Boole & Babbage: Unix-Software überwacht Unternehmens-DV

RZ-Spezialist richtet sich auf Zukunft ohne Mainframes ein

29.05.1992

PARIS (gfh) - Selbst eingeschworene Mainframe-Softwerker versuchen, sich vom Abwärtstrend in diesem Markt abzusetzen. So will der bisherige RZ-Spezialist Boole & Babbage Inc., Sunnyvale, Kalifornien, künftig unternehmensweit heterogene DV und Netzwerklandschaften gleichgültig, ob mit oder ohne Großrechner - von Unix-Rechnern aus steuern.

Paul Newton, President und CEO von Boole & Babbage, beschreibt das derzeitige Dilemma der Großrechner-orientierten Softwarehäuser: "Seit 1985 ist in den USA die Anzahl der Mainframes nicht mehr gestiegen, und seit einigen Jahren kürzen die Anwender ihre DV-Budgets. Gleichzeitig wird das Management der Systemumgebungen immer komplizierter." Diese Entwicklung habe dazu geführt, daß dieser Markt jährlich um etwa sieben Prozent schrumpfe.

Angesichts dieser Situation hat sich das Unternehmen entschlossen, fast ein Viertel seines Umsatzes von knapp 100 Millionen Dollar in Forschung und Entwicklung zu investieren, um sich ein Standbein in der heterogenen Welt der offenen Systeme zu schaffen. Konkret zielt das Unternehmen mit den jetzt vorgestellten Softwareprodukten auf die zentrale Verwaltung und Automatisierung unternehmensweit eingesetzter Netzwerke und DV-Systeme von verschiedenen Herstellern auf Großrechner-, Mini- oder PC-Ebene. Gefilterte Systemmeldungen, besonders Fehler in derartigen Umgebungen werden zentral auf einem Bildschirm gesammelt, von dem aus sie auch behoben werden.

Herzstück des als Boole & Babbage Intercommunication (BBI) bezeichneten Konzepts ist "Net-Command 3.0", das unter dem Betriebssystem Unix auf Sparc-Rechnern von Sun Microsystems läuft. Das Netzwerk-Management-System stammt von der Softwarefirma Avant Gard und war ursprünglich auf IBM-Mainframe-Vernetzung ausgelegt. Die Funktionserweiterung auf eine unternehmensweite Verwaltung für nahezu beliebige Hardwareplattformen realisierte Boole & Babbage eigenen Angaben zufolge mit einem Aufwand von mehr als 60 Mannjahren.

Jetzt fungiert Net-Command als eine Art Metasystem für Netzwerk-Management-Produkte, deren Meldungen als Input verwendet werden. Europäischer Pilotkunde für die Produkte des BBI-Konzepts, die im Laufe dieses Jahres auf den Markt kommen sollen, ist der Euro-Disney-Vergnügungspark bei Paris.

Nach Auskunft von Alexander Kuli, Vice-President Worldwide Sales beim Mitbewerber Candle, arbeiten derzeit alle RZ-Automationsspezialisten an ähnlichen Konzepten wie Boole & Babbage. Candle hat sich da bei jedoch als IBM-Partner für das Systemview-Projekt auf den True-Blue-Kurs festlegen lassen. Zwar sollen sich demnächst auch mit dem "Omegamon-Center" heterogene Netze und DV-Plattformen von einem zentralen Bildschirm überwachen lassen. Das Candle-Produkt läuft jedoch ausschließlich auf IBM-Großrechnern.

Den Mangel an Datenschnitt stellen, den Boole & Babbage bei diesem Rechnertyp beklagt haben Candle und IBM laut Kuli durch die Ausstattung der IBM-Systeme mit dem unter Unix üblichen TCP/IP-Protokoll behoben.

Darüber hinaus legt der Manager Wert auf die Feststellung, daß sich sein Unternehmen durchaus für offene Systeme engagiere. Wie Boole & Babbage sei auch Candle kürzlich der Open Software Foundation (OSF) beigetreten und unterstütze deren Distributed Computing Environment (DCE).

Trotz der Bekenntnisse zu offenen Systeme will auch Boole & Babbage nicht auf Großrechner-Kunden verzichten, die der zeit noch etwa 90 Prozent des Umsatzes einbringen. In Europa setzen nach Unternehmensangaben etwa 60 Prozent der 3500 europäischen MVS-Anwender Bool-&-Babbage-Produkte ein. Sie werden in wenigen Wochen durch den MVS-Performance-Monitor "MV-Manager" sowie durch "Net/Avail", das der Überwachung der Verfügbarkeit von SNA-Netzen dient, bedacht.

Im Rahmen des BBI-Konzeptes, so Boole-&-Babbage-Chef Newton, komme den Mainframe-Umgebungen allerdings keine herausragende Rolle zu. Die SNA-Token-Ring-Welt werde in gleicher Weise vom Unix-System aus verwaltet wie Ethernet-LANs unter DOS.