Umfragen: Industrie will Vertrieb und Kundenbetreuung mit IT verbessern

R/3-Anwender gehen immer öfter fremd

03.03.2000
MÜNCHEN (bs) - Einmal SAP, immer SAP. Diese Weisheit gilt nicht mehr. Denn nur etwa 27 Prozent der von Mummert + Partner befragten SAP-Anwender planen, etwa für das Kunden-Management auf Tools aus Walldorf zurückzugreifen. Fast 90 Prozent der Unternehmen reicht SAP allein nicht aus, um alle Softwareanforderungen abzudecken, fand zudem CSC Ploenzke heraus.

Unternehmen, die Software der SAP AG einsetzen, müssen anscheinend immer öfter für ein Stimmungsbarometer der deutschen DV-Anwender herhalten. Um zu erfahren, wie zufrieden hiesige Betriebe mit ihren implementierten Produkten sind und in welche Softwarelösungen oder -technik sie in den nächsten fünf Jahren investieren, befragten die Beratungshäuser CSC Ploenzke und Mummert + Partner (M + P) unabhängig voneinander SAP-Anwender. Für die Hamburger M + P, die 140 der Top-500-Unternehmen in Deutschland interviewten, standen dabei Fragen im Vordergrund wie "In welchen Unternehmensbereichen sehen Sie Verbesserungspotenziale durch IT?" oder "Wo planen Sie den Einsatz von SAP- und Nicht-SAP-Produkten?". Ploenzke wollte von 84 SAP-Kunden (Umsatz größer eine Milliarde Mark) wissen: "Welche Strategien verfolgten Sie mit der Einführung von SAP" und "Können Sie damit Ihre gesamten Softwareanforderungen abdecken?". Soviel vorweg: Fast 90 Prozent der von Ploenzke befragten Unternehmen gaben an, SAP-Produkte allein reichten ihnen nicht.

Mit den vorliegenden Studien begeben sich die Consultants unweigerlich in ein Spannungsfeld: Sie üben öffentlich Kritik an dem, der sie nährt - zu einem erheblichen Teil zumindest. Damit diese umsatzbringende Allianz aber auch in Zukunft Bestand hat, werden die Schwachpunkte immer gepaart mit einem "grundsätzlich sind SAP-Kunden aber zufrieden" serviert.

Bei genauer Betrachtung der Umfrageergebnisse zeigt sich dann allerdings, dass nicht alle Unternehmensbereiche mit R/3 zufrieden sind. Ebenso sind viele Verbesserungen, die mit der Implementierung und Nutzung von R/3 einhergehen sollten, bis dato noch eher im Land der Träume zu finden: "Nur jedem achten von uns befragten IT-Leiter oder SAP-Verantwortlichen reicht R/3 aus, um die Softwareanforderungen seines Unternehmens abzudecken", gibt Martin Sternberg, Consultant bei Ploenzke, zu Protokoll. Weniger als 40 Prozent hätten angegeben, alle notwendigen Kennziffern mit der Waldorfer Software zu erhalten.

Die Gründe für diese magere Ausbeute liefert der Leiter der Wiesbadener Ploenzke-Geschäftsstelle European Practice SAP gleich mit: Das Gros der R/3-Projekte habe nicht zum Ziel gehabt, Unternehmen mit der Software strategisch zu lenken: "Im Wesentlichen werden mit SAP-Software die Butter- und Brot-Prozesse wie Finanzbuchhaltung, Controlling und Teile der Logistik unterstützt." Das allein reiche nicht aus, um Kennziffern für die Unternehmensplanung und -steuerung zu gewinnen. Fehlanzeige sind, laut Sternberg, SAP-Implementierungen, die einer strategischen Unternehmensplanung gefolgt wären: "Betriebe haben sich vorher wenig Gedanken über Märkte, Produkte und Kunden gemacht."

Auch im neunten Jahr nach der Markteinführung wird die Walldorfer Standardsoftware nicht gemäß ihrer Bestimmung eingesetzt - als vollständig integrierendes Tool. Sternberg: "Planungsketten vom Einkauf über die Produktion bis zum Vertrieb mit R/3 steuern ist noch Zukunftsmusik."

Dass bis dato durch den Einsatz von SAP mehrheitlich nur die Back-office-Funktionen der Unternehmen abgebildet werden, kommt aber nicht von ungefähr. Speziell für diese Aufgaben scheinen die Produkte gut geeignet zu sein. Dies spiegelt sich am Grad der Zufriedenheit mit R/3 für die einzelnen Unternehmensbereiche wider, den die Consultants von Mummert + Partner abfragten: Während sich Betriebe mit der Unterstützung der Prozesse im Finanzbereich sehr zufrieden zeigen, ändert sich das Bild bei der Betrachtung der logistischen Module: Im Vertrieb seien lediglich die Hälfte der befragten IT- und SAP-Leiter mit dem Einsatz von "SD" glücklich. Anlass zur Kritik gibt, dass das Vetriebsmodul kurze Produktlebenszyklen sowie garantieintensives Geschäft nicht ausreichend unterstütze.

SAPs Produktionssoftware hat noch DefiziteIn der Produktionsplanung gaben sogar nur 39 Prozent der Befragten an, dass die Verwendung der Moule "PP" für die diskrete Fertigung beziehungsweise "PP-PI" für die Prozessindustrie ihren Erwartungen entspreche. Ein Grund dafür ist, dass die Software für fertigungsnahe Aufgaben erstmals mit dem R/3-Release 3.0 (Mitte 1996) zur Marktreife gelangte und der Leistungsumfang hinter der Funktionsbreite der Finanzbausteine herhinkt.

Gefragt nach ihren geplanten IT-Investitionen gaben 72 der von Mummert interviewten Betriebe an, die Aktivitäten in Vertrieb und Kundenbetreuung forcieren zu wollen. 82 Prozent der Unternehmen möchten dies mit E-Business-Projekten im Internet erreichen. Begleitend planen 72 Prozent, die Durchlaufzeiten etwa von Aufträgen im Vertrieb zu verkürzen.

Erstaunlich ist, dass sich eine ebenso hohe Zahl der befragten Unternehmen mehr Datentransparenz im Vertrieb wünschen. Dieses Verlangen ist im Einkauf am größten: Obwohl hier 87 Prozent der Unternehmen seit Jahren das R/3-Modul "MM", speziell die Einkaufsfunktionen, einsetzten, reicht die Qualität der Informationen nicht. Kaum besser sieht es im Vertrieb aus, wo 72 Prozent der Befragten eine höhere Datenqualität und mehr Auswertungsmöglichkeiten fordern.

Es sei auch heute nur mit großem Aufwand möglich, ein Liste der Kunden und Bestellungen direkt am Computer abzufragen, so Mummert-Vorstand Wilhelm Alms: "Die IT-Chefs stehen bei Data-Warehouse-Projekten deshalb in den Startlöchern." Hier sollen laut Studie größere Vorhaben in den nächsten ein bis zwei Jahren angegangen werden.

Ploenzke-Mann Sternberg warnt jedoch davor, zu hohe Erwartungen an Data-Warehouse-Projekte zu stellen. Oft würde die Implementierung eines zusätzlichen Analysewerkzeugs nur unter dem Aspekt der Performance-Entlastung für das operative System in Betracht gezogen. Dies sei aber schiere Technik und ersetze nicht die sorgfältige Analyse der Daten, die für eine strategische Steuerung überhaupt benötigt würden.

Nach seinen Erfahrungen ist es außerdem grundsätzlich möglich, aus einem in die Arbeitsabläufe voll integriertem R/3-System eine große Zahl steuerungsrelevanter Kenngrößen wie Profitabilität von Kunden, Produkten und Märkten zu erhalten, ohne dass zusätzliche Warehouse-Komponenten implementiert werden müssen. Ressourcenengpässe aufgrund der Datum-2000-Problematik und Euro-Einführung hätten jedoch die durchgängige Einführung von R/3 in der Vergangenheit verhindert: "Ein IT-Leiter beginnt dort, wo es am stärksten schmerzt: veraltete Systeme ablösen und die neuen SAP-Inseln mit Legacy-Anwendungen koppeln, damit das Geschäft reibungslos weiterlaufen kann."

Die Wünsche der Anwender nach transparenteren Daten, Verbesserungen im Vertrieb und der Integration logistischer Ketten öffnen SAPs Konkurrenten allerdings Tür und Tor. Wie die Studie zeigt, muss SAP ganze Arbeit leisten, um insbesondere die Produktfamilie "New Dimensions" in die Kundenbasis zu verkaufen. Besonders auffällig ist dies bei Software für das Customer-Relationship-Management (CRM). Nur 27 Prozent der Befragten erwägen hier einen Einsatz von SAP-Tools. Als Alternativen nennen sie Lösungen von amerikanischen Softwareschmieden wie Siebel, Clarify, Vantive, aber auch deutsche CRM-Anbieter wie CAS, Orbis oder Update.com können bei SAP-Kunden punkten.

Dies ist eine herbe Schlappe für die Walldorfer: Denn bereits vor mehr als zwei Jahren hatte die badische Softwareschmiede mit der New-Dimensions-Initiative CRM-Lösungen, Pakete für das Lieferketten-Management sowie Data-Warehousing angekündigt. Als unabhängig von R/3 einsetzbare Komponenten sollen sie nicht nur der angestammten Klientel gefallen, sondern auch Spezialanbietern in diesem Umfeld Konkurrenz machen.

Als Grund für die Wahl eines SAP-Mitbewerberproduktes nannten 54 Prozent der Unternehmen, die sich bereits gegen das Walldorfer Softwarehaus entschieden hatten, den zu hohen Preis der Lösungen. Darüber hinaus waren die SAP-Anwendungen, besonders die Produktreihe New Dimensions, für 52 der Unternehmen nicht ausgereift. 47 Prozent entschieden sich gegen SAP, weil es nicht die beste Lösung am Markt sei. Sie stehen einem Best-of-breed-Ansatz, also der Strategie auch Lösungen von Drittanbietern zu implementieren, durchaus aufgeschlossen gegenüber.

Relativ viel Vertrauen bringen SAP-Kunden dem Hersteller dagegen in den Bereichen Supply Chain Management, Data Warehouse und Enterprise Controlling entgegen. 51 Prozent der Befragten planen, für das Data Warehousing auf SAP-Tools wie das "Business Information Warehouse" (BW) zurückzugreifen (siehe Grafik). Die Werkzeuge für das "Strategic Enterprise Management" (SEM) verheißen Verbesserungmöglichkeiten in puncto Transparenz sowie Unternehmenssteuerung und stellen deshalb für SAP-Kunden ein lukratives Angebot dar. Neben Balanced Scorecards gehören zu SEM vorgefertigte Applikationen für die Prozesskostenanalyse sowie Benchmark-Daten.

Sollten die Untersuchungen aus Kreisen der SAP-User auch nur annähernd einen repräsentativen Charakter haben, gibt es für die Anwenderunternehmen jedenfalls viel zu tun. Davon dürften allerdings auch die Softwareanbieter und Berater profitieren.

Abb.1: Was könnte besser sein?

Der Vertrieb leidet unter schwachem Kundenservice, langen Durchlaufzeiten und fehlender Transparenz bei Kundendaten. Quelle: Mummert + Partner

Abb.2: SAP-Anwenderbefragung

SAP allein ist nicht genug: Data-Warehouse-Werkzeuge oder auch immer noch Excel-Tabellen ergänzen die Planungs-Tools, die SAP ihnen nicht liefert. Quelle: Ploenzke

Abb.3: Investitionsplanung

Die Budgets für Controlling- und Data-Warehouse-Projekte sind SAP ziemlich sicher. Für Lösungen im CRM-Umfeld gehen Unternehmen gerne fremd. Quelle: Mummert + Partner

Abb.4: Überwiegend zufrieden

Unschlagbar ist SAP im Bereich Finanzwesen. Dringenden Nachholbedarf haben die Walldorfer bei vertriebs- und produktionsnahen Lösungen. Quelle: Mummert + Partner