Japan sucht nach Chip-Technologien für die Rechner von morgen:

Schaltkreise wachsen in die dritte Dimension

21.10.1983

Rund zwei Jahre ist es jetzt her, daß Japans Industrieministerium MITI in dem immer wieder schlagkräftige Innovationsprojekte gestartet werden - ein Programm zur Erforschung zukunftsträchtiger neuer Technologien ins Leben rief. Inzwischen wird in Konturen sichtbar, wie die Novitäten, die Japans Industrie später gewiß weidlich nutzen wird, aussehen könnten.

Hier interessieren von den zwölf Sektoren, in die dieses Programm eingeteilt wurde, nur jene drei, die die Erforschung neuer elektronischer Bauelemente zum Ziel haben. Das sind Projekte zur Erforschung der Möglichkeiten, die

- Schichthalbleiter (superlattices")

- 3-D-Chips und

- strahlungsresistente Chips zu bieten versprechen und die inzwischen handfestere Gestalt annehmen. Immer noch aber bleibt unsicher, wie das US-Fachblatt "Electronics" erst kürzlich wieder notierte, ob die Bemühungen in jedem Falle Lohn verheißen.

Halbleiter im "Hamburger"-Design

Bleiben wir gleich bei den Schichthalbleitern, die von Fachleuten manchmal als das wohl spekulativste Arbeitsgebiet unter den genannten dreien bezeichnet werden. Hier geht es nämlich um die bislang noch recht ungewissen Erwartung, man werde völlig neue Halbleitermaterialien erhalten, lasse man lediglich in dünnen, etwa 100 bis 1000 Angström dicken Schichten verschiedenartige Materialien abwechselnd übereinander wachsen: etwa Aluminiumarsenid, dann Galliumarsenid, dann wieder Aluminiumarsenid und so weiter. (Arbeiten, nebenbei bemerkt, die so ähnlich beispielsweise auch Leo Esaki, Japaner, Nobelpreisträger, Erfinder der "Esaki-Diode" und "IBM-Fellow", in den USA durchführt).

Dieses Superlattice-Projekt ist auf vier Jahre reiner Werkstoff-Grundlagenforschung und sechs dann folgende Jahre anwendungsbezogener Entwicklung angelegt. An ihm partizipieren zur Zeit vier Industriefirmen und das Elektrotechnische Laboratorium, das der Regierung untersteht und das auch schon bei der spektakulären erfolgreichen Abwicklung des 1976 gestarteten Programms zur Entwicklung größtintegrierter Bauelemente ("VLSI-Project") eine führende Rolle gespielt hat. Die Folgen dieses Projektes tragen Japans Chip-Konkurrenten inzwischen weltweit.

Japans Forschungsbehörden erklärten allerdings offiziell, sie wollten die Resultate ihrer Programme weltweit in den allgemeinen wissenschaftlichen Informationsaustausch einfließen lassen. So war in Tokio erst kürzlich, auf einem Symposium über elektronische Bauelemente der Zukunft, Näheres über den Stand der Dinge zu erfahren.

Ist bei den Schichthalbleitern allenfalls klar, daß sie tendenziell zu schnelleren Transistoren in sehr dicht gedrängter Anordnung auf den Chips führen sollen - und daß man sie außerdem in bestimmten Lasern einsetzen kann - , so wird das Bild bei Betrachtung des zweiten Bereichs der Arbeit an den dreidimensionalen Strukturen schon deutlicher. Auch hier geht es in erster Linie darum, immer mehr Schaltfunktionen auf immer engerem Raum unterzubringen.

Rechnen in Etagen

Bei diesen dreidimensionalen Bausteinen gehen die Vorstellungen der Fachleute beispielsweise dahin, man könne in einer unteren "Etage" etwa die Zentraleinheit eines Rechners integrieren, in der zweiten dann vielleicht Speicherzellen und in einer darüberliegenden dritten Chip-Ebene die Ein-/Ausgabe-Schaltungen.

Der volle Nutzen solcher 3D-Strukturen kann jedoch erst dann voll zur Wirkung kommen, wenn es gelingt, die einzelnen Etagen untereinander auf komplexe Weise mit optimal plazierten Signalleitungen zu verbinden und so den Schaltgeschwindigkeits-Problemen entgegenzuwirken. Bei hohen Frequenzen resultieren diese zusehends häufiger daraus, daß die Übermittlung eines Impulses von einem Gatter zum nächsten zu ungenutzten Tot-Zeiten führt. Zeiten, die das mögliche Tempo eines Rechners beeinträchtigen.

Ausbeute zu gering

Doch nicht allein rein konzeptionell, auch produktionstechnisch werden diese dreidimensionalen Chips den japanischen Forschern noch so manche Nuß zum Knacken aufgeben. Denn einmal wird man erst noch Wege finden müssen, wie die Wärme abgeführt werden kann, die beim Betrieb solcher Chips notgedrungen entsteht, und zum zweiten helfen auch die ausgeklügeltsten Entwürfeniemandem, wenn hinterher bei ihrer Produktion vielleicht bloß wenige Prozent der erzeugten Stücke funktionieren; wenn also, um es mit den Worten der Fachwelt zu sagen, die "Chip-Ausbeute" zu gering ist. Denn schon heute ist die Frage der Ausbeute einer der Hauptfaktoren warum man nicht "einfach" immer größere Chips mit entsprechend mehr und mehr Transistoren herstellen kann.

In Japan wird erwartet, die Produktion dieser dreidimensionalen Strukturen werde nachfragebedingt wohl im nächsten Jahrzehnt anlaufen müssen, und deshalb wird bereits jetzt an der Entwicklung der dafür nötigen Technologien und Prozesse gearbeitet. Dabei gilt eine Siliziumauf-Isolator-Kombination als einzig praktisch möglicher Baustein für solche Chips. Eine Kombination, und damit kommen wir gleich auf Teilprogramm drei zu sprechen, die selbst für den Fall, daß aus den 3D-Chips so bald doch nichts werden sollte, bemerkenswerte Vorteile bieten soll; auch bei zweidimensionalen Schaltelementen.

Resistent gegen Strahlen

Silizium-auf-Isolator-Bausteine versprechen nämlich, ähnlich den bekannte Silizium-auf-Saphir-Chips, besonders unempfindlich gegen Strahlung aller Art zu sein, was in kritischen Umgebungen - etwa im Inneren von Kernkraftwerken oder auch im Weltraum - zum gewichtigen Vorzug werden kann. Und genau diesem Ziel, der Entwicklung extra robuster Bauelemente, dient ja auch, wie schon erwähnt, das Teilprogramm drei.

Hier steht die Suche nach Wegen im Vordergrund, Bauelemente für Kommunikationseinrichtungen, die im Weltraum stationiert werden sollen, herzustellen. Dabei sind drei unterschiedliche Technologien der Hauptansatzpunkt, nämlich MOS-Chips, bipolare Schaltkreise und Galliumarsenid-Elemente- sie sollen vor allem gegen die Kobalt-60-Strahlung widerstandsfähig gemacht werden.

Das nun ist eine Forschungsarbeit bei der die japanischen Wissenschaftler einmal mehr eine Aufholjagd gegen ihre hier zweifellos noch deutlich überlegenen amerikanischen Kollegen vor sich haben. Dies gilt aber keineswegs mehr für alle drei Projekte. Denn während zwar das vielgerühmte japanische VLSI-Projekt seinerzeit auch eine solch typische Aufholjagd darstellte, bei der es mehr auf die Entwicklung von Produkten und Herstellungsverfahren und weniger um Grundlagenforschung ging, stehen bei den besprochenen Programmen heute doch auch erhebliche Portionen reinen Forschens auf dem Plan.

Denn, und vor allem die Schichthalbleiter-Forschung zeigt diese Orientierung ganz deutlich, auch die japanischen Regierungsstellen und Wissenschaftler haben inzwischen klar erkannt, daß ein exportintensives Land wie das ihre auf die Dauer nicht ohne eigenständiges Know-how wird bestehen können. Da hilft auch alle Perfektion nichts, die Japan in der Nutzung gegebener Technologien haben mag.