So schnell wirdÆs nix - mit Btx

05.11.1982

Wolfgang G. Trapp, Bayerischer Btx-Teilnehmer-Club*

Viel Euphorie und Wunschdenken bei Btx-Insidern vernebelt den klaren Blick auf (zu) harte Tatsachen. Im Stil einer "self-fullfilling prophecy", wo Vorhergesagtes einfach dadurch eintritt, daß man daran glaubt und davon redet, glaubt man an Teilnehmer-Vorausschätzungen in Millionenhöhe und einen Beteiligungsboom ab Herbst 1983. Doch der Wunsch aus dem Versuchsghetto ist hier der Vater des Zukunftsgedankens. Die Gläubigkeit und Begeisterung, inzüchtiger Umgang mit seinesgleichen und euphorische Btx-Fans, fixieren die Blickrichtung so nach vorne, daß Randerscheinungen, so wichtig sie sein mögen, gar nicht wahrgenommen werden können. Doch solche Randerscheinungen gibt es, und sie verändern Charakter, Chancen und das ganze Medium Btx so stark, daß sie die Hauptsache in Frage stellen könnten - das ganze System. Wie es jetzt aussieht, wird es nämlich nicht so schnell was mit Btx und schon gar nicht so schnell wie viele denken...

Massenbasis steht und fällt

Mit Zusatzkosten für Zusatzgeräte, nämlich mit Decoderpreisen, wie sie derzeit und kürzlich gehandelt werden und die im 1000-Mark-Bereich liegen, steht und fällt die Massenbasis als überzeugendstes Argument für Btx - die erhoffte Vielzahl der Teilnehmer. Die Entscheidung für ein neues Medium wird hier, erstmals, in den Geldbeutel des Verbrauchers verlegt.

Sie passiert im kommerziellen Bereich, im Elektroladen und beim Endverbraucher. Er, der Familienvater, wird sich für einen neuen Fernsehapparat zu entscheiden haben, und daß er eine 1000-Mark-Entscheidung zugunsten des für ihn zunächst nicht einsichtigen Zusatznutzens Btx treffen wird, darf bezweifelt werden. Schwierig genug dürfte es schon sein, ihm 300 Mark für etwas, das er kaum oder gar nicht kennt, aus der Tasche zu holen.

Damit würde Btx ein undemokratisches Medium, eher Leuten mit dickerem oder offenerem Geldbeutel zugänglich und seines numerischen Rückhaltes gleich doppelt beraubt. Erstens sind weniger dabei, zweitens wird mancher Anbieter überlegen, ob sich sein Aufwand für ein Mediensystem, das in die potenteren Bereiche von Industrie, Handel und Gewerbe abgedrängt wird und dem die Massenbasis "Endverbraucher" fehlt, auch wirklich noch rentiert. Und manchem, dem man so die Basis entzieht, wird sich seinerseits dem System entziehen.

Der Btx-Fan (-atismus) hat aber auch noch andere Blüten getrieben als blauäugiges Wunschdenken. Diese Blüten sind so bunt und wildwuchernd, daß ihre Vielfalt (er-) drückend wirkt und die Alarmglocken klingeln sollten: Vor lauter Begeisterung hat man vergessen zu "zielen" und ist dadurch über das Ziel hinausgeschossen: Man hat Btx-Programme mehr für sich und Gleichgesinnte gemacht als für die Zielgruppe. Beste oder eher schlechteste Beweise sind Programme, die eher dem Selbstgefühl schmeicheln, als irgend jemandem außerhalb der Insider-Kreise einen Vorteil zu bringen. In vielen Fällen merkt man nicht einmal, wie weit man am Bedarf vorbeiproduziert, weil es laufend bestätigende Streicheleinheiten aus dem Kreis von Kennern gibt. So bleibt der Blick verstellt, Optik und Selbstdarstellung im Programm und Zuspruch aus dem engen Kreis der Informierten suggerieren Qualität und der teilnehmende Nutzer ist aus dem Blick verlorengegangen.

So kann man das, was heute im System dem Teilnehmer Nutzen und Vorteile bringt, an den Fingern seiner zwei Hände abzählen.

Bald nach der bundesweiten Einführung wird es deshalb die ersten Verluste geben: Wenn Btx vom sterilen Brutkasten der Vorversuche ins harte Leben des Kommerz gestoßen wird, wird es bei Anbietern so manche Totgeburt geben. Alles was keinen Vorteil in Geld, Zeit und Vergnügen verschafft, wird vom (Be-)Nutzer durch Nichtbeachtung bestraft. Alles, was an Programmen keine "Convenience", nämlich (zu) wenig Bequemlichkeit in der Handhabung bietet, wird in die Btx-Ecke gestellt und verstaubt. Der Sensenmann der Inaktivität wird umgehen und rücksichtslos den Wildwuchs abmähen.

Ohne daß der Benutzer im wahrsten Sinne des Wortes auch nur einen Finger rühren muß werden so Programme durch Mißachtung eingehen wie Veilchen im Winter. Die Arroganz vieler Anbieter, die heute noch glauben, Btx eher für die Selbstbefriedigung als die Bedürfnisbefriedigung machen zu müssen, wird hart bestraft werden - einfach durch einfaches Ignorieren.

Und viele, die bisher ihre Zielgruppe durch Überflutung erreicht haben, und von deren Publikationsflut auch diejenigen berieselt wurden, die keineswegs den Wunsch danach hatten, werden sich wundern, wie wenig sie bewirken, wenn das Abzapfen, das Öffnen des Ventils jetzt erstmals in die Hand des Verbrauchers gegeben ist und dieser sich für das Zulassen oder nur das tropfenweise Abzapfen besonders guter Tropfen entschließt. Der saure Wein, den man bisher durch großzügiges Öffnen des Zapfhahns verplätschern ließ, bleibt so in den Fässern....

Der Nutzer hat es in der Hand und in die Hand genommen zu entscheiden, was er konsumiert. Der Nutzer wird eine brutal einfache Meßlatte anlegen, die manche und manches Programm zurechtstutzen wird: Er wird einfach fragen "Was bringtÆs mir" und die Hand oder den Finger nur für nützliche Programme rühren. An dieser Meßlatte werden viele, die sich heute noch als gut und groß empfinden, auf ihren zwergenhaften Wuchs aufmerksam gemacht.

Blutige Nase geholt

Und die jetzt noch möglichen Sandkastenspiele, die Sandkuchenbastelei mit CB-Funk-Charakter, wird bis auf Ausnahmen von Kalkül und Kalkulation verdrängt - und auch Anbieter werden (sich) fragen - was bringtÆs? Und der streichende Rotstift wird das streichen - was nicht das an Einnahmen bringt, was es bringen müßte.

Die Chance liegt im uralten Gesetz: Befriedige Bedürfnisse und Deine Bedürfnisse werden befriedigt werden. Und so haben nur Btx-Programme Chancen, die wirklich Zeit und Wege sparen (home-banking), die Zeit sparen und die, die Geld sparen oder bringen.

Und mit einem Deckmäntelchen an dürftiger Neutralität über dicker Werbung wird es nicht getan seine. Man merkt die Absicht - und ist verstimmt!

Und leider gibt es in der jetzigen Pionier-Phase viele solcher Fehlversuche. Mancher der Pioniere allerdings hat gelernt, sich heute schon die blutige Nase geholt, die anderen noch bevorsteht. Doch das Pionierdasein dieser Avant-Garde hat nicht nur Vorteile: Wer bisher Bildschirmtext und seine Vorfeldversuche nur beobachtete und auf eine Beteiligung verzichtete, ob als Anbieter oder Teilnehmer, hat zumindest einen Vorteil: Technisch gesehen überspringt er eine Gerätegeneration, die durch Einführung des vielgepriesenen neuen Standards obsolet geworden ist. Aus dem Stand sind so die Newcomer auf dem gleichen Stand wie Btx-Pioniere, die die entbehrungsreichen Primitivzeiten von Btx durchlebt und durchlitten haben und aus ihren Erfahrungen, die unter anderen (technischen) Bedingungen gesammelt wurden, nicht den Nutzen ziehen können, die sie sich als Avantgardisten erhofft hatten. Die auf dem Btx-Anbietertreff in Stuttgart erhobene Forderung, solchen Pionieren wenigstens in irgendeiner Form einen geldwerten Vorteil zu verschaffen, erscheint damit logisch.

In jedem Fall ist Bildschirmtext ein Medium, das und dessen Umfeld man sachlicher, ohne blauäugige Wunschdenkerei, ohne misanthropische Miesmacherei und konter-evolutionäre Ängstlichkeit und Agression betrachten sollte. Vor allem Sachlichkeit tut not!

*Wolfgang G. Trapp ist Chefredakteur der Fachzeitung "Produktion", Landsberg