Das neue Urheberrecht

Sind die letzten Tage der Freiheit gezählt?

28.03.2003
Noch in diesem Jahr wird im Bundestag ein neues Urheberrecht verabschiedet. Es sieht einschneidende Veränderungen für die zulässige Nutzung digitaler Werke vor. Betroffen sind sowohl der berufliche als auch der private Bereich. Von Sebastian Wündisch*

Es ist so weit: Schenkt man dem Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" Glauben, so steht die Übernahme der mächtigsten Demokratien der Welt durch ein zentral gelenktes Industriekartell unmittelbar bevor. Der freie Zugang zu Wissen werde unter die Kontrolle einer selbst nicht kontrollierbaren Allianz der Großindustrie gestellt. Durch eine unmittelbar bevorstehende Änderung des Urheberrechtsgesetzes soll diese Herrschaft rechtlich abgesichert und staatlich sanktioniert werden.

Tatsache ist, dass das Urheberrecht als originäres Schutzrecht von Software und Content vor einer Novellierung steht, die einen Paradigmenwechsel in seiner Geschichte bedeutet. Erstmalig schützt das Gesetz nämlich Vorrichtungen, die den Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken beziehungsweise deren Nutzung technisch verhindern. Nicht erst die Kopie des Werkes, sondern bereits die Umgehung des Kopierschutzes beziehungsweise der Verkauf und sogar die Bewerbung entsprechender Tools stellen künftig schon strafbare Urheberrechtsverletzungen dar. Warum diese gravierenden Maßnahmen?

Nach heutigem Verständnis belohnt die Rechtsordnung den Urheber für seine geistige Leistung mit einer dem Eigentum vergleichbaren Rechtsposition, um ihm die finanzielle Beteiligung an der Verwertung seiner Schöpfung zu sichern. Denn nur wenn der Urheber, in der Regel gegen Entgelt, in die Vervielfältigung, Verbreitung oder Bearbeitung eingewilligt hat, kann ein Dritter diese Handlungen vornehmen, ohne mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen rechnen zu müssen. Hier zeigt sich der wesentliche Nachteil des geistigen Eigentums im Unterschied zum körperlichen: Letzteres kann bereits vor Diebstahl geschützt werden, indem man es in einen Tresor legt.

Dem geistigen Eigentum fehlt dieser natürliche Schutz, da das Urheberrecht nur an der geistigen, immateriellen Leistung seines Schöpfers besteht. Der Rechteinhaber kann daher lediglich mittels der Rechtsordnung unerlaubte Nutzungen unterbinden. Zur sinnvollen Verwertung seiner Rechte ist er jedoch darauf angewiesen, Vervielfältigungsstücke seines Werkes in den Verkehr zu bringen, sprich zu verkaufen. Wenn aber Kopien an Dritte verkauft werden oder diese sich auf andere Weise Zugang zu einem Werk verschaffen, wird dem Rechteinhaber die Kontrolle darüber entzogen, ob der Käufer weitere Kopien anfertigt und damit - sofern er nicht dazu berechtigt ist - geistigen Diebstahl begeht.

Digitalisierung und Internet

Spätestens Mitte der 90er Jahre wurde deutlich, dass die digitale Revolution nur mit der Erfindung der Buchdruckkunst vergleichbare Auswirkungen auf den Schutz und die Verwertung geistiger Werke wie Musik, Fotografien, Filme, Bücher sowie Software hat. Plötzlich war es nicht nur möglich, vom Original nicht unterscheidbare Kopien eines Werkes in nahezu unbegrenzter Anzahl herzustellen, sondern diese auch durch das Internet an eine ebenfalls unbegrenzte Vielzahl von Adressaten weiterzugeben. Der gesetzliche Schutz vor unerlaubter Vervielfältigung und Verbreitung stand mit einem Mal nur noch auf dem Papier; die Kontrolle und Durchsetzung des Urheberrechts war angesichts der jetzt möglichen Anzahl von Kopien wie auch der unzähligen Verbreitungswege kaum noch zu gewährleisten.

Technischer Kopierschutz

Als Folge daraus wurde die Entwicklung von Kopierschutzmechanismen forciert. Auf diese Weise sollen die ebenfalls technisch bedingten Fortschritte in der Kopier- und Verbreitungstechnik ausgeglichen werden. Da jede technische Verschlüsselung oder sonstige Schutzvorrichtung irgendwann umgangen werden kann, werden nun mit Hilfe einer Änderung des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) der eigentlichen Urheberrechtsverletzung vorausgehende Handlungen unter Strafe gestellt. Die neuen Paragrafen 95 a ff. UrhG sehen folgende Regeln vor:

-Verbot der Umgehung von Zugangs- und Kopierschutzvorrichtungen;

-Verbot der Herstellung, des Verkaufs und der Werbung im Hinblick auf Vorrichtungen, Erzeugnisse sowie Dienstleistungen, deren Ziel die Umgehung von Zugangs- und Kopierschutzvorrichtungen ist;

-Verbot der Entfernung von digitalen Wasserzeichen und sonstiger Hinweise auf den Rechteinhaber.

Diese neuen Vorschriften werden voraussichtlich noch in diesem Jahr vom Bundestag verabschiedet. Das Urheberrecht wird also ausgeweitet und umfasst künftig nicht nur das Verbot unerlaubter Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes als solches. Bereits die Umgehung von Zugangs- beziehungsweise Kopierschutzmaßnahmen wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Außerdem werden auch die Hersteller und Vertreiber entsprechender "Umgehungsmaßnahmen" - ohne dass sie selbst Kopien herstellen oder den Kopierschutz umgehen - zu Straftätern.

Die Weichen für den verstärkten Schutz geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter sind - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - schon Mitte der 90er Jahre auf internationaler Ebene gestellt worden; die jetzige Anpassung des deutschen Urheberrechts ist nur der Abschluss dieser Entwicklung. Aufgrund der zwingenden internationalen Vorgaben ist kaum mit wesentlichen Änderungen im laufenden Gesetzgebungsverfahren zu rechnen.

Umgesetzt wird der technische Urheberschutz durch zahlreiche Maßnahmen der Rechteinhaber, die unter den Stichworten Digital-Rights-Management (DRM), TCPA und Palladium die Fachpresse beherrschen. Auf diese Weise sollen die Rechner der Endverbraucher direkt und individuell kontrolliert werden und damit die Nutzung von ausschließlich legal lizenzierter Software und Content sicherstellen.

Mittels dieses Instrumentariums können die Verwerter ihre Rechte direkt auf den Endgeräten der User verwalten und die Nutzung individuell abrechnen. Durch Vereinbarungen mit dem jeweiligen Endnutzer (End-User-Agreements) werden zusätzliche vertragliche Pflichten begründet. Ob damit nicht doch der gläserne Nutzer geschaffen wird, muss die Zukunft zeigen, wobei der rechtliche Anknüpfungspunkt weg vom Urheberrecht auf die Gebiete des Datenschutzes, des Persönlichkeitsrechts wie auch vor allem des Kartellrechts verlagert wird. Es erscheint aber angesichts der Sensibilität der User nicht ausgeschlossen, dass Kontrollexzessen der Rechteinhaber wirksam begegnet werden kann.

Bisher war es gesetzlich zulässig, dass Privatpersonen einzelne Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken (mit Ausnahme von Software) zum privaten Gebrauch anfertigen. Dieses so genannte Recht auf die Privatkopie soll im Grundsatz auch nach der Gesetzesänderung erhalten bleiben. Sofern ein geschütztes Werk mit technischen Maßnahmen vor der Vervielfältigung geschützt wird, ist der jeweilige Rechteinhaber verpflichtet, dem Endnutzer zur Herstellung von Privatkopien den Kopierschutz zu entsperren.

Nichtdigitale Kopien

Freilich soll diese Verpflichtung nur für die Anfertigung nichtdigitaler Kopien auf analogen Trägern gelten, da das Gesetz nur eine "fotomechanische" Vervielfältigung auf Papier oder einem ähnlichen Träger erlaubt. Das zulässige Speichermedium für die Privatkopie wird aus dem digitalen Umfeld herausgelöst und auf analoge Datenträger beschränkt. Von dem Recht auf die Privatkopie ausgeschlossen bleibt jedoch individuell abrufbarer Content wie Video on Demand oder wirtschaftlich vergleichbare Dienste wie Pay per View. Hier hat der Nutzer keinen Anspruch auf eine Entsperrung durch den Rechteinhaber.

Das konzertierte Vorgehen von Industrie und Gesetzgebung legt tatsächlich den Schluss nahe, dass die letzten Tage der Content-Freiheit gekommen sind. Richtig ist dies allerdings nur dann, wenn man den Gratiszugriff auf von Dritten geschaffenen und urheberrechtlich geschützten Content beziehungsweise Software als Ausdruck dieser Freiheit versteht. Diese Nutzung war aber bereits nach bisherigem Urheberrecht unzulässig, praktisch jedoch kaum zu verfolgen. Vielfach wird nun argumentiert, der freie Zugang zu Wissen werde durch die geplanten und in Umsetzung befindlichen Maßnahmen behindert, wenn nicht gar ausgeschlossen.

Free Access vs. Access for free

Free Access zu Wissen, Information und Unterhaltung sollte jedoch nicht mit Access for free verwechselt werden. Bei aller notwendigen Skepsis darf eines nicht vergessen werden: Wovon soll die viel zitierte "Wissens- und Informationsgesellschaft" leben, wenn ihre Produkte, also die Verkörperung von Wissen und Information, nicht effektiv vor Ausbeutung durch Dritte geschützt werden? Über den Grad dieser Effektivität lässt sich sicher streiten, über das Bedürfnis eines verstärkten Schutzes geistiger Werke nicht. (ajf)

*Sebastian Wündisch ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz sowie Lehrbeauftragter für Medien- und IT-Recht an der Technischen Universität Dresden.