Mobile Devices/Bei ortsbezogenen Diensten ist die Kreativität der Anbieter gefordert

"Produkte können gar nicht absurd genug sein"

24.08.2001
Schon seit einigen Jahren arbeitet der Hamburger Medienkünstler Stefan Schemat an einem System, das seinen Benutzer in einer Stadt auf Schritt und Tritt verfolgt. Im Interview erläutert er, unter welchen Voraussetzungen ortsbezogene Mobilfunkdienste erfolgreich sein können.

CW: Herr Schemat, was macht den Erfolg eines ortsbezogenen Dienstes aus?

Schemat: Die Grundprinzipien dafür hat bereits der Medientheoretiker Marshall McLuhan beschrieben: Ein neues Medium ist gekennzeichnet durch die Erweiterung der Sinne. Die ortsbezogenen Dienste stellen für den Menschen eine solche Erweiterung dar, wobei diese von der Güte der Interaktivität abhängt, die ihm ein System bietet. Und diese Interaktivität wiederum wird bestimmt vom Profil des Benutzers, durch die Umgebung und verknüpft mit der Suggestion. Ein erfolgreiches Medium muss Gedanken lesen können.

CW: Was bedeutet das in der Praxis?

Schemat: Ein ortsbezogener Dienst muss die Gewohnheiten seines Benutzers kennen. Er muss herausfinden, wann er wo essen geht, welchen Friseur er aufsucht, wo er seine Bücher kauft. Das komplette Profil. Dann muss die Software erkennen, wenn der Benutzer von seinen Gewohnheiten abweicht, wann die Möglichkeit besteht, dem Benutzer ein Angebot zu machen, das er nicht ablehnen kann. Orts- und bedürfnisbezogene Werbung muss auch wissen, wann es aussichtslos ist, für einen Dienst zu werben. Auf der Schwelle meines Lieblings-Italieners habe ich mich entschieden und möchte nicht mit dem Sparmenü einer Fastfoodkette genervt werden. Bin ich jedoch in einer fremden Stadt, sauge ich jeden Hinweis dankbar auf, werde verführbarer.

Nun gilt es einen Motivationsimpuls zu setzen, damit der Benutzer den Shop ansteuert. Das erfolgt per Suggestion. Der Hinweis: "Gehe die Nächste rechts, dann bist Du beim Shop" ist plump und wirkungslos. Er provoziert ein ablehnendes Verhalten.

Vielleicht wird die Werbebranche dazu übergehen, das Kaufen des beworbenen Produktes in eine Handlung einzubetten, als natürlichen Teil einer Geschichte. Aus dem Käufer wird der Protagonist, aus dem Kauf ein Abenteuer. Ob wir dann von den Flammen der Werbehölle verschluckt werden oder lernen, damit umzugehen wie mit dem schnellen Schnitt von Musikvideos, das ist doch eine interessante Frage.

CW: Direkte, offensive Angebote sind also zum Scheitern verurteilt?

Schemat: Der Benutzer hat das dringende Bedürfnis, seine Wahlfreiheit zu behalten. Offensive Beeinträchtigung dieser Wahlfreiheit lässt er nicht zu und beantwortet sie mit Zurückweisung. In einem Experiment wurde der Rabatt für eine Brotsorte ins Absurde gesteigert, bis das Brot nach Einlösung der Rabattmarke in der Verpackung letztlich umsonst war. Man würde vielleicht denken, das Brot fand reißenden Absatz. Aber das Gegenteil war der Fall, keiner wollte es haben, weil es die eigene Wahlfreiheit bedrohte.

CW: Wird sich M-Commerce also mit geschicktem Marketing durchsetzen lassen, auch wenn er wenig Nutzen bringt?

Schemat: Kurzfristig auf jeden Fall. Die Hysterie wird den Mobile-Hype antreiben. Der Glanz neuer technischer Produkte wird den mangelnden Nutzen kompensieren. Manchmal können diese Produkte gar nicht absurd genug sein. Wenn man sich in ein neues Medium einklinkt, hat das immer auch mit einer Vision der Zukunft zu tun. Wer heute einen Ipaq mit GPS-System kauft, holt sich kein Produkt, sondern eine Vision.

CW: Welche Ideen halten Sie bei den Location Based Services für erfolgversprechend?

Schemat: Die Anbieter von Trivialdiensten stellen sich das Ganze viel zu einfach vor. Restaurantführer, Taxidienste oder Touristen-Guides werden den Markt überschwemmen und so stark miteinander konkurrieren, dass der Benutzer sie kaum differenzieren kann. Da werden nur die großen Marken überleben, wie etwa der Stadtplandienst von Falk.

Viel versprechend scheinen spielerische Ideen wie zum Beispiel Schnitzeljagden oder interaktive Romane. Auch Kontaktdienste sind spannend. Die Evolution der Peer-to-Peer-Technologien steht mit den Erfolgen von SMS und Napster erst am Anfang. Doch das Ganze muss sich rechnen, sonst sabotiert die Industrie die Technologien, denn die Vorstellung, zwischen Menschen einen Gebührenzähler zu installieren, scheint zu verlockend. Schließlich ist nichts so wertvoll wie menschliche Beziehungen. Mit ortsbezogenen Diensten haben die Benutzer eine noch bessere Möglichkeit, einander näher zu kommen, als mit der blanken SMS. So kann mein Freund zum Beispiel eine Nachricht virtuell an einen Ort "kleben", und die wird mir vorgespielt, sobald ich am gleichen Ort bin. Das gibt dann so eine Art virtuelle Duftmarke.

CW: Die Fortsetzung von Messenger-Systemen ohne PC?

Schemat: Ganz genau.

CW: Werden die Benutzer nicht Angst bekommen, wenn ihnen plötzlich ein Bekannter von hinten auf die Schulter klopft?

Schemat: An derartige Überraschungen wird man sich gewöhnen.

CW: Wie werden solche Systeme gesteuert?

Schemat: Eigentlich nur durch die Bewegung des Benutzers. Idealerweise erfolgt die Ausgabe per Sprache. Damit integriert sich der ortsbezogene Dienst optimal in die Umwelt. Er verschmilzt mit ihr. Tut er das nicht, dann kommt es zum Information Overflow, und der Benutzer widmet seine Aufmerksamkeit ganz der Umwelt oder, noch schlimmer: ganz dem Handy.

CW: Welche Rolle spielt dabei die grafische Darstellung?

Schemat: Zunächst einmal gar keine. Die optische Verschmelzung mit der Umgebung ist viel aufwändiger, ich muss viel mehr über den Benutzer wissen. Außerdem kann es Probleme geben, etwa mit dem Straßenverkehr. Akustische Systeme integrieren sich nahtloser. So etwas wie Simulator-Schwindel gibt es da nicht. Wer ein am Kopf befestigtes Display benutzt, muss ständig eine Schachtel Aspirin dabei haben.

CW: Es geht also darum, die Realität mit ortsbezogenen Diensten ein klein bisschen zu verändern?

Schemat: Es geht um eine Art Kolonialisierung. Der Benutzer wird zum Herrscher der Welt. Mit den zusätzlichen Informationen der ortsbezogenen Dienste kann man ihn noch mächtiger machen, weil er Dinge erfährt, die er gar nicht direkt sieht. Und dabei muss er dem Dienst nicht nachlaufen, sondern kann ganz seinen Instinkten folgen.

CW: Was könnten das für Informationen sein?

Schemat: Das können natürlich Stadtinformationen sein, etwa für Touristen, aber auch für die Einheimischen selbst. Interessant sind auch ortsbezogene Nachrichten. Hier ist die aktuelle Position ein zusätzliches Selektionskriterium. Firmeninfos werden ein Pendant zur Homepage im Web sein.

CW: Die Dienste müssen also an das jeweilige Umfeld angepasst werden.

Schemat: Auf jeden Fall. Es macht keinen Sinn, mit dem New Yorker Tempo durch Lüneburg gehetzt zu werden. Das passt nicht. Es bedarf einer Translokation, einer Art von ortsbezogener Inszenierung. Vor allem interaktive Romane können ja nicht einfach nur in einer Stadt spielen.

CW: Warum ausgerechnet ein interaktiver Roman?

Schemat: Wir wollen der ordinären Realität ein Schnippchen schlagen. Hyperliteratur hat nicht funktioniert, weil das Anklicken von Hyperlinks nicht funktioniert. Es ist frustrierend und unterbricht den Lesefluss: Statt in die Handlung einzutauchen, bringt der Hyperlink den Leser immer wieder an die Oberfläche zurück. Aus Tauchen ist Surfen geworden. Bei Bewegungssystemen kommen wir dem Idealzustand näher. Hier kann sich der Benutzer treiben lassen.

Das Interview führte Frank Puscher

LBS-gesteuerter RomanSchemats interaktiver Roman "Infektion", der zu Teilen in Berlin und in Hamburg spielt, arbeitet mit subtilen psychologischen Tricks, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu fesseln. Tricks, die auch in der Welt des M-Commerce zum Einsatz kommen müssen. Ein GPS-Empfänger holt sich Positionsdaten und übergibt sie an ein Notebook. Dieses Notebook setzt die empfangenen Positionsdaten um und liest dem Benutzer Fragmente eines Romans vor. Durch seine Bewegung im Stadtraum steuert der Benutzer die Geschichte.