"Schnell zur Mama, das ist sicherer"

12.02.1988

Mit Charles Ghyselinck, General Manager der Amdahl Deutschland GmbH, sprach CW-Redakteur Ulf J. Froitzheim

- Amdahl ist der einzige Großrechner-Hersteller, der sowohl 370- als auch - mit dem Derivat UTS - Unix-Kompatibilität anbietet. Welchen Stellenwert hat Unix für Ihr Unternehmen?

Unser Geschäft ist die 370-Großrechner-Welt. Also ist es unsere Aufgabe, MVS- oder VM-Großrechner und -Anlagen herzustellen und in puncto Hardware, Software, Anwendungen, Betriebssysteme, Speicher und Kommunikation alles zu tun, um den Anwender 370-kompatibler Großrechner effizienter arbeiten zu lassen. Jetzt gibt es zwar mit Unix einen zweiten Standard, doch der hat noch nicht die nötige Reife.

Wir arbeiten mit Unix, weil uns große Kunden in Amerika, darunter Forschungszentren und auch AT&T selbst, gebeten haben, dieses Betriebssystem auf Großrechnern verfügbar zu machen. Der Druck kommt von innen: Junge Mitarbeiter dieser Gesellschaften haben an der Universität mit Unix gelernt und erwarten deshalb die entsprechenden Kapazitäten an ihrem Arbeitsplatz, aber aus wirtschaftlichen Gründen ist es nicht sinnvoll, denen 25 oder 30 kleine Rechner hinzustellen, Deshalb haben wir mit unseren Kunden, darunter auch Unix-Entwickler AT&T, daran gearbeitet, Unix auf Computer mit 40 oder 60 Mips zu bringen.

- Es geht also vor allem um den Bereich der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der großen Konzerne...

Ja. Es gibt auch Beispiele in Europa: Alcatel entwickelt seine Telefonzentralen unter anderem mit Unix. Das Rechenzentrum der APT in den Niederlanden hat mit 70 Mips wahrscheinlich die größte Unix-Kapazität in Europa, und das auf einem Amdahl-Rechner. MBB benützt UTS ein bißchen, noch nicht sehr intensiv, aber das kommt. Alles ist noch am Anfang. Unix-Software ist für uns in Deutschland nur ein Prozent vom Umsatz.

Auf keinen Fall ist das eine Ersatzstrategie für die 370-MVS-Welt. Wir sind in der 370-Welt; wir wollen und wir werden darin bleiben. Unix ist nur eine zusätzliche Möglichkeit, aber wir betreiben auf keinen Fall eine Doppelstrategie.

- Deswegen sind Sie auch nicht in der X/Open-Group?

Deswegen sind wir noch nicht in der X/Open-Group. Vielleicht

kommt das in Zukunft.

- Andere Anbieter haben sich für Unix entschieden, weil sie einen Standard wollen, der nicht wie 370 von einem einzigen Hersteller bestimmt wird. Mit einem unabhängigen Industriestandard ist man doch im Wettbewerb flexibler. verpassen Sie da nicht eine Möglichkeit, zusätzliche Geschäfte zu machen: erstens außerhalb der IBM-Welt und zweitens mit MVSKunden, bei denen neue Anwendungen auf Unix-Workstations von unten hochwachsen?

Amdahl ist tätig in einem Markt, in dem man Geschäfte machen kann.

- Und das kann man im Mainframe-Bereich mit Unix nicht?

Das kann man heute noch nicht.

- Wann dann?

Das weiß ich nicht. Denn das entscheidet nicht ein Hersteller und auch nicht zwanzig Hersteller, sondern die Anwender. Die 370-Architektur ist ein De-facto-Standard: Heute sind 80 Prozent der Großrechner IBM-kompatibel, und dieser Marktanteil wächst jedes Jahr. Man hört viel von Großrechner-Anwendern, die in die IBM-Welt wechseln. Aber wann hört man von einem, der seine 3090 gegen einen Unisys-, einen Bull- oder einen NCR-Rechner umtauscht? Der 370-Marktanteil wird immer größer und größer. Unix ist noch nicht in der Lage, so ein Standard zu werden.

Das beste Beispiel dafür, daß nicht das beste Produkt gewinnt, hat kürzlich Sony geliefert. Der Video-Typ Betamax wird eingestellt, obwohl er bessere Bildqualität liefert. Sony folgte dem Standard VHS. Wer sein Geschäft mit Video macht, hat keine Zukunft, wenn er nur Betamax herstellt.

Wir haben nicht die Diskussion, ob es eine Zukunft für Unix gibt, auch wenn die Hersteller sagen, Unix sei viel besser - was wahrscheinlich sogar stimmt.

- Sie gehen also auf Nummer Sicher.

Der Vorteil, den Amdahl hat, ist, daß wir heute dabei sind. Wenn sich Unix in bestimmten Märkten als Standard etabliert, sind wir von Anfang an dabei. Unsere Zusammenarbeit mit AT&T erlaubt uns, neue Unix-V-Releases schnell zu implementieren.

- Amortisieren sich die bisherigen Investitionen von Amdahl in Unix überhaupt?

Das wird sich über die Jahre auszahlen.

- Wechseln wir das Thema. Die IBM bringt in absehbarer Zeit die neue Großrechner-Generation "Summit" heraus. Wie wird Amdahl auf künftige Entwicklungen der IBM reagieren?

Was IBM-Entwicklungen betrifft, hat sich doch eigentlich, seit ich im Geschäft bin, nichts geändert. Schon im Jahr 1977 "verkaufte" die IBM nicht die damalige 370/168, sondern die Zukunft: schnelle Kanäle, ein Teil vom Betriebssystem im Microcode und sofort. Wir haben bis heute nichts davon gesehen. Später "verkaufte" IBM die wunderschönen XA-Möglichkeiten, aber nicht die aktuelle 3081 D. Als die Modelle K und Q da waren, "verkaufte" IBM die wunderschöne 3090. Jetzt "verkauft" IBM die 3090-F-Modelle und MVS/ XB. . . Es ist seit zehn Jahren immer dasselbe. Bei uns in Belgien sagt man: Morgen rasiert der Barbier gratis, aber weil man heute da ist, muß man zahlen. Morgen ist alles gratis, alles wunderschön.

Freilich braucht der Anwender die Weiterentwicklung der 370-Architektur, braucht mehr Kapazität, um den Flaschenhals zu überwinden, mehr Terminals anzubinden, mehr Transaktionen zu bewältigen. Weil die IBM ein De-facto-Monopol hat es ist eben ihre eigene Architektur müssen wir auf die Änderungen durch die IBM warten. Aber der Grund für diese Änderungen liegt in den Forderungen der Anwender.

Man muß unterscheiden zwischen Verkaufstechnik und dem wirklichen Bedarf des Kunden. Daß sich die Architektur ändern muß, ist die ganz normale Evolution. Aber man spekuliert auf die Angst des Einkäufers. Wer Angst hat, läuft schnell zur Mama, das ist sicherer.

Das ist natürlich auch eine Verkaufstechnik: die Angst zu schüren, ein System für zehn Millionen Mark könnte morgen schon obsolet sein. Wenn der Einkäufer aber weiß, was wirklich passiert, kauft er nicht aus emotionalen Gründen, sondern aus wirtschaftlichen. Und das ist schlimm für IBM.

- Was setzen Sie dieser Konkurrenz entgegen?

Kompatibilität. Wir sind seit 1975 in dem Geschäft. Amdahl hat die Industrie der Kompatiblen begründet. Seit damals waren wir immer kompatibel. Die Frage ist nicht, ob wir das können, sondern wann etwas bei uns verfügbar ist und was es kostet.