Rationalisieren - aber im lnteresse der Arbeitnehmer

14.07.1978

Vorstandsmitglied des Arbeitgeberverbandes Groß- und Außenhandel (AGA), Hamburg

Beispiele in der heutigen Zeit machen deutlich, daß häufig die von der Technik gebotenen Möglichkeiten Anstoß für Rationalisierung sind. Bezogen auf den überwiegend mittel- und kleinbetrieblich strukturierten Groß- und Außenhandel ergeben sich dazu in jüngster Zeit einige besondere Aspekte: Rationalisierung war in ihren Anfängen weitgehend beschränkt auf industrielle Prozesse. In der zweiten Phase wurde auch der Verwaltungsbereich einbezogen, aber es ging fast ausschließlich um die Büros von Großunternehmen und Behörden

Besonders augenfällig wird dies an der Entwicklungsgeschichte des Computers. Die erforderlichen finanziellen und organisatorischen Aufwendungen lagen lange Zeit in Größenordnungen, die Mittel- und Kleinbetriebe grundsätzlich nicht zugänglich waren. Hinzu kam, daß die angebotene Software überwiegend industrieorientiert war. In der Folge ergaben sich Wettbewerbsnachteile für eine große Zahl von Unternehmen.

Nun ist es keinesfalls so, daß der Groß- und Außenhandel bisher weitgehend von den Segnungen der Computertechnik ausgeschlossen war. Eine vom Arbeitgeberverband Groß- und Außenhandel (AGA) durchgeführte Erhebung zeigt vielmehr, daß zirka 70 Prozent der Unternehmen dieses Wirtschaftszweiges EDV-Anwender sind. Art und Umfang der Computerisierung sind allerdings wesentlich von der Betriebsgröße abhängig. So ist die Masse der kleinen und mittleren Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis 50 Millionen Mark überwiegend auf Dienstleistungen von Rechenzentren angewiesen. Von den großen Unternehmen ist dagegen die Mehrzahl schon heute mit eigenen (gemieteten oder gekauften) Anlagen ausgestattet.

Das Vordringen der mittleren Datentechnik bringt hier eine Wende. Seitdem "richtige Computer" für einen monatlichen Mietwert von zirka 5000 Mark und darunter zu haben sind, können auch Mittel- und Kleinbetriebe die Vorteile der ganz auf die eigenen Belange zugeschnittenen Software nutzen. Die Möglichkeit des direkten Zugriffs in Verbindung mit Bildschirmausstattung an den entsprechenden Arbeitsplätzen eröffnet dem Management Möglichkeiten, deren einzel- und gesamtwirt schaftliche Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann Wahrscheinlich wird sich schon In wenigen Jahren zeigen, daß die mittlere Datentechnik wesentlich mehr für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Mittel- und Kleinbetrieben bewirkt hat als alle staatlichen Struktur- und Investitionshilfen zusammengenommen. (Übrigens: Rechenzentren werden im Zuge dieser Entwicklung nicht aussterben. Aber sie werden mehr und mehr Spezialaufgaben und komplementäre Funktionen übernehmen, wie sie es heute schon vielfach für große Unternehmen und, öffentliche Verwaltungen tun.)

Parallel zum Vordringen des Computers und häufig auch völlig unabhängig hiervon hat der Groß- und Außenhandel in den vergangenen Jahren beachtliche Rationalisierungserfolge erzielt. Nicht von ungefähr gelang es den meisten Firmen, den Anteil der Personalkosten am Umsatz zu stabilisieren oder sogar leicht zu senken. Seit Jahren ist der Personalbestand im Groß- und Außenhandel in etwa stabil geblieben oder leicht gesunken.

Im wesentlichen handelt es sich hierbei um den Erfolg konsequenter Bemühungen um eine rationelle, arbeitssparende Gestaltung der betrieblichen Abläufe.

Schwerpunkte der EDV-gestützten Rationalisierung in Großhandelsunternehmen sind vor allem in den folgenden Gebieten zu finden:

Rechnungswesen. Hier geht es um die Schaffung eines wirksamen, auf die jeweiligen

Bedürfnisse der Geschäftsleitung ausgerichteten Steuerungs- und Kontrollsystems; zum Beispiel Einführung kurzfristiger Erfolgsrechnungen, Anwendung der Deckungsbeitragsrechnung; genauere und schnellere Partie-Abrechnung und Erleichterung der Währungsdisposition im Außenhandel.

Distribution. Hier stehen Probleme der Standortwahl, der Lagergröße und Lieferbereitschaft im Vordergrund. Beispiel: Reduzierung der Auslieferungslager mindert Kapitalbildung und Kostenbelastung. Durch zweckmäßige Tourenplanung wird Minderung der Kundennähe mit relativ geringem Mehraufwand für Transportleistungen vermieden.

Organisation. Drei auf längere Sicht wirksame Tendenzen sind erkennbar. Erstens: Das Bestreben, die Arbeitsplätze und -abläufe so zu gestalten, daß sie leichter vergleichbar werden, wodurch unter anderem eine größere innerbetriebliche Mobilität der Mitarbeiter auf der unteren und mittleren Ebene erreicht wird. Zweitens: Die oft diskutierte Frage - produktbezogene oder kundenbezogene Organisation des Verkaufs - wird im Großhandel immer häufiger zugunsten der Kundenbezogenheit entschieden, mit entsprechenden Folgen für Außendienstorganisation und -training. Drittens: Im Bereich des Angebotwesens, der (Direkt-)Werbung und des Schreibens setzen sich neue Techniken auf breiter Basis durch (zum Beispiel Textautomaten).

Neben den hier angesprochenen betriebswirtschaftlichen Aspekten der Rationalisierung gewinnen zur Zeit gesellschaftspolitische Gesichtspunkte an Bedeutung, ein Phänomen, das sich naturgemäß nicht auf den Groß- und Außenhandel beschränkt. Arbeitnehmerorganisationen führen vor allem zwei Argumente gegen die Rationalisierung ins Feld.

1. Rationalisierung im Büro schafft überwiegend "dumme" Arbeitsplätze (hier denkt man wohl an die Erfahrungen mit Fließbandarbeit im industriellen Bereich).

2. Rationalisierung setzt Arbeitskräfte frei und dient primär der Profitvemehrung.

Dazu folgendes: Der Umgang mit einem Texthandbuch an einem Schreibautomaten stellt an die Bedienerin mit Sicherheit höhere Ansprüche als die Arbeit in einem zentralen Schreibbüro. Der Verzicht auf Rationalisierung und Modernisierung würde keine neuen Arbeitsplätze schaffen, dafür aber die Gesamtheit der vorhandenen gefährden. Rationalisierung liegt deshalb gleichermaßen im Interesse der Arbeitnehmer, der Unternehmen und der gesamten Volkswirtschaft.