IT im Handel/Abwicklung mit dem Handel

Prozesse transparenter und Lagerbestände fair verteilt

12.11.1999
Geschmack und Qualität ihrer Käseprodukte sowie eine leistungsfähige Informationstechnik bilden das Rückgrat des Erfolgs der im Allgäu beheimateten Hochland AG. Vor drei Jahren nahm sich der Käseproduzent vor, seine internen Prozesse und Datenströme transparenter zu machen. Auch war die externe Abwicklung mit dem Handel verbesserungswürdig. R/3 trat an die Stelle veralteter Individualsysteme. Rainer Gritto* skizziert die Einführung.

In allen fünf Kontinenten kann man heute die Produkte der Hochland AG kaufen. Der Vertrieb spielt eine wichtige Rolle bei dem Käseproduzenten. Auch aus diesem Grund entschied sich die Gesellschaft, zusätzlich noch das SAP-Vertriebsmodul SD zu übernehmen. Zunächst einmal waren die Module FI (Finanzwesen), CO (Kostenrechnung) und MM (Materialwirtschaft) sowie PP (Produktion) eingeführt worden. Allerdings mußte Hochland das Vertriebsmodul noch durch Zusatzlösungen seinen spezifischen Anforderungen anpassen.

Dadurch läßt sich die Zusammenarbeit mit dem Handel - trotz Standard - nach wie vor individuell gestalten. Heute arbeiten 30 Mitarbeiter in Heimenkirch mit SD, das wie die anderen Module auch auf die fünf Tochterunternehmen übertragen werden soll.

"Die Qualität in Produktion und Service kann immer nur so gut sein wie die Technologie, die dahinter steht." Dieses bei Hochland gepflegte Motto gilt sowohl für die Produktionsanlagen als auch für die Informationstechnologie, die für das Zusammenspiel der Geschäftsprozesse zwischen Industrie und Handel immer wichtiger wird.

Vor etwa drei Jahren entschlossen sich Geschäftsführung und Fachbereiche dazu, ein neues DV-System einzuführen. Die bestehende Systemlandschaft, die durch Individualentwicklungen geprägt war, sollte von integrierter und Jahr-2000-fähiger Standardsoftware abgelöst werden. Nach gründlicher Abwägung und intensiver Sichtung des Angebotes entschied sich Hochland für eine Zusammenarbeit mit SAP. Ein wichtiges Ziel war, die Software so weit wie möglich im Standard einzuführen.

Als Beratungspartner für die Implementierung sollte ein mittelgroßer Dienstleister fungieren, von dem Hochland individuelle und kontinuierliche Betreuung erwarten konnte. Hier fiel die Wahl auf die Lynx Consulting Group, Consulting-Partner der SAP. Den Ausschlag gaben unter anderem deren Erfahrungen in der Markenartikel-Industrie.

Anfang 1997 starteten die Heimenkirchener neben den Modulen FI, CO, MM und PP auch mit der Einführung des Moduls SD. Im Januar 1998 nahm der Teilbereich Fakturierung gemeinsam mit den anderen Modulen den Betrieb auf.

Ab 1998 richtete man das Vertriebsmodul mit der Auftragsabwicklung und der Anbindung des automatischen Hochregallagers für die Fertigware ein und ergänzte die Software um spezifische Zusatzlösungen. Sie arbeiten seit Januar 1999 erfolgreich. Trotz der für Markenartikler umfangreichen Funktionalität der Standardsoftware benötigte man noch zwei Release-fähige Erweiterungen. Sie optimieren insbesondere an der Schnittstelle zwischen Auftragsabwicklung und Versand die logistischen Prozesse und verbessern damit die individuelle Betreuung der Handelspartner.

Diese Kunden werden zumeist ab Lager beliefert. Trotz aller Anstrengungen in Absatz- und Produktionsplanung kommt es aber immer wieder zu Situationen, in denen der Lagerbestand einzelner Produkte nicht ausreicht. In solchen Fällen ist es wichtig, die vorhandenen Bestände fair auf die einzelnen Lieferungen zu verteilen. Hier reichte die Funktionalität im R/3-Standard, die eine Reservierung der Bestände in der Reihenfolge des Auftragseingangs vorsieht, nicht aus.

Daher entwickelte man als Alternative dazu die "Manuelle Warenzuteilung". Im ersten Schritt reserviert sie einmal am Tag nach Ende der Auftragsannahme die Bestände für alle Bestellungen, die am Folgetag geliefert werden sollen. Im zweiten Schritt läßt sich für jedes Produkt, dessen Bestand zu niedrig ist, die vorhandene Ware in einer speziell entwickelten Dialogfunktion schnell und übersichtlich auf die betroffenen Aufträge verteilen. Hierbei kann man auch dispositive Bestände aus der Produktion berücksichtigen, die noch rechtzeitig zur Verladung bereitstehen.

Im SAP-Standard lassen sich ausschließlich Einzellieferscheine ausgeben. Zur Verbesserung der logistischen Abläufe wurde das Heimenkircher System um einen Mehrkundenlieferschein (MKL) ergänzt, auf dem kleine Lieferungen unter 1000 Kilo zusammengefaßt sind. Er hat zwei Aufgaben: Zum einen steuert er die Versandabwicklung im internen Fertigwarenlager. Für kleinere Aufträge muß man nicht mehr jede Position einzeln bearbeiten. Vielmehr wird für jeden Artikel summarisch - über alle Bestellungen - die benötigte Menge gesammelt vom Lager entnommen.

Teilprojektgruppen für jedes Modul

Die Kommissionierung läßt sich auf diese Weise in kürzerer Zeit abwickeln. Zum anderen dient der MKL als Lieferschein für den Logistik-Dienstleister, den er zusätzlich zu den Einzellieferscheinen erhält. Aufgabe des Dienstleisters ist die Feinkommissionierung und schließlich die Belieferung der Kunden über die Einzellieferscheine.

Während der Einführung bildeten mehrere Teilprojektgruppen - eines für jedes Modul - ein Gesamtprojektteam. Ein Team setzte sich aus einem dafür komplett abgestellten Mitarbeiter aus dem Bereich Informationssysteme und einem bis zwei Vertretern aus den jeweiligen Fachbereichen zusammen. Diese Key-User, die direkt an ihren Bereichsleiter berichteten, widmeten etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit dem Projekt. Zusätzlich stand für jedes Modul ein externer Berater bereit.

Als entscheidenden Faktor für die erfolgreiche Einführung sieht Hochland die intensive und konstruktive Mitarbeit der Fachbereiche. Ihr Engagement war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die beteiligten Mitarbeiter persönlichen Entscheidungsspielraum hatten. Sie nutzten diese Freiräume durchaus verantwortungsvoll zur Umsetzung der abteilungs- und unternehmensspezifischen Anforderungen. Bereichs- und Geschäftsleitung mußten kaum eingreifen.

Hinzu kam, daß nur die Key-User bei SAP geschult wurden und ihr Wissen selbst an die Fachbereiche weitergaben. Sie entwickelten bereichsspezifische Schulungsunterlagen, die sich konkret an den implementierten Prozessen orientierten. Da sie sowohl die Funktionalität der Anwendung als auch das Tagesgeschäft gut kannten, konnten sie gut auf die Fragen und Bedürfnisse ihrer Fachbereiche eingehen. Sie stellten während des gesamten Projekts den Brückenkopf zwischen Fachbereichen und Projektteams dar. So waren die User von Anfang an in das Projekt einbezogen.

Die Einführung von SAP in Heimenkirch bildet erst den Anfang einer Umstellung, die gruppenweit erfolgen soll. Nachdem das Modul FI für das Finanzwesen bereits in vier Tochterunternehmen implementiert worden ist, will man im Jahr 2000 mit weiteren Modulen in der Gruppe fortfahren.

Den Support im Basisbereich und die Modulbetreuung steuert die Zentrale von Heimenkirch aus, damit die Tochterunternehmen auf der DV-technischen Seite entlastet sind. Die fachliche Seite vertreten - ähnlich den Key-Usern - jeweils Ansprechpartner, die in den einzelnen Gesellschaften benannt werden.

Mit der Einführung des neuen Systems hat die Hochland AG die Basis dafür geschaffen, die sich immer schneller ändernden Anforderungen, welche die Abwicklung der Geschäftsprozesse mit dem Handel stellen, auch im Bereich der Informationssysteme adäquat erfüllen zu können. Auch im Allgäu ist man eben nicht mehr nur "auf Käse eingestellt".

ANGEKLICKT

Heute nutzen mehr als hundert Mitarbeiter SAP R/3 in der Heimenkircher Hochland AG, davon 30 das Vertriebsmodul SD. Durch das integrierte System sind die Prozesse für alle Fachbereiche des international agierenden Käseproduzenten deutlich transparenter und auch organisatorisch klarer geworden. Beträchtliche Vorteile ergeben sich für Hochland durch die Integration des Moduls Kostenrechnung (CO). Hier brachte die integrierte Datenbasis in SAP eine deutlich höhere Qualität im Berichtswesen, sowohl im Bereich der Kostenträgerrechnung als auch in der Kundenergebnisrechnung.

Das Unternehmen

1927 wurde die Hochland AG in Heimenkirch im Allgäu gegründet, ursprünglich als reines Familienunternehmen. Zum 1. Januar 1999 wurde die Hochland Reich, Summer & Co. in eine AG umgewandelt; heute ist Hochland mit sechs Produktionsstätten in Heimenkirch, Schongau, Dieue-sur-Meuse (Frankreich), Barcelona (Spanien), Kazmierz (Polen) und Sighisoara (Rumänien) einer der größten Käseproduzenten Europas. Zur Unternehmensgruppe gehört außerdem die Natec Reich, Summer GmbH & Co. KG, die Produktionsanlagen für die Käseveredelung entwickelt und vermarktet. Hochland vertreibt seine Produkte in über 50 Ländern. 1998 erwirtschaftete das Unternehmen mit 2200 Mitarbeitern einen Umsatz von 1,3 Milliarden Mark. Am Stammsitz in Heimenkirch sind 1300 Mitarbeiter beschäftigt, etwa 1000 davon in der Produktion.

*Rainer Gritto ist Bereichsleiter Informationssysteme bei der Hochland AG in Heimenkirch.