DV-Projekte rütteln an Erbhäfen, Teil 2

Projektarbeit verändert die Kultur Unternehmen

14.09.1990

Die Wirkung von DV-Projekten wird nach wie vor unter. schätzt. Mitten im Geschäftsablauf entstehen plötzlich Teams, die abseits vom Abteilungsdenken Arbeitsweisen einüben, die nur noch wenig mit den bisher üblichen Hierarchien zu tun haben. Gisela Bolbrügge* behandelte im, ersten Teil ihres Beitrags die Organisationsformen der Projektarbeit. Das soziale und betriebliche Umfeld, in dem sie abgewickelt werden, ist nun Gegenstand des zweiten Teils.

*Gisela Bolbrügge arbeitet als Beraterin bei dem gleichnamigen Beratungs- und Trainings-Unternehmens in Stuttgart

Projektarbeit findet stets im Spannungsfeld von Bereichen statt, die genau definierte Aufgaben und Interessen haben. Für sie alle kann Projektarbeit eine zusätzliche Belastung bedeuten, die den eigentlichen Bereichszielen entgegenwirkt. Ein bisher funktionierendes System mit einem ausgeloteten Gleichgewicht wird durch eine neue Arbeitsweise durcheinandergebracht. Leicht können auch Spannungen und Konflikte, die unter Beteiligten des Umfelds untereinander herrschen und die nur mittelbar etwas mit dem Projekt zu tun haben, sich kontraproduktiv auf das Projekt auswirken (siehe Abbildung).

Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes sollte das gesamte Unternehmen auf die neue Arbeitsform vorbereitet werdene Dies erfordert eine systematische Unterrichtung der Mitarbeiter von Beginn an und unterstützende Organisations-Entwicklungsmaßnahmen über eine längere Zeit hinweg. Diese müssen sich sowohl auf die einzelnen Beteiligter)- des Projektmanagements als auch auf das gesamte Umfeld erstrecken.

"Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum." Mit dieser Floskel wird häufig gegen die Notwendigkeit Projekte zu planen argumentiert. Der Mensch scheint eine tiefe innere Abneigung gegen vorausschauende Vorgehensweisen zu haben. Möglicherweise sieht er darin Einschränkungen seiner persönlichen Freiheit, muß doch jede Planabweichung begründet werden.

Viel einfacher ist es, sich vorn Tagesgeschehen treiben zu lassen. Da man meist über soviel Zeit verfügt, wie man sich läßt, hat man um so mehr, je weniger man sich festlegt. Planung erfordert dagegen Disziplin und die Fähigkeit nein zu sagen.

Oft wird die fehlende Planung auch mit der Schwierigkeit, Softwareprojekte zeitlich einzuschätzen begründet. Das Problem, eine in ihrem Umfang noch wenig bekannte Aufgabe zu taxieren und dafür auch noch geeignete Schätzmethoden zu finden, sollte jedoch nicht dazu führen, daß irgendwelche Phantasiezahlen genannt werden, denen auf Dauer niemand mehr Glauben schenkt.

Manchmal sollen solche Phantasiezahlen auch verhindern, daß die Entscheidungsträger über den vermutlich echten Aufwand nicht allzusehr erschrecken. Besteht doch berechtigte Hoffnung, daß ein einmal gestartetes Projekt nicht wieder eingestellt wird, selbst wenn der "geplante" Aufwand um ein Vielfaches überschritten wird.

Zu jeder Planung gehört eine regelmäßige Kontrolle. Ein Projekt verzögert sich nämlich ziemlich genau dann um ein Jahr, wenn sich etwa 200 Kleinigkeiten um jeweils einen Tag verzögern. Die Projektkontrolle soll als ein Frühwarnsystem für das Team, nicht nur für den Projektleiter und den Auftraggeber verstanden werden, damit rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden können und das Projekt nicht aus dem Ruder läuft.

Projektarbeit kann an Erbhäfen rütteln

Verständlicherweise haben die meisten Menschen einen inneren Widerstand gegen eine bestimmte Art der Kontrolle. In einem Fitneß-Center dagegen kontrollieren Body-Builder immer wieder begeistert ihre Fortschritte. Ständige Überprüfung des Projektfortschrittes dürfte also ohne Widerstände möglich sein, wenn die Mitarbeiter die Planung akzeptiert haben und sich dem Projekterfolg verpflichtet fühlen.

Wird der Arbeitsfortschritt im Projekt über ein Werkzeug verwaltet, dann hat der Betriebsrat ein Wort mitzureden, und hieran könnte eine entsprechende Kontrolle scheitern. Dies gilt eventuell auch schon, wenn Projektmitarbeiter Tätigkeitsberichte ausfallen müssen.

Vielfach verzögern sich Projekte, weil keine Sicherheit für die Beteiligten geschaffen wurde, wer wofür verantwortlich ist und wer welche Entscheidungen zu treffen hat. Klarheit über Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege bedeutet nämlich, daß ein Regelwerk darüber aufgestellt wurde. Der Grund für eine solche Unterlassung liegt nicht immer in einer schlampigen Planung. Mitunter rüttelt Projektarbeit nämlich an persönlichen Kompetenzen und Erbhöfen.

Die kritischen Erfolgsfaktoren für die Projektarbeit liegen sowohl im Bereich der Organisation als auch im psychosozialen Umfeld. Als Beispiele aus dem Bereich der Organisation seien erwähnt:

- Eine fehlende oder unklare Projektdefinition macht es schwierig, den Projektumfang abzugrenzen, und öffnet Tür und Tor für zahllose Änderungswünsche.

- Die Benennung keines oder eines falschen Auftraggebers kann dazu führen, daß die zukünftigen Benutzer alles andere bekommen als das, was sie wirklich brauchen.

- Jedes Projekt benötigt einen und nur einen Projektleiter.

Mehrere Projektleiter bewirken daß sich einer auf den anderen verläßt, und im Zweifel niemand verantwortlich war. Während das Fehlen eines hauptamtlichen Projektleiters dazu führt, daß die Aufgabe vermutlich irgendwann im Tagesgeschehen untergeht.

- Die richtige Auswahl des Projektleiters ist wichtig für den Projekterfolg und darf keinesfalls dem Zufall überlassen bleiben. Häufig wird bei Software-Entwicklungsprojekten ein erfahrener DV-Mitarbeiter zum Projektleiter ernannt, obwohl er nicht über die notwendigen sozialen Fähigkeiten verfügt. Externe mit der Projektleitung zu beauftragen kann zu erheblichen Akzeptanz- und Motivationsproblemen führen.

- Bei der Zusammenstellung des Projektteams muß auch darauf geachtet werden, daß die Teammitglieder miteinander harmonieren, was keineswegs die Bildung einer total homogenen Gruppe bedeuten muß.

Heterogene Gruppen arbeiten intensiver

Heterogene Gruppen arbeiten häufig wesentlich effektiver, auch wenn sie für den Projektleiter aufgrund der unterschiedlichen Charaktere schwieriger zu managen sind. Trotzdem gilt wie beim Fußball, daß elf Stars noch lange kein Team sind.

- Wegen des hohen Kommunikationsaufwandes bei großen Teams ist es ratsam, die Anzahl der Mitarbeiter im Projekt so klein wie möglich zu halten.

- Auch ein hochqualifiziertes Team und ein hervorragender Projektleiter sind darauf angewiesen, daß die übrigen Gremien des Projektmanagements ihre Funktionen erfüllen. Kein Projektausschuß ist fast noch besser als einer, der seine Aufgabe nicht erfüllt.

- Es wäre mehr als wünschenswert, die Erfahrungen der einzelnen Projekte auszuwerten und Konsequenzen hinsichtlich des Projektmanagements oder hinsichtlich entsprechender Schulungs- und/oder Beratungsmaßnahmen einzuleiten.

Die kritischen Erfolgsfaktoren aus dem psychosozialen Bereich haben viel mit Einstellungen und Verhalten, also auch mit Unternehmenskultur, zu tun. Wer hier notwendige Veränderungen erzielen will, darf sich nicht nur auf Projektleiter und Team beschränken, sondern muß das ganze Unternehmen in seine Betrachtung mit einbeziehen.

Wichtig ist, den Mut zu eigener Meinung zu fördern. Herrscht dagegen im Unternehmen eine ausgesprochene Schwarzer-Peter-Mentalität, wird niemand wagen, Fehler zu machen. Eine Einstellung, die einerseits wenig innovationsfördernd ist und die andererseits auch verhindert, daß über auftretende Probleme offen gesprochen werden kann. Eng verbunden mit dieser Mentalität ist das Denkschema der Gewinner und Verlierer. Beide Einstellungen wirken der teamorientierten Projektarbeit ausgesprochen entgegen und führen fast sicher zu Problemen.

Projektarbeit als Projekt einführen

Bei besonders machtorientierten Führungskräften findet man häufiger einen autoritären, als den kooperativen und partizipativen Führungsstil, der für Projektarbeit unerläßlich ist. Mitarbeiter, die den autoritären Führungsstil gewohnt sind, finden sich anfänglich im Projektteam in einer verunsichernden Situation wieder, und es kann einige Zeit dauern, bis sie sich emanzipiert haben.

Ein Unternehmen, das Projektarbeit als Arbeitsform dauerhaft etablieren will, benötigt eine zielgerichtete Umsetzungsstrategie, die über eine behutsame und schrittweise Einführung der Projektarbeit große Akzeptanz bei allen Beteiligten erreichen soll. Dabei kommt es darauf an, daß Projektmanagement selbst in Form eines Projektes eingeführt wird.

Für die einzelnen Phasen oder Leistungsstufen werden überschaubare und praktikable Schritte definiert. Diese Vorgehensweise soll vermeiden, daß Überforderung der Mitarbeiter zu Frustration, Resignation, zu innerer oder gar äußerer Kündigung oder zum Boykott der neuen Arbeitsweise führt. Damit ist weder dem Unternehmen noch den Mitarbeitern gedient.

Bevor Projektmanagement unternehmensweit und verbindlich eingesetzt wird, empfiehlt es sich, das Konzept auf seine Praktikabilität an einem überschaubaren Projekt zu testen. Unerfahrene Mitarbeiter gar unter Zeitdruck ein strategisches Projekt aufzubürden, führt garantiert zu dem Fehlschluß, daß ohne Projektmanagement alles einfacher, besser und schneller ginge.

Die rechtzeitige Planung von Schulungsmaßnahmen und Informationsveranstaltungen darf in der Einführungsstrategie nicht fehlen.

Dies ist um so notwendiger, da Teamarbeit eine Arbeitsweise ist, die weder von Schule noch Universität noch üblicherweise in der Arbeitswelt vermittelt wird. Eine einzelne Schulungsmaßnahme genügt hier wahrscheinlich nicht.