CW-Wert

"Raus aus der Scheiße"

19.09.2006

Immer wieder müssen wir mit Genugtuung feststellen, dass das Internet in homöopathischen Dosen eine demokratische Heilwirkung entfalten kann. Das zeigt sich etwa an den internationalen Kampagnen gegen China, das die freie Meinungsäußerung von Oppositionellen rigoros verfolgt.

Jetzt ist die Aufzeichnung einer geschlossenen Fraktionssitzung - also die interne Diskussion einer Partei - als Audiostream zu hören gewesen. Darin hat ein hochrangiger Politiker über die Informationspolitik - vor der Wahl - der amtierenden Regierung und zum Thema Haushaltsdefizit Folgendes zum Besten gegeben: "Es war sonnenklar, dass das, was wir sagen, nicht wahr ist." Der wahrscheinlich nur mäßig erstaunte Bürger erfuhr zudem, warum man ihm die Sparpläne vorenthalten hat. Das sei notwendig gewesen, "um die Regierung aus der Scheiße zu ziehen". Garniert wurden die Nettigkeiten mit Analysen wie "Wir haben vier Jahre lang nichts gemacht. Nichts! (...) Ich kann keine Regierungsmaßnahme nennen, auf die wir stolz sein könnten."

Solch erfrischende Offenheit zum Wahrheitsgehalt politischer Aussagen erfreut momentan die Ungarn. Deren Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany nämlich war es, der seinem Volk - unfreiwillig zugegebenermaßen - via Internet eine unentgeltliche Fortbildung über die Verfahrensweisen des Politbetriebs angedeihen ließ.

Seien Sie ehrlich: Sie haben gedacht, die Tonbandaufzeichnung, die als Grundlage für die offenherzige Internet-Soap diente, sei in Berlin gefertigt worden. Wir halten so etwas in Deutschland aber natürlich für völlig unwahrscheinlich.