Telekom-Skandal

Schnüffelrepublik: Telekom ist überall

30.05.2008
Die Telekom schnüffelt Journalisten und Managern hinterher, Lidl überwacht Angestellte und Kunden, Bundesinnenminister Schäuble würde am liebsten jeden PC ausspionieren. Warum man dem Telekom-Skandal auch positive Seiten abgewinnen kann, kommentiert CW-Redakteur Jürgen Hill.

Kommentar: Danke, Telekom!

CW-Redakteur Jürgen Hill kommentiert den Telekom-Skandal.
CW-Redakteur Jürgen Hill kommentiert den Telekom-Skandal.

Eigentlich müsste man der Deutschen Telekom angesichts des aktuellen Bespitzelungsskandals ein lautes "Danke!" zu rufen. Besser hätte man dem Bundesverfassungsgericht nicht demonstrieren können, wie die seit Jahresbeginn eingeführte Vorratsdatenspeicherung an den Grundfesten unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates rüttelt. Darin wurden die Telcos bekanntlich verpflichtet, alle elektronischen Kommunikationsvorgänge ohne jeden Anfangsverdacht sechs Monate lang für Ermittlungsbehörden vorzuhalten - ein Gesetz, das vermutlich gegen das Grundgesetz verstößt. Bereits im Frühjahr hatten die obersten Bundesrichter im Zuge einer einstweiligen Verfügung die staatliche Sammelwut eingedämmt, im für den Herbst anberaumten Hauptverfahren könnten sie das Gesetz endgültig kippen. Das bleibt zu hoffen, denn die Vorstellung, was mit den Datenbergen über das Kommunikationsverhalten der letzten sechs Monaten alles getrieben werden könnte, lässt wohl jeden Bürger erschauern.

Sicher, der eine oder andere wird jetzt argumentieren, dass es im vitalen Interesse eines Unternehmens liegt, undichte Stellen zu entdecken, um seine Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Korrekt, das ist unbestritten. Aber bei der Telekom wurde gegen die elementaren Grundrechte der Freiheit der Berichterstattung (Art 5 GG) sowie des Fernmeldegeheimnisses (Art 10 GG) verstoßen, die nicht umsonst von den Vätern unserer Verfassung vor dem Hintergrund der Diktatur des Dritten Reiches erlassen wurden. Ob sich andere besser verhalten, ist wohl alles andere als sicher: Die Skandale bei Siemens (Bestechung), Volkswagen (Veruntreuung von Firmengeldern) oder der Post ( Zumwinkels Steuerhinterziehung) zeigen, dass es in der deutschen Manager-Kaste eine Reihe von schwarzen Schafen gibt, die sich um Gesetze wenig scheren.

An der Schwelle zu einem neuen Kommunikationszeitalter, in dem der Informationsaustausch unter dem Schlagwort Unified Communication in einer All-IP-Welt stattfindet, sollten CIOs, Datenschutzbeauftragte und Betriebsräte den Telekom-Skandal als warnendes Beispiel begreifen und eine Lehre daraus ziehen beziehungsweise fragen: Wie sehen die Governance-Regeln im eigenen Unternehmen dazu aus? Wie ist der Umgang mit eventuell gewonnen Daten geregelt? Gerade in einer All-IP-Welt wird es dank Sniffer und anderer Monitoring-Tools immer einfacher ausgefeilte Kommunikationsprofile mit Präsenzinformationen zu erstellen. Im Vergleich zu diesen Daten sind Aufzeichnungen über Einzelverbindungsnachweise klassischer TK-Anlagen eher eine Einschlaflektüre. Was für den einen Administrator noch ein Instrument zur Sicherung der Anwendungs-Performance ist, kann in den falschen Händen zu Missbrauch und Gesetzesbruch führen. Wir sollten uns auch einmal ernsthaft die Frage stellen, ob wir wirklich alle Daten sammeln und erheben müssen, nur weil uns die moderne ITK die Möglichkeit dazu gibt.

Zum Schluss sei noch eine Bemerkung erlaubt: Es ist schon ein starkes Stück, dass ausgerechnet Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble das Telekom-Management zur Nachhilfe in Sachen Datenschutz nach Berlin einbestellt. Seit Jahren versucht Schäuble, den Ermittlungsbehörden in Sachen Schnüffelei mehr Freiheiten zu verschaffen. Erinnert sei etwa an die Forderung nach Online-Durchsuchungen (Bundestrojaner) oder den Versuch, Lkw-Mautdaten für Ermittlungen heranziehen zu dürfen. Wenn der Bundesinnenminister jetzt die Telekom-Verantwortlichen herzitiert, dann hat er hoffentlich gute Argumente an der Hand, um ihnen den "feinen Unterschied" zu erklären.