Ist die Open-Source-Idee in Gefahr?

SAP investiert in Red Hat

09.04.1999
MÜNCHEN (bs) - Nachdem Anbieter wie IBM, Oracle, Novell, HP und Intel in den Linux-Distributor Red Hat investiert haben, pumpt nun auch die SAP mehrere Millionen Dollar in die Company aus North Carolina. Der deutsche Linux-Verband Live befürchtet, daß die Konzentration vieler Anbieter auf einen Linux-Provider das Freeware-Konzept aushebeln könnte.

"Linux ist für uns nur wertvoll, solange es frei verfügbar bleibt", sagt Klaus Fehling, Sprecher des Linux-Verbands "Live" (www.linux-verband.de). Generell begrüße der Verein zwar das Engagement der Anbieter. Das Betriebssystem sei stabil, preiswert, und auch ein entsprechender Service sei verfügbar. Insofern sei der Entschluß vieler Anbieter, nicht zuletzt auch der SAP, ihre Produkte auf Linux anzubieten eine logische Konsequenz.

Daß allerdings viele große Hard- und Softwarehersteller in Red Hat investieren, das nach einer neuesten Studie von IDC weltweit die Nummer eins unter den Linux-Anbietern ist, stoße bei Live-Mitgliedern auf Kritik: "Linux muß frei zugänglich bleiben, obwohl es in der Industrie starke Bestrebungen gibt, das zu ändern", beschreibt Fehling die Stimmung innerhalb der Live-Gemeinde. Durch die Kommerzialisierung bestehe die Gefahr, daß die wenigen großen Distributoren ihre Systeme gegenüber anderen abschotteten, eine Reihe von Eigenentwicklungen in das System einbrächten und dadurch unterschiedliche Dialekte von Linux entstünden - Probleme, wie sie von den klassischen Unix-Derivaten her bekannt sind.

Der Linux-Anbieter Caldera beispielsweise gibt Teile seiner Linux-Add-ons nur noch als Binärdateien heraus, so daß Kunden sie nicht weiterentwickeln können. Red Hat verfolgt bisher eine sehr offene Geschäftspolitik und liefert seine Ergänzungen wie Installationsroutinen als Quellcode mit aus, wodurch sie Entwicklern zur freien Verfügung stehen: "Wie lange noch?" fragt Achim Cloer, Vorsitzender von Live. "Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Linux-Distributoren ihre Lösungen weiterhin mit Programmquellen anbieten werden, oder ob sie ihre Produkte für Entwickler unzugänglich machen."

Auch die Stimmung innerhalb der weltweiten Linux-Gemeinde ist gereizt: So wirft Eric Raymond, ein Sprecher der Linux-Community, das Handtuch. Er hatte unter anderem Apple und Netscape den Open-Souce-Gedanken schmackhaft gemacht. Steven Jobs, Dauerübergangs-Boß von Apple, hatte daraufhin bekanntgegeben, die Basis seines Betriebssystems öffentlich zugängig zu machen, das Front-end jedoch proprietär zu belassen. Raymond erntete dafür von Bruce Perens, einem der Gründerväter der Open-Souce-Initiative, Kritik. "Es besteht die Gefahr, daß Anbieter ihre Produkte nur so lange öffnen, bis sie genügend gute Ideen bekommen haben."

In Walldorf gibt man sich gegenüber dem Open-Source-Ansatz allerings sehr aufgeschlossen: "Wir sind nicht daran interessiert, diese Idee in Frage zu stellen und mögliche Betriebssystem-Features in Zukunft zu diktieren", beteuert Harald Kuck, zuständig für das Projekt R/3 auf Linux bei der SAP. Man werde alles dafür tun, eine Abschottung einzelner Anbieter zu verhindern. Kucks Mannschaft werde, wie bei Open-Source-Software üblich, natürlich Vorschläge für die Erweiterung von Linux, darunter auch für den Ausbau zur ERP-Plattform, einbringen: "Die Linux-Gemeinde wird dann entscheiden, ob diese Vorschläge akzeptabel sind oder nicht."

Bob Young jedenfalls, CEO von Red Hat, hat bei soviel Zuspruch etablierter Anbieter allen Grund zur Freude: "Das Engagement von SAP ist ein deutliches Signal für Großanwender." Das Geld habe man nicht unbedingt gebraucht, sondern man wolle vielmehr Unterstützung aus der Industrie, um auf das sonst unübliche Vertriebsmodell der Freeware aufmerksam zu machen. Es solle auch nicht bei SAP als Investor aus dem ERP-Umfeld bleiben. Ein weiterer Geldgeber werde in Kürze bekanntgegeben.

Hendrik Klagges, Analyst bei Strategy Partners: "Die Kunden haben die SAP praktisch dazu gezwungen, Linux anzubieten." Das Freeware-Betriebssystem verbinde das Beste aus zwei Welten: Zum einen laufe es auf preiswerten Intel-Servern und biete damit den gleichen Vorteil wie Windows NT. Zum anderen sei es sehr stabil und lasse sich einfach verwalten - was bei großen NT-Netzen immer noch nicht der Fall sei. Die Kunden suchten nach Alternativen zum Diktat der Gates-Company.

Aus Sicht von Unternehmen wie SAP sei es sinnvoll, wenn es ein standardisiertes Linux gebe: "Distributoren wie Red Hat garantieren eine funktionstüchtige Umgebung", erklärt Klagges. Falls sich daran etwas ändern sollte, werde dem Anbieter dies rechtzeitig mitgeteilt, so daß Inkompatibilitäten vermieden würden.

Linux und Open Source

Linux gehört zu den Derivaten des Betriebssystems Unix. Sein Kern wurde von dem Finnen Linus Torvalds entwickelt und 1994 in der Version 1.0 als Freeware im Internet veröffentlicht. Torvalds stellte seine Software von Anfang an unter die GNU General Public Licence. Das bedeutet, daß jeder das Programm kostenlos kopieren darf, und jeder Benutzer kann das Betriebssystem an seine individuellen Bedürfnisse anpassen.

Auch Firmen beschäftigen sich mit der Weiterentwicklung, dem Vertrieb und Service von Linux. Zu den bekanntesten gehören Red Hat, Debian und Suse. Sie verdienen nichts mit der Programmierung, allein der Service bringt Geld. Sie brennen die Freeware auf CD, drucken Handbücher und bieten Installationssupport für einen begrenzten Zeitraum. Dafür zahlt der Anwender zwischen 70 und 250 Mark.