Prozessverständnis macht ERP billiger

04.10.2007
Von 
Vice President Software & SaaS Markets PAC Germany
Firmen verschenken viel Potenzial, da sie die Abläufe in ihrer Unternehmenssoftware zu wenig kennen.
Auszug aus dem Buch "Prozesslandschaften": Produktionsprozess mit verlängerter Werkbank. An der Schnittstelle zwischen Warenwirtschaft (Logistik) und Rechnungswesen treten häufig große Wissenslücken auf, die durch die Referenzprozesse geschlossen werden können.
Auszug aus dem Buch "Prozesslandschaften": Produktionsprozess mit verlängerter Werkbank. An der Schnittstelle zwischen Warenwirtschaft (Logistik) und Rechnungswesen treten häufig große Wissenslücken auf, die durch die Referenzprozesse geschlossen werden können.

Unternehmen sind von ihren ERP-Systemen abhängig, und alle tun das, was und wie es die Software vorgibt oder zulässt", sagt Werner Schmid, Geschäftsführer der Gesellschaft zur Prüfung von Software (www.gps-ulm.de) aus Ulm sowie Herausgeber und Mitverfasser des Fachbuchs "Prozesslandschaften für Unternehmen und Unternehmer". Trotz der provokanten These stellt Schmid die Bedeutung der Business-Software nicht etwa in Frage. Er will produzierenden Firmen helfen, ihre Standardprozesse zu verstehen und so eine Grundlage zu schaffen, ERP-Software so einzuführen, dass alle Beteiligten IT-Abteilung, Fachbereiche und Berater kapieren, was sich im System tun sollte. Das klingt einfach und ist es im Grunde auch. Deshalb nimmt das Fachbuch den Leser an die Hand und erklärt ihm, von einem typischen Unternehmensmodell ausgehend, die gesamte Prozesslandschaft in Industriebetrieben.

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warum viele Firmen ERP-Potenzial verschenken;

wie das Fachbuch "Prozesslandschaften" dabei helfen soll, Fachanwendern, IT-Experten und ERP-Beratern ein gemeinsames Verständnis für Geschäftsprozesse zu vermitteln.

Detailexperten

Fachwissen gibt es Schmid zufolge genügend, doch nützt es bei der ERP-Einführung nicht viel. "In Seminaren und Workshops zur Prozessmodellierung ist es immer wieder erstaunlich, dass die Teilnehmer viel isoliertes Spezialwissen mitbringen, aber den Prozess, in den sie eingebunden sind, nur bruchstückhaft kennen", klagt der Unternehmensberater. Und ebenso erstaunlich sei es, wie leicht und schnell mit diesem Teilwissen ein durchgängiger und stimmiger Prozess geformt werden kann.

Das Besondere an dem Buch sind nicht etwa heilsbringende Botschaften von Unternehmensberatern, die die Welt verbessern wollen. Anhand detailreicher, aber für eine breite Leserschaft erfassbarer Beschreibungen skizzieren die Autoren Referenzmodelle für zahlreiche Prozesse. Jeder Geschäftsprozess wird wie in einer Arbeitsanweisung nach ISO 9000:2000 beschrieben. Beispielsweise erfährt der Nutzer im Abschnitt "Produktion mit Fremdbearbeitung", wie Einkauf, Vertrieb, Produktion, Logistik und Rechnungswesen zusammenspielen. Eine Grafik visualisiert Art und Inhalt der Kommunikation zwischen Abteilungen. Die nebenstehende Beschreibung verdeutlicht die Prozessschritte und die Buchungen, etwa die Materialbereitstellung. Eine Buchungstabelle erläutert die buchhalterischen Vorgänge der Wertschöpfung. Hier geht es nicht um Bits und Bytes, sondern um betriebswirtschaftliche Sachverhalte, die sowohl die IT als auch die Fachbereiche durchdringen können. Sind alle auf dem gleichen Wissensstand, mag sich das Unternehmen um die Prozessoptimierung kümmern.

Verständnisdefizite

Schmids Motivation zu dem Buch ist schnell geschildert: Seiner Erfahrung nach sind die Verständnisdefizite in Unternehmen, aber auch bei Einführungsberatern von ERP-Software groß: "Nur wenige machen sich Gedanken darüber, wie die Prozesse in der Realität laufen." Nachgedacht werde höchstens dann, wenn die ERP-Software einmal stocke oder einen Fehler aufzeige. Dann beginne die Suche nach der Dokumentation. Ist die gefunden, stellten die Beteiligten nicht selten fest, dass keine Prozessbeschreibung vorliegt. Schon im Einzelfall sind solche Verlustleistungen spürbar, beispielsweise bei einem Lieferverzug mit Konventionalstrafe wegen fehlerhaft kommunizierter Termine. Die Missachtung des Warenwertes in den logistischen Prozessen, vom Wareneingang bis zum Versand, führt unweigerlich zu einer fehlerhaften (Nach-) Kalkulation, oft verbunden mit Einbußen. Noch häufiger sind Doppel- und Mehrfacharbeit am selben Geschäftsvorfall, Rück- und Verständnisfragen mit wechselseitiger Bestätigung. Hier sind keine Schlafmützen am Werk, vielmehr rühren solche Probleme von einer Unkenntnis des Prozessablaufs her, die letztlich die Produktivität mindert und hohe Kosten verursacht.

Es geht auch anders: "Bei der Einführung eines ERP-Systems sollte man die Prozesse aus der Gesamtsicht des Unternehmens planen. Ausgangspunkt der Überlegungen sind die Geschäftsbeziehungen zu Kunden, Lieferanten und anderen Geschäftspartnern", rät Schmid. Während der Einführung seien Anwender übergreifend zu schulen, so dass jeder mehr kenne als nur seinen eigenen Arbeitsplatz. Damit ließen sich Wissenslücken in den Abläufen schließen und kontraproduktive sowie überflüssige Arbeiten vermeiden: "Die Basis dafür sind die Referenzprozesse, die aus der Sicht des Unternehmens und seiner Geschäftspartner geplant und damit konsistent, redundanz- sowie widerspruchsfrei sind."

Nach Überzeugung des Autors dient das Buch jedoch nicht nur denen, die ERP-Software einführen wollen, denn auch Nutzer bestehender Software sollten Schmid zufolge über ihre Prozesse nachdenken: "Nach unseren Erfahrungen werden etwa 25 bis 30 Prozent aller Daten, die für die Ablaufsteuerung wichtig sind, doppelt geführt." Dazu zählen die beliebten Excel-Tabellen auf dem Arbeitsplatz-PC. Die Gründe dafür seien vielfältig, sie reichten von der Unkenntnis über die Bedienung der IT-Systeme bis zum Unverständnis des Zusammenhangs mit den Aufgaben des Unternehmens. Für Schmid ist die Doppelarbeit nur ein Beispiel: Bei einer Gesamtbetrachtung komme man schnell auf zehn und mehr Prozent der Arbeitszeit, die für Nacharbeiten wegen Versäumnissen anderer Mitarbeiter oder für die Behebung von Fehlern aufgewandt werden müssen.

Spezialisten versus Generalisten

Viele Mitarbeiter überlegen nicht lange, sondern fangen einfach an, das zu tun, was ihnen gesagt wurde, Schritt für Schritt, Detail für Detail. Erst viel später stellt meist ein anderer fest, dass sie das Falsche gemacht haben. Sie haben das Ende des Prozesses nicht gekannt oder sich für das, was eigentlich damit geschaffen werden sollte, nicht interessiert. "Eine häufige Ursache ist auch, dass es ihnen keiner gesagt hat, weil es die Vorgesetzten oder Berater selbst nicht wussten", so Schmid. Software- und ERP-Berater kennen sich meist mit einzelnen Modulen einer Applikation aus. Das Denken und Handeln in hoch spezialisierten "Grüppchen" widerspreche jedoch sowohl dem Prinzip als auch der Architektur eines ERP-Systems, das ja alle Prozesse eines Unternehmens steuern soll.

Isolierte ERP-Funktionen

Für die ERP-Anwender sind die Folgen fatal: Statt durchgängiger Prozesse werden nur sehr viele Einzelfunktionen ein- und auf die Interessen der Anwendergruppe ausgerichtet ("customized"), also für eine isolierte Nutzung optimiert. Die Produktionsplanung, als Beispiel, bekommt einen grafischen Leitstand, der aber nur funktioniert, wenn die Daten aus der Arbeitsvorbereitung und Fertigung aktuell und exakt sind. Doch diese Gruppen sehen das Optimum an ganz anderen Stellen, beispielsweise darin, die Produktionssteuerung möglichst flexibel zu halten oder den Aufwand für die Datenpflege zu verringern.

Schmid zufolge bemühen sich Firmen durchaus, ihre Prozesse zu dokumentieren. Der damit betraute Experte fertige jedoch allzu oft umfängliche Ablaufdiagramme an, die er nur mit großer Mühe anderen vermitteln könne. Das Buch dokumentiert einige Prozesslandschaften und hilft zu vermeiden, dass jedes Unternehmen das Rad neu erfinden muss.

In dem Werk steckt geballtes und vor allem praxisnahes Wissen, das anschaulich verabreicht wird, und zwar unabhängig von bestimmten Softwareprodukten und Einführungsmethoden. Erhältlich ist es weder im Buchhandel noch in der Preisklasse sonstiger Fachliteratur. Die Prozesslandschaften erwirbt man für 740 Euro direkt bei GPS.