"RFID ist nur Infrastruktur"

22.10.2004
Von Achim Born
Elgar Fleisch gilt als profunder Kenner der RFID-Thematik. Er ist einer der sechs Forschungsdirektoren des Auto-ID Center und lehrt an der Universität St. Gallen. Achim Born* sprach mit ihm für die CW.

CW: Was macht die Beschäftigung mit RFID eigentlich so interessant?

Fleisch: Wir können nur managen, was wir messen. RFID und verwandte Technologien geben uns ein preisgünstiges Messinstrument an die Hand. Und wenn das Messen billiger wird, kann ich öfter messen und damit viel mehr managen. RFID sorgt also im Grunde nur für neuen Schwung von Konzepten wie EDI und macht die ganzen elektronischen Bestellzyklen schneller und sicherer. Dinge wie Vendor-managed Inventories waren zuvor aus Kostengründen nur begrenzt automatisierbar.

CW: Dem entgegen steht ein Uralt-Konflikt zwischen Handel und Lieferant - der Streit um die Hoheit über die Informationen zu Abverkäufen.

Fleisch: Wem die Daten gehören, ist nicht der Punkt. Die Information über Abverkäufe ist für beide Seiten wichtig. Out-of-Stock-Situationen bedeuten für den Händler dasselbe Problem wie für den Lieferanten: Jeder macht weniger Umsatz. Die große Herausforderung für den Handel liegt deshalb nicht in einer möglichst perfekten RFID-Implementierung, sondern in der Entscheidung, zu welchem Lieferanten habe ich ein hinreichend großes Vertrauen, dass ich ihm meine Pläne gebe oder ihn über meine Abverkäufe informiere. Hat mein Partner Handschlag-Qualität oder nicht? Falls im "Case of Fire" Anwälte erforderlich sind, sollte man lieber die Finger davon lassen.

CW: Bedeutet RFID nur eine zusätzliche Technik?

Fleisch: Die Zusammenarbeit zwischen Handel und Hersteller kann durch dieses Mehr an Information mittelfristig neu geordnet werden. Wenn man die Idee des Ubiquitous Computing konsequent weiterverfolgt und RFID stets aktuell abbildet, was im Regal passiert, ist der Handel in der Lage, den gesamten Prozess an den Lieferanten outzusourcen. Einzelne Retailer können dann hergehen und den leeren Regalplatz gegen Gebühr zur Verfügung stellen.

CW: Wie folgen der Vor-Ort-Erfassung durch die RFID-Sensorik die Verdichtung und Analyse?

Fleisch: Das ist eine spannende Angelegenheit! Heute haben die Informationssysteme in den Unternehmen keine Sinnesorgane und müssen deshalb von Menschen gefüttert werden. Mit RFID erhalten die Systeme nun Augen oder Ohren. Sie können sich selbst füttern. Damit wird eine Dezentralisierung eingeleitet, die in einer zumindest teilweisen Autonomie der Teile münden kann.

CW: Entsteht damit nicht eine neue Softwarekategorie, die den ERP-Systemen die dominierende Stellung streitig macht?

Fleisch: Nein! Ich bin überzeugt, dass ERP-Systeme durch RFID an Einfluss gewinnen, da viel mehr Aufgaben digitalisiert und automatisiert werden. Die Unternehmen wollen ja ihre Gesamtprozesskosten minimieren, und das bedeutet in erster Linie, manuelle Tätigkeiten durch die Sensorik zu ersetzen. Diese Rohdaten werden von Middleware-Systemen eingesammelt. Die Hoheit über das Management und die Interpretation der Daten bleibt auf der Ebene der ERP-Systeme. RFID ist nur eine Infrastrukturinvestition.

CW: Die Daten müssen von den ERP-Systemen verstanden werden. Wird sich der von der EAN- und UCC-Nachfolgeorganisation EPCglobal favorisierte Electronic Product Code als Standard durchsetzen?

Fleisch: Der EPC hat heute in Bezug auf RFID-Nummernsysteme als einziger die Bezeichnung Standard verdient. Diese Aussage beschränkt sich derzeit auf den Einzelhandel. Mit politischem Fingerspitzengefühl wird nun untersucht, ob sich Teile von EPC in anderen Branchen etablieren können. Es gibt aber mittlerweile Konzepte darüber hinaus. Sie beginnen nicht vor dem Hintergrund der Europäischen Artikelnummer, sondern setzen auf dem Internet Protocol auf. Denn es ist möglich, jeder Kaffeemaschine eine eigene IP-Adresse zu geben. In der Konsumgüterwelt wird EPC jedoch für die nächsten zehn Jahre der dominierende Standard sein.

CW: Damit sind die Tage des Barcodes aber doch gezählt.

Fleisch: Die Einführung des Barcodes hat 30 Jahre gedauert, und es wird lange Zeit noch eine Koexistenz geben. Voraussichtlich dauert es 20 Jahre, bis sich RFID in der Breite durchsetzt. Die Technik wird sich auch nicht in allen den Ländern gleich schnell etablieren. In Europa sind die Supply-Chains sehr viel stärker automatisiert als in den USA, wo noch erstaunlich viel manuell gemacht wird. Deshalb wird sich RFID dort schneller durchsetzen, da die Effizienzsprünge weit größer sind und sich der Einsatz rasch rechnet. (qua)