Plazierungserfolg haengt vom Preis der Aktie ab

Schulden und Unerfahrenheit begleiten die Telekom-Emission

29.03.1996

Vorbilder fuer rundum gelungene Privatisierungen hat die Bundesrepublik Deutschland selbst gegeben. So hat sich beispielsweise bei der Volkswagen-Entstaatlichung im Jahr 1961 die Zahl der Privataktionaere in Deutschland mehr als verdoppelt, ingesamt wurde ein Volumen von deutlich mehr als einer Milliarde Mark plaziert (inflationsbereinigt kommt diese Summe der ersten Tranche der Telekom-Emission nahe). Die Aktie hat sich nach der Plazierung verdreifacht. Allen war geholfen: dem Bund, den Aktionaeren und dem Markt.

<H4>Die Telekom braucht das Geld der Privatanleger</H4>

1965, bei der Veba-Privatisierung, gelang es erneut, die Aktien breit zu streuen. Die Anzahl der Privataktionaere erhoehte sich um 2,6 Millionen auf 4,6 Millionen deutsche Depotinhaber.

In der vergangenen Woche wurde in Bonn der Startschuss fuer die Telekom-Plazierungskampagne gegeben. Dabei betont die Deutsche Telekom AG ausdruecklich, dass sich die groesste Privatisierung der deutschen Boersengeschichte ohne Einbeziehung der Privatanleger nicht abwickeln laesst. Schliesslich ist es der einzelne Investor, der mit den von ihm erwirtschafteten Ueberschuessen auch die institutionellen Kapitalsammelstellen wie Versicherungen, Banken und Pensionskassen etc. finanziert.

<H4>Es fehlt die Erfahrung im Wettbewerb</H4>

Dabei wurde deutlich, dass es im wesentlichen drei Huerden gibt, die die Telekom auf ihrem Privatisierungsweg der erst im naechsten Jahrzehnt abgeschlossen sein wird, nehmen muss

- Mangelhafte Akzeptanz der Aktienanlage in Deutschland,

- die weitgehend fehlende Erfahrung mit Wettbewerb sowie

- die historische Verschuldung der Deutschen Telekom AG.

Mit attraktiven Emissionsbedingungen kann die Telekom dazu beitragen, die mangelhafte Akzeptanz der Aktie in Deutschland zu erhoehen, die nicht der Mentalitaet der Bundesbuerger, sondern dem deutschen Universalbanksystem zuzuschreiben ist.

Die fehlende Erfahrung der Telekom im Wettbewerb ist dem Unternehmen nicht vorzuwerfen. Doch es wurde in der falschen Reihenfolge vorgegangen, ein Unternehmen zuerst dem Wettbewerb um Eigenkapital am Aktienmarkt auszusetzen und erst anschliessend den operativen Markt des Unternehmens der Konkurrenz zu oeffnen. Die Hauptwettbewerber der Telekom werden die deutschen Versorgungsunternehmen sein, eingebunden in internationale Allianzen.

Mit dem stabilen Cash-flow aus dem Versorgungsgeschaeft und dem direkten Zugang zum Endkunden ueber vorhandene Verteilungsnetze wird sich ab 1998 ein heftiger Wettbewerb entwickeln, der die Margen nachhaltig unter Druck bringt. So musste beispielsweise die British Telecom aufgrund der geoeffneten Telekommunikationsmaerkte in Grossbritannien mehr als die Haelfte der zum Zeitpunkt des Boersengangs Beschaeftigten entlassen. In diesem Bereich (Personalrestrukturierung) duerften in den kommenden Jahren Kosten in Milliardenhoehe auf die Telekom zukommen.

Die zukuenftigen Wettbewerber der Telekom verfuegen ueber gesunde Bilanzen. Nicht so die Telekom. Per 31. Dezember 1994 war das Unternehmen noch mit 123,5 Milliarden Mark verschuldet. Diese Belastung konnte bis zum 31. Dezember 1995 auf 105 Milliarden Mark zurueckgefuehrt werden. Geht man davon aus, dass bis zur Emission eine weitere Entschuldung gelingt, so duerften zu diesem Zeitpunkt der Emission noch Verbindlichkeiten in einer Groessenordnung von schaetzungsweise 90 bis 95 Milliarden Mark vorhanden sein. Diese werden noch einmal durch den Nettozufluss aus der Plazierung der neuen Telekom-Aktien gemindert.

Vorgesehen ist die Plazierung von nominal 2,5 Milliarden Mark. Je Fuenf-Mark-Aktie werden Preise um 20 Mark genannt. Auf dieser Basis erbringen die 500 Millionen Aktien einen Emissionserloes von zehn Milliarden Mark. Dieser ist um die Provision der plazierenden Banken (etwa fuenf Prozent) zu bereinigen, so dass der Telekom ein Betrag von etwa 9,5 Milliarden Mark zufliessen koennte. Damit wuerden sich die Verbindlichkeiten auf angenommene 80 bis 85 Milliarden Mark reduzieren.

Zum Zeitpunkt der Emission werden die Schulden der Telekom hoeher sein als ihr Jahresumsatz. Die Zinslast duerfte pro Jahr eine Groessenordnung von sieben Milliarden Mark erreichen. Um die Bilanz ausgeglichen zu gestalten, werden die Sachanlagen ungefaehr 80 Milliarden Mark betragen muessen.

Allein die notwendigen Abschreibungen machen voraussichtlich mehrere Milliarden Mark pro Jahr aus. Bereits heute ist erkennbar, dass die Telekom AG fuer Zinsen und Abschreibungen einen zweistelligen Milliardenbetrag wird erwirtschaften muessen.

Vor diesem Hintergrund und unter Beruecksichtigung der Tatsache, dass durch die Oeffnung des Wettbewerbs die Margen unter Druck stehen werden, muesste die Deutsche Telekom im internationalen Bewertungsvergleich mit einem deutlichen Bewertungsdiscount an die Boerse gebracht werden, um eine Zeichnung zu rechtfertigen und einen nachhaltigen Erfolg der Privatisierung zu sichern.

<H4>Relativ hoher Unternehmenswert</H4>

Wichtigste Kennzahl bei der Bewertung von Telekommunikationsaktien ist der Unternehmenswert je Telefonanschluss. Als Unternehmenswert gilt dabei die Boersenkapitalisierung plus Schulden minus Cash. Dieser Betrag duerfte Ende 1996, zum Zeitpunkt der Emission, etwa bei 130 bis 135 Milliarden Mark liegen. Geteilt durch 42 Millionen Anschluesse ergibt dies einen Unternehmenswert von 3200 Mark (2200 Dollar) je Anschluss. Damit waere die Deutsche Telekom zwar niedriger bewertet als AT&T (3900 Dollar) oder NTT (3200 Dollar), die Kennzahl laege jedoch im oberen Drittel des Spektrums.

Die Telekom-Privatisierung ist notwendig und kommt um Jahre zu spaet. Dies aendert jedoch nichts daran, dass das Unternehmen unter zwei Aspekten derzeit nicht emissionsreif ist. Erstens hat sich die Deutsche Telekom AG noch nicht im Wettbewerb bewiesen, zweitens reicht die Bilanzqualitaet nicht aus.

<H4>Emissionspreis sollte die Schulden beruecksichtigen</H4>

Leider besteht die Gefahr, dass das Richtige zum falschen Zeitpunkt getan wird. Man kann nur eindringlich appellieren, dass der Emissionspreis die Verschuldungssituation des Unternehmens beruecksichtigt. Auf jede Fuenf-Mark-Aktie der Telekom werden nach unserer Schaetzung mehr als 30 Mark Schulden entfallen. Als Anteilseigner uebernimmt indirekt der Aktionaer diese Schulden.

Der richtige Zeitpunkt zur Privatisierung der Telekom waere dann gekommen, wenn sich das Unternehmen im Wettbewerb bewaehrt hat. Die Befreiung der Telekom von der Schuldenlast, die in erheblichem Umfang durch die Aufbauleistung in den neuen Bundeslaendern entstanden ist, haette sich fuer den Bund langfristig gerechnet: Bei einem zaehlbaren Erfolg der Privatisierung haetten bei weiteren Privatisierungen des Bundes hoehere Emissionspreise gefordert werden koennen.

Ob die Telekom-Emission ein Misserfolg wird wie bei NTT oder ein Erfolg wie bei British Telecom, haengt, nachdem der Zeitplan festzustehen scheint, jetzt einzig und allein von einer attraktiven Preisgestaltung ab.