Prime-Ripper

25.11.1988

Wenn es überhaupt amerikanische DV-Anbieter gibt, die im Schafspelz daherkommen, dann gehörte MAI Basic Four dazu - dachte man zumindest bisher. Denn seit der Investor Bennett S. Le Bow vor dreieinhalb Jahren die Führung übernommen und 26 Vizepräsidenten an die Luft gesetzt hatte, trat die Firma still, unauffällig und bescheiden auf. Und schrieb wieder schwarze Zahlen.

Jetzt hat MAI, nein: Le Bow, den Wolfspelz übergestreift. Der (vermeintliche) Wolf hat, um im Bilde zu bleiben, Appetit auf ein noch viel größeres Raubtier: die Prime Inc., die selbst Anfang des Jahres Computervision mit Haut und Haaren verschlungen hatte und, nach anfänglichen Verdauungsstörungen, bereits im Herbst das nächste Opfer verspeiste, nämlich General Electrics Calma-Division. Sind da nicht Le Bows Augen größer als sein Magen?

Wer sich über so etwas wundert, kennt sich wohl in der DV besser aus als an der Börse. Das läppische Argument, die Firmen paßten aus diesem oder jenem Grund nicht zusammen - sei es Sortiment, Vertriebsstruktur oder Unternehmenskultur - wird vom Tisch gewischt, solange am Aktienmarkt mit einer solchen Fusion Geld zu verdienen ist. Worum es geht, verrät schon der Börsen-Jargon: Konzernplünderer (corporate raiders) lassen sich mit Schrottanleihen (junk bonds) den Kauf ganzer Konzerne finanzieren, selbst wenn hinterher unter dem Schuldenberg von der ganzen Firma nichts mehr zu sehen ist. Laß Dich fressen oder stirb - solange sich die New Yorker Yuppies an der "Takeover Mania" goldene Nasen verdienen dürfen, gilt an Wall Street big als beautiful.

Le Bows Attacke hat dennoch kaum Beifall gefunden. Denn er hatte zuvor versucht, sein MAI-Aktienpaket zu versilbern, und dies auch noch an die große Glocke gehängt. Erst als er merkte, daß sich kein Kaufinteressent überreden ließ, für die um 12 Dollar erhältliche MAI-Aktie 25 Dollar zu berappen, blies der Finanzakrobat zum Gegenangriff.

Was seine wirklichen Ziele sind, wissen selbst die Analysten in Manhattan nicht. Folgende Theorien stehen zur Auswahl (die unwahrscheinlichste Lösung gewinnt):

1. Le Bow will Prime dazu bewegen, ein Gegenangebot zu machen und ihm MAI abzukaufen.

2. Es reicht Le Bow, wenn ein Teil der Prime-Aktionäre auf die MAI-Offerte eingeht - dann kann er das Paket komplett nach Natick zurückverkaufen und einen satten Reibach machen.

3. Es geht wirklich um eine Fusion. Dann würde MAI in die zu übernehmende Firma integriert ähnlich wie es derzeit bei Concurrent mit der viel kleineren Masscomp geschieht. Dem Zusammenschluß würden etliche Arbeitsplätze zum Opfer fallen, zunächst auf Management-Ebene und in der Verwaltung, später in Entwicklung und Produktion. Vorteil dieser Variante: Um die inkompatiblen Produktlinien zusammenzuführen, müßte der Umstieg auf Unix beschleunigt werden. Wahrscheinlich würde die eigene Hardwareproduktion auf ein Minimum zurückgeschraubt; das Unternehmen würde zum Systemhaus. Le Bow könnte so ein attraktiveres Ziel für eine spätere Akquisition durch einen Großkonzern ù la Unisys schaffen. Der Pferdefuß: Der immense Schuldendienst, den eine "Primai" leisten müßte, könnte bei der leichtesten Rezession zum Zusammenbruch führen. Und das wäre nicht im Sinne Le Bows, der ja Geld verdienen will.

Bleibt nur die Erklärung, daß Le Bow aus Primes Willen zur Selbständigkeit Kapital schlagen und das Unternehmen zur Ader lassen will. Seine MAI ist dann für den Prime-Ripper nur das Mittel zum Zweck.