Kurspotential doch nicht so groß, wie Haussiers in ihrer Euphorie meinen:

Skepsis bei Entwicklung der Technologiewerte

01.07.1983

An den meisten bedeutenden Aktienmärkten der Welt weist die Tendenz ungebrochen nach oben, wenngleich nicht geleugnet werden kann, daß die Auftriebskräfte vor allem in Wall Street der Erschöpfung nahe zu sein scheinen. Unter Börsianern dort wird nach wie vor heftig darüber diskutiert, ob und wann die eigentlich seit Monaten erwartete und nach allen herkömmlichen Maßstäben überfällige allgemeine Kurskorrektur nach unten hin einsetzt.

Die wohl herrschende Meinung geht dahin, daß eine solche Korrektur, die das Kursniveau um mindestens 10, vielleicht sogar mehr als 15 Prozent drücken könnte, nicht eintreten wird, solange der Mittelzufluß bei den institutionellen Anlegern so hoch bleibt wie bisher. Diese mit Abstand größte und damit auch einflußreichste Anlegergruppe steht angesichts des Geldzustroms unter Anlagezwang und nutzt selbst geringfügige Rückschläge zum Kauf.

Ferner geht die herrschende Meinung dahin, daß die laufende Hausse in Wall Street und an anderen Börsen keine Frage von Wochen oder Monaten, sondern von Jahren ist. Es gibt Prognosen, nach denen sich wenigstens der amerikanische Aktienmarkt im Rahmen eines sogenannten "Superzyklus" bis weit in die neunziger Jahre hinein nach oben bewegen wird. Daß eine solche große Hausse immer wieder von kleineren gegenläufigen Zyklen unterbrochen wird, gilt als ganz natürlich.

Heiß diskutiert wird im Rahmen dieses langfristigen Bildes auch die Frage, wie sich die Technologieaktien in überschaubarer Zukunft entwickeln werden. Diese Gruppe zählt zweifelsfrei zu den Hauptgewinnern des laufenden, seit August 1982 dauernden Aufschwungs. Neuerdings scheint sich das Argument durchzusetzen, daß das Kurspotential der Technologiewerte aus rein börsentechnischen Gründen zunächst doch nicht so groß sein könnte, wie es viele Haussiers in ihrer Euphorie heute noch beschreiben.

Der Haupteinwand der Skeptiker besteht darin, daß sich private und besonders institutionelle Anleger seit dem Sommer des vergangenen Jahres auf Technologieaktien geradezu gestürzt haben. Die Erwartungen und Hoffnungen in die Kursentwicklung dieser Papiere, die schon frühzeitig sehr hoch waren, werden immer höher gesteckt. Damit rückt der Punkt näher, an dem sie die realistischen Möglichkeiten überholen und zu Illusionen werden.

Flächenbrand möglich

Die Börsenerfahrung zeigt, daß in solchen Situationen selbst geringfügig erscheinende Enttäuschungen einen Flächenbrand auslösen können. Als erstes Warnsignal in diese Richtung werten kritische Analytiker den drastischen Kurseinbruch bei Texas Instruments, einem Unternehmen, dessen Finanzposition und längerfristiges Ertragspotential von Analytikern als herausragend eingestuft werden.

Ein weiterer, nach Meinung börsentechnisch orientierter Analytiker sehr wichtiger Aspekt ist darin zu sehen, daß Technologieaktien in den Portefeuilles institutioneller Anleger überrepräsentiert sind. Im amerikanischen Börsenjargon spricht man von "overowned". In einer solchen Phase wachsen die Hemmungen der Fondsmanager die Übergewichtung noch weiter voranzutreiben, weil ein Kursrückschlag der so bevorzugten Gruppe das Gesamtergebnis des Portefeuilles akut gefährden kann.

Die institutionellen Anleger scheiden also von irgendeinem Punkt an als einflußreiche Käufer von Technologieaktien aus und halten diese Papiere nur noch in der Hoffnung auf weitere Kursgewinne. In diesem Stadium werden die institutionellen Anleger also zu potentiellen Verkäufern, weil das Halten der Aktien alleine keinen Sinn hat. Man muß auch Gewinne mitnehmen, bevor die breite Anlegermasse zum Verkaufen ansetzt.

Diejenigen, die fest mit einer Fortsetzung des Höhenfluges der Technologieaktien rechnen, müssen sich fragen lassen, was geschieht, wenn die vormaligen einflußreichen Käufer nicht mehr kaufen oder gar zu Gewinnmitnahmen übergehen. Die Antwort ist einfach: Die Kurse werden stagnieren und abbröckeln. Dies kann durchaus in einem Augenblick geschehen, in dem geradezu phantastische Unternehmensgewinne bekanntgegeben werden.

In diesem Fall wird man sagen, daß die Börse diese Nachrichten bereits hinlänglich in den Kursen vorweggenommen habe. Es kann aber auch sein, daß in einer Phase, in der es an kurstreibenden Käufern mangelt, enttäuschende Nachrichten die Runde machen. Dann kommt die Gefahr eines weitreichenden, von Panik erzeugten Kursrutsches auf.