Sei nicht plemplem, mach's mit VaueM Dieter Eckbauer

09.10.1987

Dies vorweg: Die Gefahr ist groß, mit dem Bad das gebrannte Kind auszuschütten. Auch "Tu nix mit Unix!" (CW vom 4. Mai 1984, Kolumne) war ja keineswegs als Aufforderung gemeint - sollte zum Nachdenken anregen, was die IBM bei Betriebssystemen im Marktführer-Kalkül hat. Damaliges Fazit, ohne Wenn und Aber: Die realen Machtverhältnisse stehen einem Unix-Durchbruch in der kommerziellen DV-Welt (370, DOS/VSE, MVS) noch entgegen.

Zitat aus der Kolumne vom 8. Februar 1985: "Richtige IBMer überbrücken die Wartezeit bis 1987/88 mit Nichtstun: Dann ist VM/CMS in einer IBM-eigenen Sprache neu geschrieben - keine Chance für C. Beherrschen dann die Armonker die Betriebssystem-Szene, gar mit einem IBMisierten Unix als VM-Gastsystem? Denkbar. Weil die Elite in den IBM-Shops alles tun wird, den derzeitigen Zustand zu konservieren - selbst auf die Gefahr hin. keine Alternativen zu haben." Ende des Zitats.

Das Tu-nix-mit-Unix-Lachen, so die offene Absicht, sollte dem hochverehrten IBM-treuen Publikum im Halse steckenbleiben. Daß hier eine Spur Ironie zuviel letztlich der Provokation die Spitze nahm, war bereits in der VM-Spekulation angelegt. Was nämlich die Software für transaktionsorientierte DV betrifft (Arbeitsplatz- und Abteilungsrechner, Netzwerke), so ist die IBM dabei, VM ins rechte PC/PS -, 9370- und SNA-Licht zu rücken (Seite 1).

Für Branchenkenner ist die IBM-Marschrichtung klar: Mehr Rexx (hier haben wir die gemeinte IBM-Programmiersprache, siehe Zitat), mehr Vnet, insgesamt mehr VM - und alles unter der neuen System-Anwendungs-Architektur SAA. In das Dialog-Betriebssystem "Virtual Machine" wurde zuletzt viel investiert. Das muß sich für die IBM auszahlen. Und so viel Selbstvertrauen darf man den blauen Software-Entwicklern zutrauen, daß sie an VM, gegenüber Unix, festhalten.

Dabei spielt es keine Rolle, daß SAA vorerst nicht viel mehr als ein "virtuelles" Rahmenwerk ist, das ausgefüllt werden muß. Der Mangel an Verfügbarkeit wiegt bei IBM-Großkunden eben nicht so schwer wie das Einrasten der Erwartung: Unix, davon habe ich schon mal gehört, da steckt doch AT&T dahinter - kann also nichts DV-Weltbewegendes sein!

Man wird sich daran gewöhnen müssen, daß die IBM das Rennen um die Vorherrschaft auf dem Betriebssystem-Sektor mit VM noch spannend macht. Und doch sind wir sehr dicht an dem Punkt, wo Hersteller-Abhängigkeit in System-Unabhängigkeit übergehen kann: In der IBM-Welt jedenfalls ermöglicht VM einfachere Konvertierungen und Releasewechsel - Unix-Nachtigall, ick hör' Dir trapsen!

Und nun kommt der Hammer: VM ist ja kein IBM-Eigengewächs, wurde vom Cambridge Institute Ende der 60er Jahre ursprünglich für den Public-Domain-Markt entwickelt. Das heißt: Der kleinste gemeinsame Nenner für einen Betriebssystem-Standard hätte statt Unix auch VM sein können. Zu spät: Was die IBM heute als VM vermarktet, hat die typischen Eigenschaften von Proprietary-Software, zementiert den Status quo, der IBM-gegen-den-Rest-der-Welt-Ausgrenzung bedeutet. Womit wir wieder bei unserem Provokationsversuch wären (siehe oben)-doch diesmal ganz ohne Ironie. Für "alternative" DV-Typen ist klar: Tu was - aber bitte mit Unix!