Siemens-Nixdorf muß weiter Personal abbauen

Siemens: Gefährliches Defizit der Tochter SNI

28.08.1992

MÜNCHEN (CW) - Die Situation bei SNI spitzt sich zu. Anläßlich ihrer Gründung mit Vorschußlorbeeren bedacht, hat die Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG immer noch kein eigenes Profil entwickelt, hängt mehr denn je am Finanztropf der Siemens AG. Kurz vor Ende des zweiten wieder verlustbringenden Geschäftsjahres hat SNI-Chef Hans-Dieter Wiedig ein weiteres Maßnahmenpaket vorgelegt, das die Wende bringen soll. 6000 SNI-Mitarbeiter müssen gehen. Doch an der Produktfront tut sich recht wenig.

Zwei Jahre nach ihrer Gründung kann die SNI AG weder mit einer von Altlasten befreiten, einheitlichen Produktpalette im Hardwarebereich noch mit einem durchgängigen Softwarekonzept aufwerten. Zudem hat es die Führungsmannschaft bisher nicht geschafft eine langfristig gültige Unternehmensstrategie zu entwickeln. "Von ganz oben bis ganz unten irren die SNI-Leute relativ strategielos durch die Gegend. Solange die Grabenkämpfe zwischen dem Nixdorf- und dem Siemens-Lager nicht - beendet sind, kann es auch keine klare Strategie geben", erklärte ein Unternehmensberater und SNI-Kenner.

Darüber hinaus befinden sich nach Meinung von Branchenbeobachtern, und Analysten noch immer zu viele Leute an Bord, ist die Herstellungstiefe zu groß, sind die Produktionskosten zu hoch.

"Wenn die SNI die Belegschaft um 50 Prozent reduziert, dann hat sie eine Größe, mit der sie überleben und dezentral arbeiten kann", analysiert ein der CW namentlich bekannter Experte.

Dieser Ballast zusammen mit der Branchenkrise wirken sich auf den Erfolg des Unternehmens aus. So kann weder der aufgelaufene Verlust in Höhe von 780 Millionen Mark wie geplant im Geschäftsjahr 91/92 halbiert werden noch der Umsatz wunschgemäß von 12,1 auf 14 Milliarden Mark wachsen. Insgesamt rechne der Vorstand mit einem "ordentlichen einstelligen Umsatzplus", erklärte Wiedig gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Mit Aussagen Über das Erreichen der Gewinnzone hielt er sich ebenfalls zurück: "In Anbetracht der vielen Unwägbarkeiten die die gesamte Branchensituation derzeit kennzeichnen, wäre eine solche Aussage zum gegenwärtigen Zeitpunkt unseriös."

Auch im Zentralvorstand der Siemens AG hat man sich offenbar bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß weitere Verluste aus dem Computergeschäft ins Haus stehen. Der designierte Vorstandsvorsitzende der Siemens-AG, Heinrich von Pierer, sagte in bezug auf die niedrige Umsatzrendite des Münchner Elektroriesen in einem Interview mit dem "Manager Magazin": "Beeinträchtigt wird unser Ergebnis unter anderem dadurch, daß wir einige dicke Klötze am Bein haben. Der eine ist der Halbleiter-Bereich, und der andere ist Siemens-Nixdorf"

Von Pierer scheint unschlüssig über die künftige Strategie der SNI: "müssen wir alles selbst machen? Auch das muß rasch geklärt werden. Da kann ich mich aber noch nicht festlegen." Im gleichen Atemzug bezeichnete er die Datentechnik als Kerngeschäft der Siemens AG, das "vor allem für integrierte Systeme wichtig" sei.

Der neue Siemens-Chef räumte in dem Gespräch ein, daß Siemens bei den Akquisitionen von Nixdorf, Rolm, Bendix und Plessey Lehrgeld gezahlt habe. Angesichts härterer Konkurrenz und niedrigerer Margen könne die Siemens AG "Verlustgeschäfte nicht ewig weiterführen. In diesen Fällen werden wir mit aller Konsequenz daran arbeiten, den Turn-around zu schaffen. Wenn uns dies nicht gelingt, müssen wir uns auch andere Konsequenzen überlegen."

Die Malaise der SNI hat Vorstandschef Wiedig erst jetzt gut einen Monat vor Ende des zweiten verlustreichen Geschäftsjahres - zur Ankündigung weiterer Sparmaßnahmen veranlaßt. Den ursprünglich

3000 gestrichenen Stellen sollen rund 6000 weitere folgen. Davon fallen 1000 Jobs an die Mutter Siemens, weil im Zuge der angekündigten Straffung der Geschäftsfelder das 8818-Geschäft der SNI dem Siemens-Bereich "Private Kommunikation" angegliedert wird.

Neben der Produktion in Berlin wird nun auch das Druckerwerk der SNI in Köln seine Tore schließen (550 Angestellte), und anstatt - wie bisher geplant jährlich 600 Millionen Mark einzusparen, will man bis zum Geschäftsjahr 1994/95 zusätzliche Kosten in Höhe von einer Milliarde Mark pro Jahr kappen. Als weiteren konkreten Schritt hat die SNI angekündigt, die Fertigungskapazitäten in Paderborn zu reduzieren und dort 700 Mitarbeiter zu entlassen. Außerdem werde die seit Mai verordnete Kurzarbeit in beiden Paderborner Werken über den September hinaus fortgeführt. Weitere Produktionsstandorte seien nicht gefährdete betonte Wiedig, allerdings müßten eventuell "Personalanpassungen" vorgenommen werden, wenn sich die Auslastung der beiden westfälischen Werke nicht erhöhen.

Helmuth Gümbel, Analyst der Gartner Group, hält den Stellenabbau noch nicht für ausreichend: "SNI muß bei einer Beschäftigtenzahl zwischen 30 000 und 40 000 landen. Sollten sie tatsächlich 6000 Stellen streichen, liegen sie immer noch bei 43 000 Mitarbeitern; folglich muß noch eine weitere Senkung erfolgen." In einem Interview mit der COMPUTERWOCHE (siehe Seite 6) wirft er dem SNI-Management vor, "den großen Schnitt, der so nötig wäre", nicht zu wagen.

Die Wiedig-Mannen haben verschiedene Gebiete ausgemacht, die von dem zweiten, erweiterten Sanierungsplan besonders betroffen sind. So sollen, wie bereits angekündigt, die Bereiche PC und Hochleistungsdrucker unter einer Führung zusammengefaßt und eine produktgerechte Vertriebsstruktur geschaffen werden. Das Ende unrentabler Produkte ist ebenfalls Bestandteil des Plans. Darüber hinaus wollen die Verantwortlichen in Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Service und Logistik sparen. Für die Produktion bedeute das vor allem die Reduktion der Fertigungstiefe durch vermehrte Zukäufe und Kooperationen mit anderen Herstellern auf Teilgebieten. In erster Linie der Vertrieb, dann erst Produktion und Entwicklung werden laut Wiedig von diesem zweiten Maßnahmenpaket profitieren. Es soll mehr Personal an die "Kundenfront", sagte er gegenüber der SZ.

Noch hat es SNI nicht verstanden, die Produktpalette zu bereinigen. Im Unix-Bereich machen sich immer noch die Targon-Familie von Nixdorf und die MX-Serie von Siemens gegenseitig Konkurrenz. Der 8870-Serie hat man - obwohl sie nicht mehr weiterentwickelt wird - aus Mangel an Alternativen immer noch nicht den Gnadenstoß versetzt, das gleiche gilt für die 8870/Quattro. Zwar sollen MX und Targon zusammengeführt, den Kunden die Wahl zwischen CISC- und RISC-Maschinen gelassen werden, "aber das dauert auch länger, als wünschenswert wäre", klagt Joachim Zeiner, Vorstandsmitglied des Siemens-Anwendervereins Save. "Wir betrachten das mit gesunder Skepsis." Außerdem habe SNI das Versprechen, ihre BS2000-basierten Rechner als Daten-Server in Client-Server-Konzepten einsetzbar zu machen, bisher weder wahrgemacht noch Vertrauen erweckende Schritte in diese Richtung unternommen.

Nicht zuletzt deshalb glaubt Gümbel, daß es im BS2000-Bereich "kein Neukundengeschäft" mehr gebe und wahrscheinlich kein Wachstum mehr zu verzeichnen sein werde: "Meines Wissens stellen nahezu alle Großkunden Überlegungen an, sich von SNI freizuschwimmen."

Im PC-Bereich bietet SNI - inzwischen sogar zu konkurrenzfähigen Preisen - das an, was andere auch im Portfolio haben. Allerdings wird sich hier erst noch zeigen müssen, ob die Auslagerung in einen eigenständigen Geschäftsbereich und die Erschließung neuer Vertriebswege den gewünschten Effekt zeitigen, die Kosten zu dämpfen und die Marktpräsenz zu erhöhen. Viel verdient werden kann dort angesichts des Preisverfalls nicht. Zusammen mit Druckern und sonstigen Produkten bringen die PCs heute ein Drittel des Hardware-Umsatzes, Großrechner und mittlere Computersysteme teilen" sich Wiedigs Ausführungen in der SZ zufolge die übrigen zwei Drittel.

Bei den mittleren Computersystem en, die von der angestammten Nixdorf-Klientel gekauft wurden, ist die Marktakzeptanz indes zur Zeit alles andere als gut. Eine 1990 durchgeführte Befragung des Interessenverbandes der Nixdorf-Anwender (INA) unter knapp 500 der insgesamt 35 000 Anwender der 8870 ergab, daß sich 37 Prozent mit Umstiegsgedanken trugen. Damals wollten sie entweder auf IBMs AS/400, auf PC-Netze oder auf Unix-Lösungen umsatteln Das Unix-Angebot der SNI war dabei für viele allerdings nur die zweite Wahl. Die Befragten beklagten vor allem zu lange Reaktionszeiten, schlechte Informationsflüsse innerhalb des Unternehmens und unzureichende Mitarbeiterqualifikationen.

Ob die im Juni verkündetete Auslagerung des Mittelstandsvertriebs an vorerst 23 Werksvertretungen diesem Segment wieder auf die Füße helfen kann, halten Beobachter für fraglich, auch wenn SNI-Vorstandsmitglied Heinz-Dieter Wendorff erklärte: "Als Global-Player können wir über die Werksvertretungen diese Klientel künftig besser bedienen und mehr Marktanteile gewinnen." Ein Uternehmensberater hält dagegen: "Die Werksvertretungen können nicht genug Masse bewegen. Die meisten sind nicht in der Lage, mehr als 50 bis 100 Kunden zu betreuen, weil sie sich sonst übernehmen; und ich glaube nicht, daß man so genügend Power entwickeln kann."

Vermehrte Aktivitäten Im DV-Servicebereich

Doch nicht nur im Hardwaresektor des Mittelstandsgeschäfts muß gekämpft werden. Branchenkenner verweisen auf Comet, ein ursprünglich proprietäres Anwendungssoftware-Paket, mit dem in den vergangenen zwei Jahren zu vieles zu halbherzig probiert wurde: Nach vielem Hin und Her entschieden sich die Manager schließlich dafür, das Unix-basierte Nachfolgepaket ALX über die Werksvertretungen dem unteren Mittelstand anzubieten und den größeren Anwendern mit entsprechener Hardware-Ausstattung das Paket R3 von SAP nahezulegen. Das hat zu einer Verunsicherung der Kunden geführt, die nicht mehr wissen, welches Paket nun das strategische ist und wie lange ALX Oberhaupt noch weiterentwickelt wird. Hans Peter Nickenig, Vorstandsvorsitzender der Nibeg, glaubt jedenfalls nicht, daß SNI auf Dauer zwei Pakete mit dem gleichen Hintergrund unterstützen wird: "ALX ist ein Produkt, das die Comet-Anwender noch solange bei der Stange halten soll, bis R3 einen gewissen Reifegrad erreicht hat."

Da sich das Unternehmen im Hardware- und im Softwaregeschäft nach der Decke strecken muß, wird nun nach anderen umsatzträchtigen Geschäftsfeldern Ausschau gehalten. Wie andere vor ihnen glauben die Siemens-Verantwortlichen bei der Systemintegration fündig geworden zu sein. Das deutet nicht nur der Satz von Pierers über die Wichtigkeit der Datentechnik bei integrierten Systemen an, sondern auch die verstärkten Aktivitäten, des konzern-intemen Softwarehauses SNI Anwendungssoftware und Projekte (AP). Die rund 4000 Mann starke Einheit machte im vergangenen Jahr weltweit einen Umsatz von 704 Millionen Mark. Davon stammten nach Angaben ihres Direktors Rudolf Duschl 50 Prozent aus dem eigenständigen Beratungsgeschäft und aus Integrationsprojekten für Kunden verschiedener Siemens-Geschäftsbereiche.

"Wir müssen die verfallenden Hardwaremargen durch Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich kompensieren, also beim System-Engineering sowie bei der Organisations- und Systemberatung", betont Duschl. Er geht davon aus, daß die Dienstleistungen seines Bereichs, der in Zukunft selbständiger agieren soll, das Hardwaregeschäft der SNI letztlich wieder beleben könne: "In jedem großen von uns betreuten Projekt bringen wir weitgehend unsere eigenen Produkte zum Einsatz."

Sand im Getriebe der High-end-PC-Entwicktung

Allerdings darf bezweifelt werden, daß AP, auch wenn der Bereich personell ausgebaut wird und Kooperationen mit anderen Softwarehäusern eingeht (siehe Seite 2 "Softlab kooperiert mit SNI "). viel zur Gesundung des Konzerns beitragen kann. Der Chefstratege des Siemens-Konzerns, Vorstandsmitglied Hermann Franz, dämpfte in einem Interview mit der Hauszeitschrift "Siemenswelt" jedenfalls die Erwartungen: "Siemens als Systemintegrator kann nur erfolgreich sein, wenn wir ein wettbewerbsfähiges Produktgeschäft haben. Erfolg mit Systemen hat nur der Wettbewerber, der über innovative Produkte verfügt." Diese sind aber nach Meinung vieler Beobachter bei der SNI Mangelware.

So sei Sand im Getriebe der High-end-PC-Entwicklung. Eine CISC-Maschine auf 486er Basis, den Kunden -unter dem Namen RM 700 -als Nachfolger für die MX 500i angekündigt, verschied vor kurzem per Dekret der Abteilung Produktplanung. Obwohl SNI offiziell die Frage nach den Gründen des Entwicklungsendes unbeantwortet läßt, besagen zuverlässige Informationen aus dem Unternehmen, daß die Labormaschinen der anvisierten Konkurrenz, etwa den 9000ern von Hewlett-Packard, in den Leistungsdaten hoffnungslos unterlegen waren.

Die Frage, ob damit das Ende der CISC-Entwicklung signalisiert werde, beantwortete SNI mit der "Fokussierung der Intel- und Mips-Prozessorlinien". RISC-Maschinen würden vom Monoprozessor bis ins "High-end-Multiprozessor-Segment positioniert", während die Intel-Linie sich stark an die künftig ebenfalls bis hin zu Multiprozessor-Rechnern reichende PC-Technologie anlehne. In den "Kerngebieten" der Informationstechnik werde man weiterhin mit eigenen und zugekauften Produkten vertreten sein.

Die Zukunft von SNI als Hardwarehersteller kann angesichts der in der Branche kursierenden Gerüchte und möglichen Szenarien nicht als gesichert gelten. Einige Beobachter gehen davon aus, daß sich die verschiedenen Geschäftsbereiche der Siemens AG sukzessive die noch umsatzträchtigen SNI-Divisionen einverleiben. Der Rest, so meinen sie, werde ausgelagert und seinem Schicksal überlassen. Andere hingegen halten Wiedigs zweites, Sparpaket für ausreichend, um die SNI wieder in sicheres Fahrwasser zu bugsieren. In einem sind sich alle einig: Der Druck auf das Unternehmen wächst, und der Einfluß der Siemens AG wird immer größer.