Warum viele IT-Projekte aus dem Ruder laufen

Schwarze Löcher im Budget

03.09.2004

Gopal Kapur, President des Center for Project Management im kaliforischen San Ramon, ist der Ansicht, dass 77 Prozent aller IT-Projekte nicht mit dem veranschlagten Budget auskommen. Seinen Untersuchungen zufolge wird der ursprüngliche Kostenrahmen durchschnittlich um 169 Prozent überschritten. Und die verbleibenden 23 Prozent der Projektleiter, die angeben, ohne Mehraufwand auszukommen, "nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau."

Möglicherweise sind diese Aussagen nicht eins zu eins auf die Situation in Deutschland übertragbar. Trotzdem lohnt ein Blick auf die Schwarzen Löcher im Projekt-Management und die Gegenmaßnahmen, die die US-Journalistin Mary Brandel gesammelt hat.

Problem: schleichende Erweiterung des Projektumfangs.

Häufig neigen Projektbeteiligte dazu, nach dem Motto "wenn wir schon mal dabei sind" zusätzliche Anforderungen in den Projektkatalog aufzunehmen. Diese Vorgehensweise kann den Umfang des IT-Vorhabens schon in einer frühen Phase ernorm erweitern. Auch gut gemeinte, von den Programmierern eigenmächtig hinzugefügte Features und Funktionen verringern die Produktivität und erhöhen den Testaufwand. Dem Gründer und Chefwissenschaftler des Beratungsunternehmens Software Productivity Research, Capers Jones, zufolge wächst der Umfang auch bei gut geplanten IT-Projekten im Schnitt um zwei Prozent pro Monat.

Lösung: Abhilfe schafft hier eine genaue Abgrenzung von Kernanforderungen, sinnvollen Features und "Nice-to-haves". Bei der Entwicklung des Prototypen sollten Projektleiter darauf achten, sich auf die Kernthemen zu konzentrieren. Notwendige oder gewünschte Ergänzungen können in spätere Versionen einfließen. Projektleiter mit Business-Background sollten hierfür eine IT-Vertrauensperson gewinnen, da sie die technische Komplexität und Abhängigkeiten allein nicht überblicken können.

Problem: überentwickelte GUIs.

Die meisten grafischen Oberflächen werden im Laufe eines Projekts mehrmals stark überarbeitet. Entwickler investieren jedoch bereits zu Anfang viel Energie und Aufwand in die Programmierung möglichst perfekter Graphical User Interfaces (GUIs). Dadurch wird viel Geld verschwendet.

Lösung: Die Entwicklung der GUIs sollte möglichst so lange herausgeschoben werden, bis ein endgültiges Format abgesegnet ist. Für erste Präsentationen reichen farbige Zeichnungen oder mit Zeichenprogrammen erstellte Vorlagen aus.

Problem: wenig Verhandlungsgeschick.

"Sie warten wie Opferlämmer darauf, ausgenommen zu werden", beschreibt Kapur überspitzt die Verhandlungstaktik vieler IT-Professionals. Die wenigsten Projektleiter sind in den Genuss einer Ausbildung gekommen, die sie zu kompetenten Einkäufern machen würde. Während Technologie- oder Dienstleistungsanbieter Profis ins Rennen schicken, schaffen es die Projektleiter selten, das Optimum für ihr Unternehmen herauszuschlagen.

Lösung: Entweder sollten Einkaufsspezialisten hinzugezogen werden, oder die Projektleiter müssen entsprechendes Know-how aufbauen. Hierfür empfiehlt sich unter anderem eine Trainingswoche in der Einkaufsabteilung. Zudem sollten Verhandlungen rechtzeitig geführt werden. Wenn Software auf den letzten Drücker beschafft werden muss, lassen sich keine guten Preise erzielen.

Problem: Das betriebswirtschaftliche Denken fehlt.

Häufig wissen IT-Akteuere zu wenig über wirtschaftliche Zusammenhänge und können deshalb mittel- und langfristige Auswirkungen einzelner Entscheidungen auf ihr Budget nur unzureichend beurteilen.

Lösung: Auch in diesem Bereich muss ein Basiswissen erworben werden. Dazu gehören Kenntnisse der Kapitalwertmethode und grundlegender Controlling-Konzepte.

Problem: der Big-Bang-Ansatz.

Je größer ein Projekt angelegt ist, desto stärker nimmt die Pro-Kopf- Effizienz der Beteiligten ab. Der erforderliche Kommunikationsüberbau, die hohe Zahl an Vorgaben, der beträchtliche Designaufwand sowie häufige Besprechungen treiben die Kosten in die Höhe. Überdies ist die Gefahr des Scheiterns bei Großprojekten deutlich größer.

Lösung: Umfangreiche IT-Vorhaben sollten in überschaubare Teilprojekte zerlegt werden.

Problem: ausufernde Testreihen.

Durch intensive Tests der einzuführenden Lösung wollen IT-Abteilungen 100 Prozent aller Fehler beseitigen. Oft sind sie dabei von schlechten Erfahrungen aus früheren Vorhaben getrieben. Im Ergebnis laufen Zeitpläne aus dem Ruder, und die dafür erforderlichen Ressourcen belasten das Budget.

Lösung: Jedes neue System enthält Bugs. Für ein erstes Release reicht meist eine 80-prozentige Perfektion aus. Dies sollte allerdings offen kommuniziert werden - nicht ohne den Hinweis, dass das IT-Team die auftretenden Fehler schnell beseitigen wird.

Problem: Überschneidungen und Doppelentwicklungen.

Vor allem in großen Unternehmen ohne zentrale IT-Abteilungen wird das Rad oft mehrmals erfunden. Stattdessen könnten Ideen oder Lösungen anderer Unternehmensteile genutzt werden, wenn sie denn bekannt wären.

Lösung: Projektdatenbanken erhöhen die Transparenz und fördern die Zusammenarbeit. Dafür sind keine teuren Tools notwendig. In vielen Fällen reicht eine Liste im Word-Format. Diese muss allerdings möglichst von allen IT-Verantwortlichen gepflegt werden. Für die Durchsuchbarkeit der Projektbibliothek empfiehlt sich die Einführung standardisierter Begriffe und Beschreibungsmuster.

Problem: unpräzise Vorkalkulation.

Wenn Kosten und Zeitaufwand zu Beginn des Projekts falsch geschätzt werden, lassen sich Ressourcen nicht mehr effektiv umverteilen. Müssen beispielsweise zusätzliche Mitarbeiter auf das Projekt gesetzt werden, weil wichtige Meilensteine nicht rechtzeitig erreicht werden, sind sie nicht eingearbeitet und können eventuelle Probleme schlecht beurteilen.

Lösung: Hier hilft nur Schadensbegrenzung. Zusatzressourcen sind so selten wie möglich hinzuzuziehen. Für künftige Projekte sollten Kalkulations-Tools eingesetzt werden.

Problem: Ausgaben und Fertigstellungs- kosten werden nicht überwacht.

Häufig wissen die Projektmitarbeiter nicht, ob sie während des Vorhabens im Kostenrahmen liegen. Einen Rahmen, den sie nicht kennen, können sie auch nicht einhalten.

Lösung: Für jeden Meilenstein müssen Projektleiter gemeinsam mit den Auftraggebern Kostenschwellwerte definieren und überprüfen. Entsprechende Vereinbarungen sollten auch eine Regelung enthalten, wessen Budgets bei Kostenüberschreitungen belastet werden.

Problem: Projekte, die besser nie genehmigt worden wären.

Es kommt vor, dass IT-Abteilungen mit Projekten beauftragt werden, deren geschäftliche Rechtfertigung zumindest fragwürdig scheint.

Lösung: Anstatt sehenden Auges auf ein finanzielles Desaster zuzusteuern, sollte der IT-Verantwortliche das Projekt stoppen oder es zumindest aussetzen. Es gehört zu den Verpflichtungen eines Projekt-Managers, den wirtschaftlichen Nutzen eines Vorhabens zu überprüfen, da nur er den finanziellen Aufwand beurteilen kann. (rg)

Die zehn Kostentreiber

1. Wachsender Projektumfang

2. Zu früh entwickelte Oberflächen

3. Eine schlechte Verhandlungstaktik

4. Fehlendes Betriebswirtschaftliches Denken

5. Unübersichtliche Mammutprojekte

6. Zu umfangreiche Testreihen

7. Doppelentwicklungen

8. Ungenaue Vorkalkulation

9. Kein Kosten-Monitoring

10. Projekte ohne Geschäftsnutzen