Kolumne/

"Sich selbst erfüllende Prophetie statt Prognosen"

23.08.1996

Hinter jeder Ecke - so scheint es - lauert heute ein Marktforscher. Unschuldige Flaneure, Hausfrauen, aber auch Manager werden nach ihrem Konsumverhalten, getätigten oder ins Auge gefaßten Investitionen gefragt. Die Auguren schrecken vor keinem Thema zurück: Seien es Eß- und Trinkgewohnheiten, Einstellungen zu Politikern, zum Passivrauchen oder zu Client-Server-Systemen, Mainframes, PCs, Internet und Online-Diensten.

Dabei basieren die veröffentlichten Ergebnisse über den IT-Markt in der Regel auf Angaben der Hersteller, die anhand von Abverkaufszahlen ausgewählter Distributoren auf Plausibilität geprüft werden. Schon deshalb können die Resultate fehlerhaft oder von interessierter Seite beeinflußt sein.

Noch schwerer zu beantworten wird die Frage nach der Brauchbarkeit solcher Untersuchungen, wenn es um Auftragsforschung geht. Obwohl es legitim ist, nach den Wünschen der Anwender zu fragen, um die Produktentwicklung darauf abzustimmen, mißbrauchen viele Hersteller die Prognosen, um daraus eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu fabrizieren. Beispiel: Marktforscher bekommen in einer Befragung unter 100 Anwendern heraus, daß 25 Prozent dabei sind, Client-Server-Lösungen einzuführen und 30 Prozent solche Systeme einrichten wollen. In der Präsentation des Herstellers liest sich das dann ungefähr so: 55 Prozent der Anwender - daß nur 100 befragt wurden, verschweigt man schamhaft - führen zur Zeit Client-Server-Systeme ein oder beabsichtigen solche Lösungen.

Da mit so wachsweichen Aussagen niemand ernsthaft planen kann, können derartige Zitate aus Studien nur dazu dienen, den Anwender unter Druck zu setzen. Nach dem Motto "Zahlen lügen nicht" wird ihm suggeriert, schon bald zu den Ewiggestrigen zu gehören, wenn er jetzt nicht investiert. Das ist pseudowissenschaftlich verbrämt nichts anderes als das, was auch der Verkäufer beim Herrenausstatter immer als letztes Argument bringt: "Das wird gern genommen." Dazu sollten sich seriöse Marktforscher eigentlich zu schade sein, und Produzenten sollten potentielle Käufer nicht für so dumm halten.