Schulen ans Wiki

06.04.2009
Jimmy "Jimbo" Wales, Gründer und Kopf der Online-Enzyklopädie Wikipedia, fordert Social Media als Pflichtfach, appelliert an Microsoft und warnt vor Facebook.

CW: Haben Sie Angst vor Google?

WALES: Nein, ich mag Google sehr. Ich glaube zwar, dass wir wegen seiner Dominanz im Markt alle ein Auge auf die Company haben müssen, aber ich denke nicht, dass Google wie Microsoft ist. Wer Windows nutzt, wird in andere Microsoft-Produkte hineingezwungen. Bei Google ist das nicht so, hier bildet sich Widerstand im Markt durch alternative Angebote. Viel gefährlicher finde ich das unaufhaltsame heimliche Social-Media-Monopol Facebook. Da das Unternehmen noch kein Geld verdient, wirkt es bislang kaum furchteinflößend.

CW: Microsoft hat die Entwicklung seiner Encarta-Enzyklopädie eingestellt. Gute Nachrichten?

WALES: Ja, in unserer modernen Zeit sollten Menschen freien Zugang zu grundlegendem Allgemeinwissen haben. Encarta als klassisches kostenpflichtiges Lexikon hat ausgedient. Ich hoffe, dass wir Microsoft ermutigen können, die Inhalte nun unter freien Lizenzen anderswo – nicht unbedingt bei uns – weiter zu veröffentlichen. Das betrifft aber vor allem die Bilder und nicht den Text.

CW: Schüler und Studenten lernen anders als früher. Der Leitsatz lautet ‚ÄöIch muss nicht alles wissen, ich muss nur wissen, wo ich es nachschlagen kann.` Kann das zum Problem werden?

WALES: Das denke ich nicht. Vor 50 Jahren haben wir alles im Brockhaus nachgeschlagen, jetzt schlagen wir alles bei Wikipedia nach. Der Vorteil heute ist, alles Wissen der Welt in Sekundenschnelle parat zu haben und somit auch ganz andere Möglichkeiten des Lernens aufgezeigt zu bekommen. Schüler und Studenten lernen insgesamt zwar anders, aber im Endeffekt auch viel mehr als früher. Immer mehr Schulen erkennen die Notwendigkeit, Teamarbeit und die gemeinsame Aneignung von Wissen zu fördern. Das kann beispielsweise dadurch geschehen, dass Klassen eigene Wikis entwerfen oder Online-Lexika um Fachinformationen ergänzen, die im Unterricht herausgearbeitet wurden.

CW: "Social Media" als Pflichtfach?

WALES: Das finde ich sehr wichtig. Nicht nur, um den Nachwuchs auf die Anforderungen der Wissensgesellschaft vorzubereiten, sondern auch, um die Grenzen jedes einzelnen Mediums aufzuzeigen. Die Kinder müssen lernen, verschiedene Medien gegeneinander abwägen zu können. Früher gab es nur Zeitungen, Radio und Fernsehen. Mittlerweile haben wir Milliarden Web-Seiten, Blogs, Wikis, Online-Lexika, Tweets und mehr. Jeder Kanal bringt eigene Informationen und Ansichten heraus und bezieht eigene Standpunkte. Nichts davon ist zu hundert Prozent richtig und vollständig. Das eigene Urteilsvermögen, wie viel ich von welchem Medium in meinen eigenen Wissensschatz übernehmen kann und will, muss immer besser geschult werden.