswürdig, über eine Verbesserung des urheberrechtlichen Schutzes nachzudenken. So wie ein Film, der nicht den Rang eines Kunstwerks erreicht, immer noch per Leistungsschutzrecht für zehn Jahre geschützt ist, sollten auch Programme, die nicht von überragender Gestaltung sind (wie es der Bundesgerichtshof verlangt), per Leistungsschutzrecht zehn oder auch fünfzehn Jahre geschützt werden. Allerdings sollte man darüber nachdenken. Ein erneuter Schnellschuß des Bundestages wie 1985, als Programme in den Kreis der schützbaren Werke aufgenommen worden sind, sollte nicht wiederholt werden.

Fünftens: Die Mitglieder haben sich vorgenommen, "gemeinsam für ihre Belange zur Beseitigung der Mißstände zu kämpfen", allerdings nicht in Taiwan, Brasilien, wo die Hauptsünder sitzen, sondern in Deutschland. Da frage ich mich, warum sie nicht erst einmal selber Maßnahmen treffen, die das Herstellen oder den Vertrieb von Raubkopien erschweren.

Die Hersteller wollen, daß nur noch "Originalkopien" verkauft werden. Warum schaffen sie nicht - wie verschiedentlich vorgeschlagen - eine Originalurkunde analog zum Kraftfahrzeugbrief: Dann könnte man der Kundschaft nicht mehr so einfach Raubkopien unterschieben.

Die Hersteller können noch mehr tun, nämlich Kopierschutz schaffen. In den USA wurde 1985 intensiv an einem System gearbeitet, mit "Programmschlüsseln" zu arbeiten, also mit Hardware analog zum Zündschlüssel eines Autos. Diese Initiative ist steckengeblieben. Einige Lieferanten schützen sich derzeit ersatzweise so, daß sie einen Stecker mit einem PROM vorsehen, der zwischen Ausgang und peripherem Drucker angebracht werden muß. Kopierschutz bei Disketten ist durchaus möglich, auch bei Verwendung von Plattenlaufwerken als endgültigen Trägern der Programme. Das Argument, daß eine Schutzmaßnahme von einigen Könnern überwunden werden kann, hat bisher in anderen Bereichen nicht dazu geführt, auf solche Schutzmaßnahmen zu verzichten, zum Beispiel keine Schlösser in Haustüren mehr einzubauen.

Was gegen den Kopierschutz vor allem spricht, ist, daß er von den Großkunden, die selber Kopien herstellen wollen, als störend abgelehnt wird. Deswegen schaffen einige Softwarelieferanten den Kopierschutz wieder ab. Im Bilde gesprochen: Die Softwarehersteller bauen die Türschlösser aus und rufen nach dem Strafgesetzgeber, daß er die Strafdrohungen verschärfe. Wer aber zumutbare Schutzmaßnahmen nicht ergreift, hat kein Recht, nach dem Strafrechtsgesetzgeber zu rufen.

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