SNI-Trauma: Wie Wessis und Ossis

05.04.1991

Für Wirtschaftsjournalisten ähnelt die Siemens AG "einer Bank mit angeschlossenem Elektroladen". Die Mitarbeiter des Münchner Multis hören es übrigens nicht ungern, wenn man ihr Unternehmen solchermaßen tituliert. Wie alle verkappten Beamten -und gemeint sind hier arbeitslebenslänglich bei einer großen Organisation Bedienstete - haben sie allerdings etwas dagegen, daß man sie öffentlich als Beamte bezeichnet. Bereitwillig würde man ja dem Siemens-Vorstand folgen wollen, der einen "neuen Geist" in der Mannschaft beschwört. Leider ist davon nicht viel zu spüren. Die SNI-Ehe ist geradezu ein Lehrbeispiel dafür. Bei der jetzt in München abgehaltenen Hauptversammlung der Siemens AG wurde die Art und Weise der Ausgliederung der Daten- und Informationstechnik und der Zusammenlegung des DI-Bereiches mit der Nixdorf Computer AG zur Siemens Nixdorf Informationssysteme AG (SNI) von einigen Aktionären kritisiert. Kaske und Co. blieben die Antwort auf die Frage schuldig, wann SNI mit einem Gewinn abschließen wird. Daß da ein Zusammenhang besteht, ist offenkundig.

Die SNI wurde 1990 mit viel Vorschußlorbeer seitens der Wirtschaftspresse bedacht. Mittlerweile ist die Euphorie in Schadenfreude umgeschlagen. Die SNI-Spitze gibt sich zwar nach wie vor gelassen, tatsächlich aber ist Feuer unter dem Dach. Es stellt sich nämlich heraus, daß die Nixdorf-Schwierigkeiten unterschätzt wurden. Hauptkritik jedoch: Das frühere Nixdorf-Management habe die Probleme unter den Teppich gekehrt. Diese Erkenntnis mag für das Ego der heute Verantwortlichen wie Balsam sein, sie bringt freilich keine neuen Aufträge. Das ist das Bedenkliche, denn der Vertrauensbonus, den Siemens, die "Bank" (siehe oben), eingebracht hat, schmilzt dahin - nicht nur bei den eigenen Mitarbeitern. Denen beginnt zu dämmern, daß sie sich auf etwas Unkalkulierbares eingelassen haben. Das erklärt die Turbulenz auf der HV.

Jetzt rächt sich überdies, daß der Siemens-Vorstand versäumt hat, den DI-Leuten reinen Wein einzuschenken. Diese wurden de jure der Nixdorf-Hoheit unterstellt, gehören eben nicht mehr zum Stammhaus, was finanzielle Konsequenzen nach sich zieht. Zwar wurden den DI-Mitarbeitern für eine dreijährige Übergangsfrist gleichbleibende Bezüge garantiert, doch viele denken bereits an die Zeit danach - die Stirnfalten werden tiefer.

Antworten geben kann nur ein SNI-Management, das die Marktrealitäten wahrnimmt und anerkennt. Die IBM blind zu kopieren, wie das die BS2000-Marketiers tun (siehe Interview, Seite 26), zeugt indes eher von Ratlosigkeit. Die frommen Sprüche von der heilen proprietären Welt ziehen nicht mehr. Ein Proprietary-Hersteller benötigt Macht - und die räumen ihm die Anwender heute nicht mehr ein. Quo vadis, SNI?