Rechnungshof kritisiert DV-Programme

20.05.1977

Der Bundesrechnungshof hat sich wiederholt zur DV-Förderung geäußert und dabei eine Reihe von Anregungen gegeben. Der Bundesminister hat diese Anregungen jedoch in seiner Förderungspraxis kaum beachtet.

In den Haushaltsjahren 1971 bis 1975 förderte der Bundesminister mit rund 225 Millionen Mark Entwicklungsarbeiten an einem einheimischen Großrechnersystem.

Als dieser Versuch zur Schaffung einer "Großrechnerunion" Mitte des Jahres 1971 gescheitert war, setzte der Bundesminister die Rechnerforderung ohne eine solche Basis fort. Auf Herstellerseite beteiligt waren nunmehr teils neben-, teils nacheinander die weiterhin getrennt arbeitenden Firmen Siemens und AEG, die auf Mitbetreiben des Bundesministers von den Firmen AEG und Nixdorf gegründete und nach knapp zweijährigem Wirken von der Firma Siemens übernommene Telefunken Computer GmbH (TC) sowie die gleichfalls unter Mitwirkung des Bundesministers zustande gekommene und ebenso nur vorübergehend lebensfähige UNIDATA, in der sich die Firma Siemens mit einem französischen und einem niederländischen DV-Hersteller ohne direkte Fusion zu kooperativem Vorgehen zusammengeschlossen hatte. Die von kostspieligen und zeitraubenden Umwegen gekennzeichneten Aktivitäten endeten schließlich damit, daß die bei der Firma Telefunken Computer GmbH laufenden Arbeiten an einem für Ende der 70er Jahre angekündigten Großrechnersystem alsbald nach deren Übernahme durch die Firma Siemens 1974 eingestellt wurden.

Der Bundesminister hat die Zuwendungen für die Entwicklung eines deutschen Großrechnersystems ohne ein langfristig angelegtes, sowohl fachlich wie gesamtpolitisch durchschaubares und durch sorgfältige Marktanalysen abgesichertes Konzept gewährt ... ... der Bundesminister hat es unterlassen, die Berechtigung einer Großrechnerförderung von Grund auf zu überdenken und vor allem die Absatzchancen eines deutschen Großrechners näher zu erkunden. Er verließ sich vielmehr auf die von der Firma Telefunken Computer GmbH geweckten Hoffnungen, die sich später aber als - vom Bundesministers so bezeichnete - "kapitale Fehleinschätzung" erwiesen.

Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes gab es durchaus ernst zu nehmende Anhaltspunkte dafür, daß Großrechner nur begrenzte Absatzchancen hatten, daß die Neuentwicklung derartiger Geräte - wenn überhaupt - nur im Rahmen vollkompatibler Rechnerfamilien vertretbar erscheinen konnte und daß die Umrüstung des für wissenschaftliche Zwecke entwickelten TR 440 auf eine kommerziell nutzbare und damit für den Markt interessantere Version nicht ohne beträchtlichen finanziellen und zeitlichen Aufwand zu verwirklichen war. So hatte etwa die ADV-Beratungsgesellschaft Diebold den Bundesminister in einer in seinem Auftrag erstellten und im Juli 1971 vorgelegten Studie zum zweiten DV-Programm darauf hingewiesen, daß nach ihren Untersuchungen "Großrechner nur in begrenzter Zahl abgesetzt werden" könnten und ihre "isolierte Entwicklung wirtschaftlich wenig sinnvoll" erscheine. Gegen eine positive Beurteilung sprach ferner die Tatsache, daß ein so potenter und markterfahrener Hersteller wie die Firma Siemens von einer Beteiligung an der damaligen Großrechnerentwicklung absah, weil er diese für "auf die Dauer defizitär" hielt und nicht "auf die Dauer Kostgänger des deutschen Steuerzahlers" sein mochte. Eine gezielte Umfrage bei potentiellen Großrechnerkunden hätte dem Bundesminister zudem einen eigenen Eindruck davon vermittelt, welches Interesse an einem Rechner der vorgesehenen Leistungsklasse eigentlich auf Abnehmerseite bestand. Dem Bundesminister gelang es auch nicht, die von ihm unterstützten DV-Hersteller zu verbindlichen Rahmenabsprachen über Entwicklung, Produktion und Vertrieb der neuen DV-Systeme zu bewegen.

Der Bundesrechnungshof schließt nicht aus, daß es unter Berücksichtigung aller im Jahre 1974 erkennbaren Umstände notwendig und sinnvoll gewesen sein kann, besondere Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitsplätze für die Telefunken Computer GmbH-Entwicklungsmannschaft einzuleiten. Er hält es jedoch wegen des damit verbundenen hohen finanziellen Aufwands für unzweckmäßig und haushaltsrechtlich nicht zulässig, daß hierfür Mittel im Wege der Projektförderung aus dem zweiten DV-Programm bereitgestellt worden sind.

Insgesamt gesehen, hatte das Fehlen eines eigenen Konzepts zur unvermeidlichen Folge, daß der Bundesminister das Schicksal der Großrechnerförderung und der in ihrem Namen verausgabten Bundesmittel nicht selbst in der Hand behielt, sondern zunehmend den wechselhaften, ausschließlich firmenpolitisch orientierten Entscheidungen der geförderten DV-Hersteller überließ.

Der Bundesrechnungshof läßt bei alledem noch offen, ob die Bemühungen um die "Großrechnerunion" wenigstens Ansätze für ein tragfähiges Kooperationsmodell enthielten. Sicher ist, daß spätestens nach dem Scheitern dieser Bemühungen selbst solche Ansätze fehlten. Immerhin führten die auf das Zustandekommen der Firma Telefunken Computer GmbH abzielenden Aktivitäten zur - wenn auch nur vorübergehenden - Bildung einer zweiten deutschen Herstellergruppierung, die der Firma Siemens als Konkurrent gegenüberzutreten gedachte Auch die Förderung über die UNIDATA half hier nicht weiter zumal die Ursache ihres Mißerfolgs nämlich die mangelnde Fusionsbereitschaft eines Partners, von Anfang an gegeben war.

Der Bundesrechnungshof hat unmittelbar, nachdem die Übernahme der Firma Telefunken Computer GmbH durch die Firma Siemens bekanntgeworden war, mit Schreiben vom 22. August 1974 den Bundesminister gebeten, Art und Umfang der künftigen Großrechnerförderung zu erläutern. Der Bundesminister hat hierzu erst mit Schreiben vom 22. November 1974 ausgeführt, daß durch die Anbindung der Großrechnerentwicklung an die europäische UNIDATA-Kooperation nunmehr über die Großrechnerunion hinaus der nächste Schritt getan sei, der diese als überholte Zwischenlösung erscheinen lasse. Im übrigen sei zu erwarten, daß die bisherigen Aktivitäten der Firma Telefunken Computer GmbH kontinuierlich fortgeführt würden.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Aufsichtsrat des Zuwendungsempfängers bereits am 18. November 1974 den Beschluß gefaßt, sämtliche von der Telefunken Computer GmbH begonnenen Arbeiten zur Entwicklung eines Großrechners einzustellen. Dies zeigt, daß der Bundesminister nicht ausreichend informiert und in welchem Maße ihm die Steuerung der Projekte entglitten war.

Der Rechnungshof beabsichtigt, einen über die Kritik an zurückliegenden Aktivitäten hinausgehenden Beitrag dafür zu leisten, daß Fehlinvestitionen der Art und der Größenordnung, wie er sie am Beispiel der Großrechnerförderung deutlich gemacht hat, wenigstens für die bis zum Auslaufen des dritten DV-Programms ("Ende der 70er Jahre") verbleibende Zeit vermieden werden.

Der Rechnungshof räumt ein, daß sich die Regierung bei der Formulierung des dritten DV-Programms bemüht hat, Ansatzpunkte und Ziele für die weitere staatliche Förderung der Datenverarbeitung zu konkretisieren. Er hält jedoch Zielvorstellungen wie "ausreichender Wettbewerb" und "Lebensfähigkeit aus eigener Kraft" für sich allein und auch zusammen mit der Zeitvision "Beginn der 80er Jahre" gesehen immer noch für zu ungenau.

Der Bundesrechnungshof begrüßt, daß auch der Bundesminister im Prinzip nicht daran denkt, die DV-Förderung Ende dieses Jahrzehnts ohne gründliches Überdenken neuer Aspekte und Randbedingungen in ein viertes DV-Programm überzuleiten. Er hat jedoch Zweifel, ob die Zuwendungsempfänger dies deutlich genug sehen und ihre langfristigen Dispositionen entsprechend treffen.

Der Bundesrechnungshof teilt auch die Auffassung des Bundesministers, daß - jedenfalls für den Bereich der Datenfernverarbeitung - besondere Koordinierungsmaßnahmen erforderlich sind. Wenn und soweit bei geförderten Hard- und/oder Software-Projekten Überschneidungen oder Parallelen mit anderen Projekten auftreten oder auftreten können, sollte die in diesen Fällen notwenige Zusammenarbeit stärker als bisher durch den Abschluß von Kooperationsverträgen formalisiert werden. In den Bewilligungsbescheiden für die betreffenden Förderungs- und Entwicklungsvorhaben wäre vorzusehen, daß bei Nichteinhaltung der über die Zusammenarbeit getroffenen Vereinbarungen sofort Konsequenzen (Einstellung der Förderung, Rückforderung der Zuwendung) gezogen werden.

Der Bundesrechnungshof will folgende Überlegungen berücksichtigt wissen:

- Der Bundesminister sollte künftig Förderungsentscheidungen nur auf der Grundlage des eigenen, fachlich fundierten und hinsichtlich der Zielsetzungen auch im einzelnen konkretisierten Gesamtkonzepts treffen.

- Es sollte sichergestellt werden, daß Zuwendungsgeber und Zuwendungsempfänger die Methoden und Instrumente des Projektmanagements einheitlich anwenden.

- Parallelentwicklungen sollten nur in eng begrenztem Rahmen ausschließlich nach fachlichen Gesichtspunkten als förderungswürdig anerkannt werden.

- Doppelförderungen bei der Entwicklung anwendungsorientierter Software erscheinen nicht vertretbar. Das Ziel, standardisierte Programmsysteme mit hoher allgemeiner Verfügbarkeit entwickeln zu lassen, kann nur dann erreicht werden, wenn die organisatorischen und strukturellen Voraussetzungen für den Einsatz der ADV in bestimmten Anwendungsgebieten eindeutig definiert werden und die darauf aufbauenden programmtechnischen Vorgaben auf einen Lösungsansatz beschränkt bleiben.

Der Bundesrechnungshof hat Zweifel, ob das Hauptziel der DV-Förderung, nämlich Stabilisierung der Marktstellung deutscher DV-Hersteller bei gleichzeitig angestrebter Unabhängigkeit von staatlichen Zuwendungen bis zum Anfang der 80er Jahre, unter den gegenwärtig erkennbaren Voraussetzungen überhaupt erreicht werden kann. Er hat den Bundesminister auf die Möglichkeit hingewiesen, daß sich die deutschen DV-Hersteller - veranlaßt durch das Marktverhalten Dritter - in absehbarer Zeit vor die Alternative gestellt sehen könnten, den Bau und die Weiterentwicklung von Universalrechnern in Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen Eigeninteressen einzustellen oder aber die Gesamtlast des finanziellen Risikos der mit der Weiterentwicklung von Universalrechnern verbundenen Entwicklungskosten auf den Staat abzuwälzen.