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Siemens-Affäre: Neue Vorwürfe gegen Kaeser, Lamprecht und Pauly

23.01.2007
Zwei Angeklagte im Schmiergeldskandal beim Münchner Siemens-Konzern haben einem Pressebericht zufolge neue schwerwiegende Vorwürfe gegen Finanzchef Joe Kaeser sowie gegen Vorstand Rudi Lamprecht und den mittlerweile T-Systems-Chef Lothar Pauly erhoben.

Speziell Kaeser habe seit Jahren Kenntnis davon gehabt, dass Siemens Bestechungsgelder aus schwarzen Kassen gezahlt habe, um TK-Abschlüsse im Ausland zu machen, schreibt das "Wall Street Journal". Lamprecht und Pauly sollen spätestens Anfang 2005 davon erfahren haben.

Die Enthüllungen kommen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt - auf der Hauptversammlung des Münchner Konzerns am Donnerstag dieser Woche dürfte das Management sich mit scharfer Kritik von Aktionären dahingehend konfrontiert sehen, es habe zu wenig gegen Korruption im Unternehmen getan.

Beweise für ein Fehlverhalten könnten zur Folge haben, dass einige Länder Siemens von Ausschreibungen für große Infrastrukturprojekte ausschließen, mit denen der Konzern einen Großteil seines Umsatzes macht. Verkomplizieren könnten sie darüber hinaus die bereits verschobene geplante Fusion großer Teile der Siemens-Netzsparte mit der des finnischen Mobilfunkkonzerns Nokia.

Den Aussagen der langjährigen Siemens-Manager Michael Kutschenreuter und Reinhard Siekaczek zufolge waren die Bestechungen nicht auf die Festnetzsparte beschränkt, sondern fanden auch im Mobilfunkgeschäft statt. Die Ermittlungsbehörden gehen diesen neuen Vorwürfen gerade nach.

Siemens-Sprecher Peik von Berenbostel erklärte dazu: "Herr Kaeser und Herr Lamprecht haben zu keinem Zeitpunkt von Bestechungen gewusst oder waren darin involviert." Die Behörden seien bei ihren Ermittlungen nicht an aktuelle Mitglieder des Siemens-Vorstands herangetreten.

Ein Sprecher der Münchner Staatsanwaltschaft wollte gegenüber dem "Wall Street Journal" keine Stellungnahme abgeben. Ein Rechtsanwalt von Lothar Pauly, inzwischen Vorstand der Deutschen Telekom, erklärte jegliche Vorwürfe, sein Klient habe von Bestechungen gewusst oder sei daran beteiligt gewesen, als "komplett falsch". Ob Pauly im Zuge der Ermittlungen von den Behörden kontaktiert worden sei, wollte er nicht kommentieren.

Die Siemens-Affäre hatte sich im vergangenen Monat ausgeweitet, als der Konzern mitteilte, er habe über die vergangenen sieben Jahre hinweg verdächtige Zahlungen mit einem Volumen von 420 Millionen Euro entdeckt - doppelt so viel wie von den Ermittlern im November ursprünglich angesetzt. Ein halbes Dutzend Verdächtige, darunter Kutschenreuter und Siekaczek, wurden Ende 2006 festgenommen und später wieder auf freien Fuß gesetzt, nachdem sie sich bereiterklärt hatte, bei einer größeren und grenzüberschreitenden Ermittlung zu kooperieren.

Leonard Walischewski, Anwalt Kutschenreuters, erklärte, die Aussagen seines Mandanten seien durch Dokumente belegt. "Hätten die Behörden irgendeinen Zweifel an den Aussagen von Herrn Kutschenreuter gehabt, dann säße er jetzt in Haft", erklärte der Rechtsbeistand. Ins gleiche Horn bläst Anwaltskollege Wolfgang Kreuzer, der Siekaczek vertritt. "Die Polizei hat die Aussagen von Herrn Siekaczek untersucht und verifiziert", sagte Kreuzer.

Sowohl Kutschenreuter als auch Siekaczek galten seit Jahrzehnten als loyale Siemens-Mitarbeiter. Ihre Aussagen sind unter anderem deswegen so bedeutsam, weil sie bei einem Haftprüfungstermin präsentiert wurden, bei der die Ermittlungsbehörden auf alle Widersprüche oder Ungenauigkeiten hätten hinweisen müssen.

Kutschenreuter und Siekaczek werfen Kaeser vor, in seiner Zeit als Finanzchef der Siemens-Mobilfunksparte in die Schmiergeldaffäre involviert gewesen zu sein. Kaeser gehörte von April 2001 bis Oktober 2004 zum entsprechenden Bereichsvorstand.

Siekaczek, der Siemens Ende 2004 nach 40 Jahren verlassen hatte, sagte nach seiner Verhaftung im November aus, Kaeser habe bei der Wireless-Sparte "Leute gehabt, die schwarze Kassen einrichteten".

Joe Kaeser ist seit Mai 2006 Finanzchef des gesamten Siemens-Konzerns. Er folgte dabei auf Heinz-Joachim Neubürger, der das Unternehmen verließ und nach Angaben der Ermittlungsbehörden ebenfalls zu den Verdächtigen in der Siemens-Affäre gehört.

Siekaczek gab zu Protokoll, er selbst habe für einen kurzen Zeitraum um das Jahr 2000 herum an Bestechungen mitgewirkt. Kutschenreuter wiederum sagte im Dezember aus, ein Compliance-Manager habe ihm Ende 2004 oder Anfang 2005 mitgeteilt, Bestechungen bei der Mobilfunksparte seien gang und gäbe.

Damals, so Kutschenreuter, habe er auch mit Lothar Pauly gesprochen, der seinerzeit an der Spitze des zusammengelegten TK-Bereichs Com stand. Pauly habe ihm gegenüber erwidert, die frühere Chefetage der Mobilfunksparte - darunter auch Kaeser und Lamprecht - wisse Bescheid, dass Wireless-Aufträge mit Schmiergeldern erkauft worden seien. Lamprecht leitete den Mobilfunkbereich, bevor er im Oktober 2004 in den Siemens-Zentralvorstand aufrückte.

Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass Kutschenreuter und Siekaczek zu den Drahtziehern eines Bestechungssystems bei der Siemens-Festnetzsparte mit geheimen Bankkonten und gefälschten Beratungsverträgen gehören. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung war Kutschenreuter Chef der Immobilienabteilung von Siemens.

Die Aussagen von Kutschenreuter und Siekaczek wurden laut "Wall Street Journal" in der vergangenen Woche einem Haftrichter vorgelegt, der über die Entlassung des früheren Siemens-Vorstands Thomas Ganswindt entscheiden musste. Ein Anwalt Ganswindts, der wieder auf freiem Fuß ist, erklärte, sein Mandat leugne jegliches Fehlverhalten.

Überhaupt hat die gesamte Siemens-Chefetage seit Bekanntwerden der Affäre jegliche Rechtsverletzungen bestritten. Das Unternehmen betont, es kooperiere voll mit den Ermittlungsbehörden. Diese wiederum haben mitgeteilt, dass sie Konzernchef Klaus Kleinfeld in der Angelegenheit lediglich als Zeugen betrachten und nicht etwa als Angeklagten. (tc)