Systementwicklung produktiv und effizient gestalten:

Programmierer - ein Berufsbild wandelt sieh

12.05.1989

*Prof, Karl-Heinz Rau leitet die Fachabteilung Datenverarbeitung und Wirtschaftsinformatik II der Berufsakademie Stuttgart; Dr. Eberhard Stickel ist sein Mitarbeiter.

Veränderungen im Berufsfeld des Programmierers, Bereitstellung entwicklungsfähiger Standard-Software und Aufbau leistungfähiger LANs waren Themen eines Erfahrungsaustausches von DV-Führungskräften während der Fachtagung des Arbeitskreises Wirtschaftsinformatik der Berufsakademie Stuttgart.

Für eine mehrdimensionale Sichtweise bei Produktivitätsaussagen im Bereich der AnwendungsentwickIung plädierte Werner Kalmbach, Leiter IS-Anwendungen der IBM Deutschland GmbH. Die Produktivität der Anwendungsentwicklung ist nicht Selbstzweck, sondern ausgerichtet auf die Effizienz des Benutzers und des Rechenzentrums. Um Produktivitätssteigerungen zu erreichen, sind die treibenden Kräfte des Managementsystems, die bereitgestellte Entwickler-Hardware, die Geschäftsprozeß-Architektur, die Datenarchitektur und Werkzeuge wie das Prototyping, die Developers Workbench und Generatoren. Ergänzend dazu muß der Entwicklungsprozeß verändert werden, um bereits in führenden Phasen das richtige Verständnis für die Benutzeranforderungen zu bekommen.

Eine besondere Herausforderung stellen diese Veränderungen der Anwendungsentwicklung an das Wissen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter in diesem Bereich. Dabei verliert die isolierte Fähigkeit des Proqrammierens immer mehr an Bedeutung. Neben diesen Aspekten spielt für Kalmbach auch die Frage eine Rolle, inwieweit die Produktivität der eigenen Anwendungsentwicklung durch den Kauf von am Markt verfügbarer Software beeinflußt werden kann.

Als Vertreter des Standard-Software-Herstellers Steeb stellte Richard Wirkler die Wichtigkeit einer durchgängigen Software-Architektur heraus, insbesondere weil Steeb kommerzielle Standard-Software für Zielsysteme unterschiedlicher Hardware-Hersteller anbietet. Auf der Basis eines modular aufgebauten und hierarchisch strukturierten Architekturkonzeptes gelingt es demzufolge, entwicklungsfähige Standard-Software bereitzustellen.

Der Entwicklungsprozeß wird unterstützt durch ein phasenorientiertes Vorgehensmodell sowie einer Tool- und Dokumentationsbasis. In der Phase des fachlichen Systementwurfs würden in Zukunft das Prototyping und Ansätze zu einer Ablaufsimulation mit dem Kunden Einsatzgebiete finden. Bei der Programmierung und Integration verfügt der Entwickler vor dem Hintergrund der Architekturmodelle und Standards über eine Workstation-orientierte Workbench. In den Phasen der Erprobung, Einführung, Stabilisierung und Optimierung garantieren die Qualitätsprüfung, die Zentralarchivverwaltung, die Versions- und Releaseführung sowie der Online-Service einen effektiven und effizienten Service für den Kunden.

Die integrierte Verfahrenstechnik "Domino" stand im Mittelpunkt des Vortrages von Norbert Drenkard, Abteilungsbevollmächtigter im Bereich Entwicklungs-Technologie der Siemens AG. Als Basis für eine Anwendungsentwicklng wurde die Prozeßorientierung und die konsequente Verwendung von "Meilensteinen" zur Steuerung des Projektablaufes hervorgehoben. Die Erfahrungen des Hauses Siemens zeigen, daß eine durchgängige Systementwicklung eine simulationsfähige Modellierungssprache notwendig macht. Als ein Werkzeug mit vollständiger Grafikdarstellung wurde Grapes-86 vorgestellt.

Helmut Drodofsky, Abteilungsleiter und Leiter der Kaufmännischen Anwendungsentwicklung der Daimler-Benz AG, berichtet über Erfahrungen mit einer Softwareproduktionsumgebung. Auf der Basis von internen Standardisierungsmaßnahmen werden mit der selbstgestrickten Entwicklungsumgebung CASD (Computer Aided Software Development) alle Phasen unterstützt. Zwar wird Standardanwendungssoftware nur in geringem Umfang eingesetzt, jedoch hat "maßgeschneiderte Standardsoftware" auf der Basis gemeinsamer Spezifikation verschiedener Anwenderbereiche eine große Bedeutung. Neben einer Vielzahl von Maßnahmen hob Drodofsky die Mehrfachverwendung von Systemkomponenten besonders hervor. Weitere Produktivitätstreiber sind Programmgeneratoren auf der Basis von Rahmencode.

Im Durchschnitt konnte beim eingesetzten DC-Programmgenerator ein Verhältnis Usercode zu Rahmencode von 1:1 erreicht werden. Hinsichtlich des Einsatzes von 4GL-Sprachen wies Drodofsky auf das Problem hin, daß Cobol Standard ist, 4GL jedoch nicht. Über ein Unternehmensmodell (Data Dictionary) hat Daimler unternehmensweit konsistente Daten und das Ziel eines Anwendungs-Portofolios aus einem Guß unterstützt. Perspektiven für die Zukunft sieht Drodofsky in der Einbindung von LANs, dem Client-Server-Prinzip, verteilten Datenbanken, der Integration wissensbasierter Technologie und dem Entwicklerarbeitsplatz mit lokaler Rechnerleistung.

Zweigleisig ausgerichtet

Die Berufsakademie als eine zweigleisig ausgerichtete Bildungsinstitution des tertiären Bereichs in Baden-Württemberg bildet im Rahmen eines dreijährigen Studiums unter anderem Diplom-Betriebswirte in der Fachrichtung Wirtschaftsinformatik aus. Wesentliches Merkmal ist die Verbindung fachwissenschaftlicher und berufspraktischer Ausbildung. Zur Intensivierung des Erfahrungsaustausches zwischen dem DV-Management der beteiligten Ausbildungsbetriebe wurde vor einem Jahr von Professor Karl-Heinz Rau der Arbeitskreis Wirtschaftsinformatik ins Leben gerufen.