Noch Schwierigkeiten beim Management heterogener Netze

Quality of Service bringt Daten auf die Überholspur

01.12.2000
KÖLN - Bandbreite allein reicht nicht. Diese Meinung vertrat die Mehrheit der Hersteller auf der Exponet 2000 in Köln. Wer mit seinem Netz auch für Applikationen wie Voice-over-IP oder Videokonferenzen gerüstet sein möchte, kommt nicht um Verfahren zur Sicherung der Quality of Service (QoS) herum. Schwierigkeiten bereitet derzeit noch das Management in heterogenen Umgebungen. CW-Bericht, Sabine Ranft

Auf einem PC läuft ein Film, der von einem zweiten PC geladen wird: Autos liefern sich eine Verfolgungsjagd. Doch gerade, als der hintere aufholt, schaltet der Firmenvertreter eine zusätzliche Netzlast auf der Verbindung der beiden PCs ein. Das Video wird unruhig, der Bildfluss gerät ins Stocken.

Schließlich erbarmt sich der Vorführer und aktiviert die Priorisierung der Videodaten im Netz. Das bringt die Welt wieder ins Lot: Der Film läuft trotz zusätzlicher Last normal weiter, und der Zuschauer sieht, wie der Verfolger das andere Auto von der Straße abdrängt. So einfach, wollen einem die Hersteller suggerieren, ist das mit der Dienstegüte: Ein Knopfdruck genügt, und fertig.

Technisch hört sich das schon komplizierter an. Die QoS in Netzen hängt von verschiedenen Parametern ab: Wenig Paketverluste, geringe und weitgehend konstante Verzögerungszeiten (Delay und Jitter) sowie eine hohe Verfügbarkeit zeichnen ein gutes Netz aus. Die meisten QoS-Verfahren widmen sich der Regulierung der Bandbreite und damit der Verringerung der Paketverlustrate.

Für die Priorisierung der zu übertragenden Datenpakete im Ethernet existieren zwei Standards der IETF: 802.1p und Diffserv. Beide beruhen auf der Markierung von Datenpaketen. So legen beispielsweise nach 802.1p drei Bits die Priorität fest - es kommen also acht verschiedene Prioritätsstufen vor. Dieses Verfahren arbeitet jedoch auf der Netzebene 2 und kann daher nicht zwischen Applikationen unterscheiden. Diffserv dagegen ist ein Standard für die Ebene 3: IP-Pakete (ab IP, Version 4) verfügen über ein so genanntes Type-of-Service-(ToS-)Feld, in dem eine Priorität eingetragen werden kann.

Neben diesen (sich ergänzenden) Standards für die Priorisierung gibt es noch das Resource Reservation Protocol (RSVP). Es signalisiert Vermittlungsgeräten, die auf der Verbindung zwischen sendendem und empfangendem Endgerät liegen, wie viel Bandbreite benötigt wird. Kommt von den Switches eine positive Antwort, beginnt die Übertragung. RSVP spielt eine gewisse Rolle für den Übergang zwischen Ethernet und ATM, in das Quality-of-Service-Mechanismen integriert sind. Laut Andreas Seum, Senior Product Line Manager bei Enterasys, konnte sich dieser Ansatz bisher aber nicht allgemein durchsetzen.

Nur für Carrier und die Backbone-Netze großer Unternehmen eignet sich Multiprotocol Label Switching (MPLS), ein Standard, der noch in Arbeit ist. MPLS markiert die Pakete (Tagging) und verarbeitet sie auf Ebene 2. Weil das zeitraubendes Routing vermeidet, beschleunigt es die Übertragung. Darüber hinaus werden verschiedene Netzsegmente voneinander getrennt. Beides ist wichtig für die Einrichtung von Virtual Private Networks (VPNs).

Verfahren zur Regelung der Dienstegüte auf Layer 2 und 3 stehen also zur Verfügung. Entsprechende Komponenten zu bekommen ist nicht das Problem. Die Switches und Router der meisten Hersteller beherrschen die bekannten Technologien. Doch vor dem Einsatz muss der Anwender erst einmal eine heikle Aufgabe angehen: nämlich festlegen, welche Applikationen und Benutzer priorisiert werden sollen. Die Vermittlungsgeräte selbst müssen in der Lage sein, in den Anwendungen vordefinierte Prioritäten zu überschreiben - sonst kann es vorkommen, dass das Netz Microsoft-Applikationen bevorzugt behandelt, weil diese sich automatisch die höchste Dringlichkeitsstufe zuweisen.

Bei der Definition der Prioritäten ist jedoch zu beachten: Bevorzugung einer Applikation heißt immer auch Benachteiligung aller anderen. Dass Daten mit niedriger Priorität nicht von Daten mit hoher Dringlichkeit blockiert werden, hält Helmut Stegmiller von Avaya Communication für ein kniffliges Problem. Es existieren jedoch Algorithmen mit vielen Ausnahmen und Fallunterscheidungen, die das Dilemma weitgehend beseitigen.

Die Implementierungen der Hersteller unterscheiden sich nach Angaben von Heiko Rössel, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Röwaplan in Abtsgmünd, deutlich. Darum rät er, die Switches auf jeden Fall zu testen. Probleme bereitet außerdem noch das Management heterogener Netze. Verfahren wie Directory Enabled Networking (DEN) sind meist noch Zukunftsmusik. Directory Enabled Networks gewinnen QoS-Verkehrsregeln aus den Verzeichnissen der einzelnen Anwendungen, speichern sie in einem zentralen Directory und laden sie von dort auf die einzelnen Netzkomponenten.

Die DEN-Initiative leidet heute noch unter Interoperabilitätsproblemen. Um Daten zu extrahieren, sind verschiedene Methoden nötig. Als Lösung kommen beispielsweise Meta-Directories in Frage. Zudem versagt der Ansatz bei Applikationen mit schnellem Datenaustausch, weil die Verzeichnisse dazu zu langsam sind. "Die Idee ist richtig. Wenn der Bedarf da ist, machen wir das", begrüßt Martin van Schooten, Product Marketing Manager bei Extreme Networks die Initiative. "Aber im Moment sehen wir keine große Nachfrage." Angesichts all dieser Schwierigkeiten empfiehlt Röwaplan-Chef Rössel, sich zwar QoS-fähige Geräte zu kaufen, das Feature aber noch nicht zu installieren, solange kein triftiger Grund vorliegt.

Ein solcher wäre sicher die Übertragung von Sprache im Netz. Anwendungen wie Voice- over-IP oder Video erfordern immer mehr QoS. "Die Kunden, die IP-Telefonie betreiben, priorisieren alle. Wir würden uns sonst wahrscheinlich auch nicht darauf einlassen", berichtet Carsten Queisser, Product Marketing Manager bei Cisco Systems.

Ein weiteres Anwendungsfeld identifiziert er bei Großkunden mit E-Commerce-Ambitionen. Diese wollen Kunden eine bestimmte Bandbreite zuweisen, damit nicht einer alles blockiert oder einzelne Kunden bevorzugt werden. Neben zeitkritischen kann es sinnvoll sein, geschäftskritische Anwendungen zu priorisieren: etwa auf einem Flughafen das Flugleitsystem. Bei vielen normalen Applikationen im LAN dagegen reicht es, genug Bandbreite anzubieten.

Dienstegüte muss durchgängig im gesamten Netz implementiert werden, also im Zugangsbereich, im Kernnetz und im WAN. Im WAN lässt sich die Lösung der überdimensionierten Bandbreiten in der Regel nicht anwenden, denn: "Bandbreite im WAN ist teuer", berichtet Marek Schmerler, General Manager Central Europe bei Sitara Networks, einem auf QoS spezialisierten Unternehmen. Sie betrage daher meist nicht mehr als 2 Mbit/s. Der Verkehr sei jedoch nicht geringer als im LAN, seitdem sich Applikationen wie Internet oder E-Mail etabliert haben.

Sitara hat dafür eine Lösung entwickelt, die Box "QoS Works". Diese wird an der Schnittstelle zwischen LAN und WAN installiert. Sie beobachtet das Netz erst einmal eine Woche lang und erzeugt Statistiken über die Verkehrsflüsse. Danach wird jedes Paket einer bestimmten Klasse zugewiesen. Eine Klasse besteht aus einer bestimmten verfügbaren Bandbreite sowie Regeln für den Umgang mit den Paketen dieser Klasse. Die Bandbreiten je Applikation lassen sich weiter nach Benutzern unterteilen.

Ist gerade kein E-Mail-Verkehr unterwegs, können sich andere Applikationen etwas von der dafür vorgesehenen Bandbreite borgen ("boroughing"). Die Box optimiert die Paketgrößen, indem sie zu lange Stücke zerhackt. Trennt etwa ein langer Web-Download zwei Voice-over-IP-Pakete, so reduziert die Unterteilung des Downloads in kleinere Häppchen die Verzögerung zwischen den Sprachpaketen so weit, dass sie nicht stört. Im Netzwerkkern unterstützt QoS Works Diffserv. Im Falle eines Fehlers im Gerät wird eine Bypass-Schaltung aktiviert, damit der Verkehr nicht blockiert wird.

Gerade bei der Übertragung von Sprache und Video machen sich die Verzögerungszeiten störend bemerkbar. Sie entstehen vor allem bei der Verarbeitung in Routern. Allzu viel lässt sich dagegen nicht tun, aber es gibt Mechanismen für ein intelligentes Queue-Management in Routern. Dazu gehört Weighted Fair Queuing (WFQ), das eine gewichtete Warteschlangenbildung erlaubt. Also weist es beispielsweise der Priorität 1 immer einen Anteil von 60 Prozent zu. (Das Gegenteil davon wäre Strict Priority Queuing, das heißt, die höchste Priorität kommt immer zuerst).

Nicht nur die Hersteller von Switches, auch die von Videokonferenz-Anwendungen können etwas zu einem reibungslosen Netzbetrieb beitragen. So drosseln etwa Produkte von CUSeeMe die Senderate, wenn ein Bandbreitenengpass besteht. Das Credo des Anbieters ist: Die Tonqualität muss gut bleiben. Wenn das Bild schlechter wird, ist das nicht so schlimm. Auf dem Server lässt sich zudem die maximale Bandbreite einstellen, die ein Benutzer verwenden darf.

Abb.1: Unternehmensnetzwerke

Moderne Applikationen erforden immer mehr Quality of Service im Netz. Quelle: Sitara Networks

Abb.2: Anwendungsbeispiel mit Siemens HiPath

Für die Quality of Service im WAN sorgt das Produkt "QoS Works" von Sitara. Quelle: Sitara

Abb.3: Priorisierung

Selbst im LAN ist die Priorisierung von Daten kein einfaches Problem. Sie erfordert viele einzelne Funktionen. Quelle: Heiko Rössel, Rowaplan