Arbeitsmarkt/Zielorientierte Entgeltgestaltung

Qualitative Kriterien müssen in den Vordergrund rücken

16.07.1999
Von Rupert Bardens* Das Führen mit Zielen beziehungsweise mit Zielvereinbarungen ist in vielen Unternehmen etabliert und findet zunehmend Verbreitung. Die Entscheidung, Ziele zu einem zentralen Gegenstand der Führung zu machen, eröffnet die Möglichkeit, auch Teile des Entgelts der Mitarbeiter an Ziele zu koppeln.

Das Führen und Entlohnen mit Zielvereinbarungen setzt voraus, daß die Ziele in Gesprächen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern festgelegt werden und sich darüber hinaus überhaupt messen lassen.

Zielorientierte Entgeltgestaltung basiert in der Praxis häufig auf Modellen, die fixe, garantierte und variable Vergütungsanteile vorsehen. Letztere hängen unter anderem davon ab, ob die meist für ein Jahr vereinbarten Ziele erreicht wurden.

Tendenziell erhöht sich der prozentuale Anteil der variablen Vergütungsanteile am Gesamteinkommen mit steigendem Gehalt beziehungsweise mit steigender Hierarchieebene. In niedrigeren Einkommensregionen wird in der Regel ein prozentual größerer Teil des Einkommens garantiert.

Die variablen Anteile können von individuellen und/oder kollektiven Zielerreichungen abhängen. Zielvereinbarungen sind sowohl mit einzelnen Mitarbeitern als auch mit Gruppen möglich, beispielsweise Projektteams, Abteilungen, Profit-Centern oder Führungsteams.

In der Praxis sind zwei Varianten der Koppelung von Zielvereinbarungen - konkreter: Zielerreichungsgraden - und Entgelt anzutreffen.

Variante 1: Die Honorierung einer Bandbreite von Zielerreichungen: Innerhalb bestimmter Grenzen erhalten die Mitarbeiter variable Entgeltbeträge.

Variante 2: Die auschließliche Differenzierung nach "Ziel erreicht/Ziel nicht erreicht".

Bei der Kopplung einer Bandbreite von Zielerreichungsgraden mit dem variablen Entgelt müssen folgende Fragen beantwortet werden:

1. Ab welchem Prozentsatz oder Absolutbetrag der Zielerreichung soll das variable Entgelt gewährt werden?

Hierbei spielen zwei Kriterien eine wesentliche Rolle: die Erreichbarkeit dieses Zielerreichungsgrads sowie die mit dem Fixgehalt abgegoltenen Leistungen und Erfolge.

Der Zielerreichungsgrad, ab dem ein variables Entgelt gezahlt wird, muß so gewählt werden, daß er für den Mitarbeiter - bei entsprechender Anstrengung - erreichbar ist. Wird diese Einstiegshürde so hoch gelegt, daß sie kaum überwindbar scheint, schafft dies mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Frustration als Motivation. Es gibt zwar die Möglichkeit, ein variables Entgelt zu erhalten, die Wahrscheinlichkeit, es zu bekommen, ist aber gering.

Andererseits ist bei der Wahl dieses Ansatzes der variablen Entlohnung zu überlegen, welche Leistungen und Erfolge bereits mit dem Fixgehalt abgegolten sein sollen. Wird die Einstiegshürde zu niedrig angesetzt, werden Leistungen möglicherweise doppelt entlohnt. Diese Frage ist für den einzelnen Mitarbeiter individuell zu beantworten.

Ist die Steigerung des Marktanteils für ein bestimmtes Produkt in der Region R von 24 Prozent im Jahr 1998 auf 32 Prozent im Jahr 1999 eine Zielgröße für den Vertriebsleiter in der entsprechenden Region, könnten der Vertriebsleiter und sein Vorgesetzter beispielsweise vereinbaren, daß ein variables Entgelt ab einem Marktanteil von 29 Prozent gewährt wird. Unter diesem Prozentsatz gibt es zusätzlich zum Fixgehalt keine finanzielle Entlohnung.

2. Bis zu welchem Prozentsatz oder Absolutbetrag der Zielerreichung soll das variable Entgelt steigen?

Dieser Aspekt ist zu beachten, wenn die Basis für die Gewährung des variablen Entgelts, die vereinbarte Zielgröße, sehr stark schwanken kann. Als Beispiel sind Kurse in Warentermingeschäften zu nennen. Eine Explosion der Zielgröße könnte zu einem variablen Entgelt in einer nicht beabsichtigten und einer gegenüber Kollegen nicht vertretbaren Dimension führen.

Zum anderen ist ein Maximum festzulegen, wenn Zielüberschreitungen nicht gewollt sind oder dem Unternehmen im Extremfall sogar schaden. Vereinbart der Leiter der Materialwirtschaft mit einem Disponenten, den Warenbestand bestimmter Produkte vom Durchschnittswert des Jahres 1998 in Höhe von drei Millionen Mark auf einen Monatsdurchschnitt im Jahr 1999 in Höhe von 2,5 Millionen Mark zu senken, so macht es vielleicht Sinn, dessen Tätigkeit bis zu einem Wert von 2,3 Millionen zu honorieren. Weitergehende Bestandssenkungen könnten aber zu Versorgungsengpässen führen; es darf also keinerlei Motivation geschaffen werden, die Bestände noch unter dieses Limit zu bringen.

3. Wie soll innerhalb dieser Bandbreite die Beziehung zwischen Zielgröße und variablem Entgelt aussehen?

In der Abbildung (Seite 66) sind zwei häufige Varianten, ein linearer und ein progressiver Kurvenverlauf, dargestellt. Andere Kurvenverläufe, etwa degressive oder treppenförmige, sind ebenfalls denkbar. Im dargestellten Beispiel wird dem Mitarbeiter erst ab einem Zielerreichungsgrad von 80 Prozent ein variables Entgelt gewährt. Eine Entscheidung für die Gerade bedeutet, daß ab einer Zielerreichung von 80 Prozent jeder Prozentpunkt mit einem gleich hohen Betrag des variablen Entgeltes bewertet wird.

Die progressive Kurve führt dazu, daß ab 80 Prozent Zielerreichung die Beträge je Prozentpunkt in Richtung der 100-Prozent-Marke steigen. Dieser Kurvenverlauf motiviert noch eher als der lineare Verlauf möglichst nahe an die 100-Prozent-Zielerreichung zu kommen.

Die Kurvenverläufe über die 100-Prozent-Marke hinaus hängen davon ab, ob eine Zielüberschreitung überhaupt gewollt ist und damit honoriert werden darf. Geht von einer Zielüberschreitung wie im Beispiel weiter oben, sogar eine Gefahr aus, kann das variable Entgelt auch wieder fallen.

4. Wie hoch soll das variable Entgelt sein?

Letztendlich ist über die Höhe des möglichen Anreizes jeweils neu zu entscheiden. Ein zielabhängiger, variabler Entgeltanteil sollte den Anforderungen des vereinbarten Zieles entsprechen und für den Mitarbeiter spürbar sein. Diese Beträge sind genauso wie die Ziele selbst und die Kriterien zur Messung der Zielerreichung zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitern im voraus zu vereinbaren.

"Spürbar" heißt, daß es sich für den Mitarbeiter lohnt, konsequent über ein ganzes Jahr hinweg an der Erfüllung dieses Vorhabens zu arbeiten.

Selbstverständlich stellt das Entgelt nicht den einzigen Anreiz in einem Arbeitsverhältnis dar; auch die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsinhalte, der Führungsstil etc. sind nicht zu vernachlässigen.

Anreize können auch nichtmonetär sein

Bei diesem Ansatz wird für die Gewährung des Anreizes lediglich geprüft, ob der Plan erfüllt wurde oder nicht. So ist das variable Entgelt etwa daran gekoppelt, ob die "Zertifizierung des Bereichs B nach DIN ISO 900x bis zum 31. Dezember 1999" oder die "Einführung der Software S bis zum 30. Juni 2000" gelungen ist.

Die daran geknüpften Anreize können auch nichtmonetär sein, zum Beispiel in einem anderen Aufgabenfeld für den Mitarbeiter liegen,eine Beförderung bringen, mit Incentives, Schulungsangeboten und vielem anderem mehr entlohnt werden.

Mit dem Führen durch Zielvereinbarungen und der Koppelung variabler Entgelte an das Erreichen dieser Ziele sind allerdings auch verschiedene Risiken verbunden.

Nicht Vereinbartes findet nur geringe Beachtung

Ein Problem beim Führen mit Zielen besteht darin, daß die vereinbarten Ziele die volle Aufmerksamkeit haben, besonders wenn sie mit Anreizen verbunden sind, und alle nicht angesprochenen Themen und Aufgaben in den Hintergrund treten.

Dieses Risiko ist umso höher, wenn in der Führung und bei Personalentscheidungen die Zielerreichungen fälschlicherweise als Gesamtbewertung der Arbeit des Mitarbeiters dienen. Eine solche Sichtweise wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Zielvereinbarungen auch gleichzeitig das gesamte Aufgabenspektrum des Mitarbeiters abdecken.

Das Thematisieren dieses Problems in Mitarbeitergesprächen und -trainings kann diesem unerwünschten Effekt entgegenwirken. Gegebenenfalls können zusätzliche Leistungsbeurteilungen und Leistungszulagen für die Aufgabenfelder außerhalb der Zielvereinbarungen vereinbart werden.

Innere Kündigung bei zu hohen Zielen

Ein weiteres Problem: In den Mitarbeitergesprächen werden zwar Ziele vereinbart und später wird ermittelt, ob und in welchem Umfang diese erreicht wurden. Die Frage, wie die Mitarbeiter das jeweils geschafft haben, bleibt jedoch häufig außen vor. Diese Gefahr läßt sich durch die Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Größen in die Zielvereinbarung vermeiden. Für die Maßnahmen zur Zielerreichung kann beispielsweise ein Budget vereinbart werden.

Ein typisches Risiko beim Führen mit Zielen liegt in überzogenen Zielen. Diese werden zum Beispiel von Jahr zu Jahr höher vereinbart oder sogar vorgegeben, bis sie zur Frustration und schließlich zur inneren Kündigung führen.

Vielfach herrscht in solchen Situationen die Meinung vor, daß das, was im vergangenen Jahr als Ziel vereinbart war und gesondert honoriert wurde, im folgenden Jahr automatisch überboten werden müsse, weil alles andere einen Rückschritt bedeute. Das Ziel, sich von Jahr zu Jahr verbessern zu wollen, ist grundsätzlich richtig und vielfach für die Existenz oder Expansion eines Unternehmens unumgänglich. Beim Vereinbaren der Ziele zwischen Mitarbeiter und Führungskraft sollte jedoch beiden bewußt sein, daß es Situationen gibt, in denen eine Verbesserung, die geringer ausfällt als im Vorjahr, eine Beibehaltung des Vorjahresergebnisses oder unter Umständen sogar ein schlechteres Ergebnis als in der Vergangenheit durchaus eine Herausforderung sein kann. Überzogene Ziele können auch dann zustande kommen, wenn das individuelle Leistungsvermögen der Mitarbeiter zu wenig Berücksichtigung findet.

Das Vereinbaren von Zielen mit jedem einzelnen Mitarbeiter kann zu einem Einzelkämpferverhalten führen. Jeder verfolgt seine Ziele und sieht sein variables Entgelt, ohne die Interessen der Kollegen oder das Gesamtinteresse des Unternehmens im Auge zu behalten

Diesem Problem kann die Vereinbarung von Zielen mit Mitarbeitergruppen begegnen. Dementsprechend besteht dann das variable Entgelt aus mehreren Komponenten. Neben den Individualzielen gibt es Ziele des Projektteams oder der Abteilung. Variables Entgelt könnte sich zu 60 Prozent durch die individuellen und zu 40 Prozent aus den kollektiven Zielerreichungen zusammensetzen.

Die Verbindung variabler Entgelte mit Zielvereinbarungen setzt die Meßbarkeit der Zielerreichungen voraus. Dies führt häufig dazu, daß fast ausschließlich quantitative Ziele festgelegt werden. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß sich auch qualitative Ziele einbeziehen lassen. Wesentlich ist dabei, daß Führungskraft und Mitarbeiter sich im voraus darauf verständigen, wie gemessen werden soll. Beim Thema "Kundenzufriedenheit" könnten dies die Ergebnisse einer davor beschlossenen und konzipierten Kundenbefragung sein; bei der Optimierung der Organisationsprozesse kämen die Durchlaufzeiten als Maßstab in Frage.

Zielvereinbarungsgespräche wirken motivierend

Die Diskussion der Problemfelder darf jedoch nicht den Blick auf die zahlreichen Chancen verstellen, die mit diesem Instrument verbunden sind. Zwei wesentliche Vorteile seien kurz angesprochen: Zum einen ist hier die Steigerung der Motivation zu nennen, die sich aus dem Arbeiten an den Zielen ergibt, die der Mitarbeiter festgelegt hat, und im Falle der Zielerreichung an den Mitarbeiter klar zuzuordnenden eigenen Erfolgen. Für das Unternehmen ergibt sich mit diesem Instrument die Möglichkeit, die Entgelte stärker leistungs- und erfolgsorientiert zu gestalten.

Angeklickt

Das Vereinbaren von Zielen mit jedem einzelnen Mitarbeiter kann zu Einzelkämpfer-Verhalten führen. Jeder verfolgt seine Ziele und sieht sein variables Entgelt, ohne die Interessen der anderen Mitarbeiter oder das Gesamtinteresse des Unternehmens zu berücksichtigen. Diesem Problem kann die Vereinbarung von Zielen mit Mitarbeitergruppen begegnen. Dementsprechend besteht dann das variable Entgelt aus mehreren Komponenten. Neben den Individualzielen gibt es Ziele des Projektteams oder der Abteilung.

*Dr. Rupert Bardens ist Professor für Personalwirtschaft an der FH Neu-Ulm sowie Berater und Trainer für Personal-Management und Kommunikation.