Neue Benutzeroberfläche und weniger Funktionen

SAP krempelt die Mysap-Technik um

14.06.2002
ORLANDO (mo) - SAP will die Technik seiner unternehmensweiten Komplettlösung Mysap.com ändern. Daher müssen Kunden, die ihre SAP-Software individuell angepasst haben, die Programme modifizieren. Wie groß der Aufwand ist, lässt sich kaum vorhersagen. Durch die auf der hauseigenen Anwenderkonferenz Sapphire in Orlando vorgestellte neue Initiative will der bedeutendste Hersteller von Firmensoftware seine Programme effizienter machen.

Co-Vorstandssprecher Hasso Plattner kündigte weit reichende Änderungen der Basistechnik an. So soll die Benutzeroberfläche modernisiert und im Backend auf Java- und .NET-Technik umgestellt werden. Außerdem will der Anbieter überflüssige oder kaum genutzte Funktionen entfernen. Damit setzt SAP den Umbau seiner Software fort. Bereits im vergangenen Jahr hat SAP einen Wandel hin zu modernen Technologien vollzogen, als es Java in die Ablaufumgebung seiner Unternehmenssoftware Mysap.com integriert hat. Die plattformunabhängige Programmierumgebung Java ist nun Bestandteil von SAPs "Web Application Server" (WAS) und gleichberechtigt mit der hauseigenen Entwicklungssprache Abap.

Support beliebiger Endgeräte

Beim Umbau der Benutzeroberfläche soll das bestehende User Interface, das Sapgui, durch eine neue, auf Web-Technik beruhende Oberfläche ersetzt werden. In Anlehnung an die Basistechnik der alten Benutzeroberfläche, die "Dynpro"-Technik, heißt das neue Verfahren "Web Dynpro". Nach Ansicht von Plattner ist das Web Dynpro "die bedeutsamste Technik, die auf dem WAS basiert".

Mit der Umstellung will SAP künftig beliebige Endgeräte unterstützen, darunter Smartphones oder Organizer. Hierzu wird für unterschiedliche Endgeräte jeweils unterschiedlicher Code erzeugt. Auf diese Weise kann ein Web-Designer zum Beispiel die Besonderheiten eines speziellen Browsers ausnutzen. Auch auf der Backend-Seite ist SAP flexibel. Der Server, der die Benutzeroberfläche generiert, kann wahlweise Java, die hauseigene Programmiersprache Abap oder .NET verwenden. Allerdings unterstützt SAP die Microsoft-Technik .NET nur zähneknirschend (siehe Kasten "IT-Welt ohne Grenzen").

SAP steht nun vor der Herausforderung, im eigenen Haus mehrere tausend Bildschirmmasken zu überarbeiten. Aber auch Anwendern bleibt nicht erspart, an die Software Hand anzulegen. Nicht selten haben nämlich Unternehmen eigene Felder oder Schalter in die Masken eingebaut, um unternehmensspezifische Besonderheiten abzubilden. Diese Änderungen müssen in der neuen Oberfläche nachvollzogen werden. Während SAP den Aufwand für Kunden gering einschätzt, ist SAP-Experte Helmuth Gümbel vom Beratungsunternehmen Strategy Partners weniger optimistisch. Viele Kunden hätten gerade in der Anfangszeit R/3 in hohem Maße individualisiert. Daher sei es völlig unklar, welchen Aufwand die Umstellung mit sich bringe.

Eile besteht für Kunden nicht. Die alte Oberfläche soll parallel zur neuen arbeiten können und erst im Lauf der Zeit eingestellt werden. Nur wer neue Funktionen nutzen will, muss mit Web-Dynpro-Technik leben. Als erste Anwendung wird Mysap CRM 3.1 die neue Oberfläche verwenden. Das neue Release soll im dritten Quartal dieses Jahres herauskommen.

Der Individualisierung hat Plattner generell den Kampf angesagt. Jeder Kunde, so der Co-Vorstandssprecher, verlange Besonderheiten, die zu Individualanfertigungen in der Software führten. Viele dieser von SAP erstellten und gepflegten Erweiterungen hält Plattner für überflüssig: "Ich glaube, wir könnten 50 Prozent der Funktionen abschalten, und niemand würde es merken."

Diese unnötigen Features will Plattner nun zusammen mit den Kunden identifizieren und künftig aus der Software entfernen. In diesen Prozess sollen auch die Benutzervereinigungen eingebunden werden. Die Investitionssicherheit soll gewahrt bleiben. Trotzdem müsse mit dem "Reinigungsprozess" begonnen werden. Gümbel teilt diese Ansicht: "SAP muss das tun, um den Ballast zu reduzieren, der sich im Lauf der Zeit bei der Softwareentwicklung angesammelt hat."

Der Berater vermutet aber noch mehr: "Das alles sieht so aus, als würde die SAP die gesamte Softwarelogistik neu organisieren, so dass sie sowohl Abap- als auch Java-verträglich ist", und prognostiziert: "Da gibt es sicher Veränderungen, die man heute noch nicht absehen kann."

Mit den technischen Neuerungen will SAP seine Software schneller und im Betrieb günstiger machen. Neue Funktionen seien in nächster Zeit nicht das beherrschende Thema, glaubt Plattner, sondern Geschwindigkeit und Total Cost of Ownership. Diese beiden Punkte will der Softwarehersteller nun verbessern.

Doch ganz verzichtet SAP auf funktionale Weiterentwicklungen nicht. Mit "Xapps" will das Unternehmen eine neue Kategorie von Software zur Verfügung stellen, die Geschäftsprozesse über mehrere Anwendungen hinweg standardisiert. Unter anderem hat SAP dabei die Bereiche Unternehmenszusammenschlüsse, die Verwaltung von Mitarbeiterbeziehungen und das Beschaffungswesen im Auge. "Xapps stellen die Standardisierung von häufig vorgekommenen Individualentwicklungen dar", glaubt Nils Niehörster, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Raad Consult. In der Vergangenheit seien in solchen Bereichen immer wieder die gleichen Aufgaben angefallen. Durch die neue Software wird deren Bewältigung erleichtert.

Weitere Neuentwicklungen soll es nach Auskunft von Co-Vorstandssprecher Kagermann außerdem in Teilbereichen zur Abrundung des Portfolios geben. Ein wichtiges Element sind dabei "Engines" - spezielle Anwendungen, die einzelne Prozesse automatisieren. Diese sind interessant für Kunden, weil sie ihnen helfen, Kosten zu sparen. Für SAP sind sie attraktiv, weil sie extra berechnet werden und daher zusätzlichen Umsatz generieren. Auch die Durchdringung einiger Branchen ist Kagermann zu gering.

Bestandskunden stehen also im Fokus. Auf sie wird SAP bei den technologischen Neuerungen Rücksicht nehmen müssen. Das haben Plattner und Kagermann auf der Sapphire auch demonstriert: Wer keine im Geschäft liegenden Gründe habe, auf Mysap umzusteigen, der könne bei R/3 bleiben, versprachen sie. Und solange es R/3-Kunden gibt, muss auch die alte Technik gepflegt werden.

IT-Welt ohne Grenzen?

Die Java Virtual Machine gibt es für jede Betriebssystem-Plattform - oder besser fast jede. Ausgerechnet Microsoft entzieht sich der Technik. Zunächst hat das Unternehmen versucht, durch eigene Erweiterungen den Standard zu verwässern. Als dies nicht gelang, wurde die Weiterentwicklung eingestellt. Für die Softwarehersteller ist das eine unangenehme Situation.

Auf diesen Umstand hat auch Hasso Plattner, Co-Vorstandssprecher der SAP, hingewiesen. Microsoft könne und solle sich dem Trend zu Java nicht entziehen. An Microsoft-Chef Bill Gates appellierte er: "Mr. Gates, reißen Sie diese Mauer ein." Dasselbe hatte US-Präsident Ronald Reagan 1987 vom sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow verlangt, der später Erich Honecker vergeblich warnte: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Lautstarker Applaus zeigte Plattner, dass sein Vergleich ankam.