Die finnische Industrie muss sich global orientieren

Software- und Internet-Produktion im Land der tausend Seen

10.11.2000
Obwohl die Elektronikindustrie nach wie vor der wichtigste Wachstumsmotor der finnischen Wirtschaft ist, holt die Informationstechnik seit kurzem kräftig auf. Schwung in die Szene bringen vor allem Software- und Internet-Companies, die vom Start weg den Weltmarkt ins Visier nehmen. Von Andrea Goder*

Jorma Ollila muss es wissen. "Die Lage oder Größe eines Landes sind keine ausschlaggebenden Faktoren für den Erfolg eines Unternehmens", behauptet der Chef des Weltkonzerns Nokia. Und in der Tat, wenn es ein finnisches Unternehmen gibt, das rund um den Globus bekannt ist, dann dürfte es der nordische Telekommunikationsriese mit Sitz in Espoo, westlich von Helsinki, sein. Über 60000 Mitarbeiter beschäftigt der Konzern, der vor mehr als zehn Jahren seinen globalen Handy-Siegeszug antrat und 1999 knapp 20 Milliarden Euro Umsatz erzielte.

Nach Angaben des finnischen Industrie- und Arbeitgeberverbandes Finnfacts erreichte die Ausfuhrquote von Elektronikprodukten zuletzt 80 Prozent, was einem Viertel aller finnischen Exporte entspricht. Schrittmacher für die Hightech-Industrie ist bis heute der TK-Sektor. Dutzende von Companies sind in den letzten Jahren im Sog des Handy-Riesen Nokia entstanden und groß geworden.

Eines davon ist das Elektronikunternehmen Elcoteq Network, 1984 im südfinnischen Espoo gegründet. Mit Endprodukten und Komponenten für Carrier, IT-Unternehmen und die Industrie erreichte der Umsatz in den letzten Jahren immer neue Rekordmarken. Im ersten Halbjahr 2000 meldete das heute in zwölf Ländern operierende Unternehmen Einnahmen in Höhe von 930 Millionen Euro und damit dreimal so viel als noch im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Mit einer Fertigungsstätte in China sind die Finnen seit Juni dieses Jahres auch im asiatischen Markt präsent. Elcoteqs Erfolg spiegelt der Börsenkurs wider, der sich innerhalb eines Jahres vervierfachte.

Im Land der tausend Seen ist in den letzten Jahren aber auch eine IT-Welle ins Rollen geraten. Viele der über 200 Softwareschmieden, die es heute in Finnland gibt, sind ebenfalls auf schnelles Wachstum programmiert. Nach den Sparten Holzverarbeitung, Metall und Elektronik ist die Softwarebranche schon heute das vierte Standbein des Exports. Geradezu lebenswichtig ist es deshalb für finnische IT-Newcomer, sich von Beginn an international zu positionieren. Für das Jahr 2000 erwartet Finnfacts Softwareexporte von rund einer Milliarde Finnmark (umgerechnet rund 330 Millionen Mark).

Zu den am schnellsten wachsenden Softwarefirmen der Industrieregion Espoo gehört der seit November 1999 an der Börse in Helsinki gelistete IT-Sicherheitsspezialist F-Secure Oyj. Mit Produkten in den Bereichen Virenschutz, Firewalls oder Virtual Private Networks (VPN) konnte das Unternehmen den Umsatz 1999 auf 24 Millionen Euro verdoppeln. Dieses Tempo will der heute 32-jährige Firmenchef Risto Siilasmaa, der F-Secure bereits 1988 gründete und 2001 den Übergang in die Gewinnzone ansteuert, auch in Zukunft beibehalten. Grund zum Optimismus geben dem CEO vor allem der starke Anstieg von drahtlosen Endgeräten und die damit verbundenen Sicherheitsanforderungen, das hohe Wachstumspotenzial der TK-Märkte weltweit und nicht zuletzt der Trend, IT-Security-Projekte auszulagern.

Dass er in Finnland mit seinen rund fünf Millionen Einwohnern schnell an Grenzen stößt, weiß auch Siilasma. Schon heute sind die USA mit über 40 Prozent am Umsatz der wichtigste Auslandsmarkt, wo F-Secure Blue-Chip-Kunden wie die Nasa, US Air Force, Boeing, Bell Atlantic oder MCI gewinnen konnte. Ein Drittel der Einnahmen erzielt der Security-Spezialist im gesamten skandinavischen Markt.

Trotz des rasanten Wachstums, das Börsen-Newcomer wie F-Secure zuletzt hinlegten - vom Einbruch an den internationalen Finanzmärkten im Frühjahr dieses Jahres blieben auch die finnischen Hightech-Werte nicht verschont. Kursstürze von mehr als 50 Prozent mussten beispielsweise der Softwareanbieter Basware Oyj oder der IT-Dienstleister Tieto-X Oyj hinnehmen.

Nicht besser erging es dem in Helsinki ansässigen Internet-Portal-Betreiber Saunalahti Oyj, der erst im Oktober einen erneuten Kursrutsch auf vier Euro zu verschmerzen hatte. In die Schlagzeilen geriet die erst seit kurzem unter Jippii Group firmierende Company als potenzieller Käufer des in Konkurs gegangenen Service-Providers Gigabell. Auch wenn der Plan, die Frankfurter Pleitefirma mehrheitlich zu übernehmen, letztendlich platzte, für rund fünf Millionen Euro pickten sich die Nordeuropäer lukrative Vermögensteile aus der Konkursmasse heraus (siehe Seite 83). Ziel von Jippii-Vorstandschef Harri Johannesdahl ist es, schon in naher Zukunft zu den fünf größten europäischen Internet-Providern zu gehören. Für die finnische Firmengruppe, die im letzten Jahr 13 Millionen Euro Umsatz erzielte, ist das ein mehr als ehrgeiziges Projekt.

Um Kapital für die so wichtige Expansion zu sammeln, entdecken immer mehr Wachstumsfirmen den Börsenplatz Helsinki. Vor allem ein Listing am New Market, dem finnischen Pendant zum Neuen Markt in Frankfurt, ist für die Hightech-Unternehmen attraktiv. 15 Firmen sind bislang in diesem Börsensegment notiert. Die Hauptstadt ist zum Magnet für Entrepreneure, Investoren und Spekulanten avanciert.

High-Tech-Schmiede im hohen NordenOrtswechsel: 600 Kilometer nördlich von Helsinki, am Bottnischen Meerbusen, die Hafenstadt Oulu mit knapp 120000 Einwohnern. Hier im hohen Norden, nur noch knapp 200 Kilometer vom nördlichen Polarkreis entfernt, entstand bereits 1982 Technopolis, der erste "Science-Park" in Skandinavien. Auf einer Fläche von über 100000 Quadratmetern haben in unmittelbarer Nähe zur Universität Oulu und zum Technischen Forschungszentrum mittlerweile über 130 Firmen ihr Headquarter aufgeschlagen. Mit rund 4000 Arbeitsplätzen in den Bereichen Forschung und Entwicklung ist das Technologiedorf Oulu neben Nokia heute die wichtigste Jobmaschine der Region.

Das Konzept, das die Investoren - unter ihnen auch die Stadt Oulu - mit Technopolis verfolgen, ist durch und durch kommerziell. Deutlich wird das bereits an der Tatsache, dass das gesamte Hightech-Konglomerat schon seit über einem Jahr an der Börse von Helsinki gelistet ist. "Technopolis ist ein Produkt aus vielen Firmen", versucht Marketing-Manager Seppo Selmgren die Idee der Initiatoren zu verdeutlichen. Strategie sei es, möglichst viele Firmen in den nächsten Jahren an die Börse zu bringen.

Als eine Art Großinkubator leistet Technopolis den Newcomern umfassende Gründungshilfe - angefangen von skalierbarer Infrastruktur über Marketing-Unterstützung bis hin zu einem Netzwerk aus Kontakten. Für diese Leistungen müssen die Startups mit Unternehmensanteilen bezahlen.

Chancen auf eine Börsennotierung rechnen sich indes viele Entwicklerteams in dem Technologiezentrum aus. Die erste Voraussetzung dafür ist, dass Firmen die schwierige Gratwanderung vom Forschungsunternehmen zum konventionellen Anbieter meistern. Die auf Business-Intelligence-Applikationen spezialisierte Softwarefirma QPR Plc. schaffte diesen Schritt bereits vor zwei Jahren. Das 1991 gegründete Unternehmen erzielte im vergangenen Jahr mit Softwarelösungen in den Bereichen Kosten-Management, Geschäftsmodellierung oder Akquisitionssteuerung knapp fünf Millionen Euro.

Im ersten Anlauf an den Kapitalmarkt gestrauchelt, will der IPO-Kandidat noch in diesem Jahr einen zweiten Versuch riskieren. Wichtiger Teil der Business-Plans, der ab 2001 schwarze Zahlen vorsieht, ist auch bei QPR eine globale Strategie. Bereits heute besteht ein internationales Netzwerk aus Vertriebs- und Kooperationspartnern in 30 Ländern. Von ihrer US-Niederlassung in Minneapolis aus betreuen die Nordeuropäer Unternehmen wie IBM, Unisys, KPMG und Arthur Andersen.

Mit innovativen Produkten in den Weltmarkt aufzubrechen ist auch für viele andere Firmen aus Oulu eine Herausforderung. Die Softwareschmiede Acta Systems Oy will beispielsweise mit Lösungen im Bereich Telemedizin international durchstarten. Das Unternehmen entwickelte ein System, mit dem sich Patientendaten, Röntgenbilder und Befunde in digitaler Form via Datennetze übertragen und in einem zweiten Schritt automatisch archivieren lassen. Die Software ist in Nordfinnland bereits im Einsatz, zum Beispiel zwischen der Universitätsklinik Oulu und dem lappländischen Zentralkrankenhaus in Rovaniemi.

* Andrea Goder ist freie Autorin in München.