Kritische Anmerkungen eines Betroffenen

Pressemitteilungen muessen mit Skepsis gelesen werden

07.05.1993

Nicht nur im PC-Bereich, sondern auch bei den groesseren Systemen kooperieren mittlerweile viele Hardwarehersteller mit bestimmten Softwarehaeusern und bieten dadurch dieselben Loesungen (Stichwort R/3) an. Somit wird die Kommunikation mit den Anwendern wichtig, die frueher mit herstellerspezifischer Hard- und Software arbeiteten.

Wie lassen sich solche Verbindungen herstellen? Messen, Ausstellungen und Kongresse sind schliesslich nur fuer eine erste Kontaktaufnahme geeignet. Deshalb bedarf es der Medien als Mittler. Da Journalisten aber nicht staendig mit den Anbietern und Anwendern reden koennen, wurden die sogenannten Pressemitteilungen oder -informationen erfunden, wobei das Wort Information allerdings oft unangebracht erscheint.

Sprachliche Nebelwefer

"Taeglich verlieren Sie 1000 Gehirnzellen. Retten Sie den Rest! Gegen Fernsehschwachsinn gibt es nur ein Mittel: Beschaeftigen Sie Ihr Gehirn!" Mit dieser ganzseitigen Anzeige warb der Fernsehsender VOX fuer sein Programm. Eigentlich unverstaendlich, denn schliesslich denken die Menschen doch ununterbrochen. Politiker im Fernsehen beginnen jeden zweiten Satz mit "Ich denke". "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst" hiess es einst in einem Schlager.

Die Verfasser von Pressemitteilungen scheinen sich jedenfalls nicht allzuviel zu denken. Das erste Beispiel dafuer ist ein Zitat aus einer Meldung von ASI Computer im April 1991: "Der Preis von unter 5000 Mark, also etwa 2,50 Mark pro Gramm, ist in diesem Leistungsbereich eine zusaetzliche Attraktion." Wann endlich werden Computer nach Gewicht verkauft?

Andere Fragen wirft die Aussage auf: "Das Unternehmen garantiert ohne Einschraenkung, dass die Produkte leicht zu nutzen, gut entwickelt und von Vorteil fuer die Anwender sind." (Zitat aus einer Presseinformation der Fifth Generation Systems vom August 1992). Frage eins: Was bedeutet "gut entwickelt" - etwa schoene Formen? Frage zwei: Woher weiss der Anbieter, dass die Produkte fuer jeden Anwender, den er doch gar nicht persoenlich kennt, von Vorteil sind?

Da ist der Satz aus einer SNI-Mitteilung vom Juli 1991 schon hilfreicher: "Das Siemens-Nixdorf-Modell kann pro Sekunde fuenf Milliarden Rechenoperationen (Gigaflops) ausfuehren; dazu wuerde ein Mensch mit einem Taschenrechner - bei einer 40-Stunden-Woche - mehr als 10 000 Jahre brauchen." Diese Behauptung kann man wenigstens arithmetisch nachpruefen. Keinen Taschenrechner braucht man hingegen, um auszurechnen, wie oft ein Anbieter ein heisses Eisen der Branche oder gar seines eigenen Unternehmens angefasst hat.

Harter Wettbewerb

Tandy Grid behauptete auf der CeBIT 93: "Auch ohne Gentechnologie haben die Ingenieure eine interessante Kreuzung entwickelt." Gemeint war eine Verbindung aus Notebook und Notepad. Dabei hatte man uns doch schon vor Jahren das Zeitalter der Pen-driven-Systeme verkuendet. Aber der Wettbewerb ist hart, und das nicht nur im Markt der mobilen Computer. Dabei spielen die sogenannten Clones - jetzt sind wir doch wieder bei der Gentechnologie - eine wichtige Rolle, zumindest im PC-Sektor.

Anscheinend aber auch in anderen Sphaeren. Jedenfalls schrieb die Computervision GmbH seinerzeit zum Thema Clones an ihre Kunden, dass sie nur Original-Sun-Produkte verkaufe, und riet unter anderem: "Pruefen Sie, ob der Clone-Hersteller den gleichen Bugfixing-Service bei neuen Solaris-Revisionen bietet wie SMCC." Das klingt fast, als ob die Hersteller absichtlich Fehler in ihre Software einbauen wuerden, um damit eine gewisse Anbieter-Anwender- Bindung zu erreichen.

Mangelnde Ehrlichkeit

Clones sind im Prinzip kompatible OEM-Produkte. Dementsprechend koennte man bei denjenigen, die OEM-Produkte beziehen und unter eigenem Label vermarkten, OEM mit "Ohne eigene Maschinen" interpretieren. Aber das waere nicht ganz richtig, denn schliesslich haben alle grossen Computer-hersteller schon immer Fremdprodukte - beispielsweise Speicherlaufwerke - im Rahmen ihrer Systeme als eigene Produkte vertrieben. Zur Kommunikation gehoert auch Ehrlichkeit. Warum sagt der Hersteller XYZ nicht, dass das Produkt A von U stammt, das Produkt B von V?

Es ist nicht einzusehen, warum man einen PC auseinandernehmen muss, um festzustellen, dass die Platine in Hongkong gefertigt wurde, waehrend das Laufwerk aus Taiwan stammt. Schliesslich hat das Berliner Kammergericht bereits 1929 in einem Urteil verkuendet, dass nur Fabrikanten im Wirtschaftsbezirk Frankfurt das Recht haetten, ihre Erzeugnisse "Frankfurter Wuerstchen" zu nennen. Was den Wuerstchen recht ist, sollte den Computern billig sein.

Wichtiges Kaufargument

Apropos Taiwan. Am 23. August 1887 verabschiedete das englische Parlament die Vorschrift, dass deutsche Importwaren die Bezeichnung "Made in Germany" tragen muessten. Dieser Versuch, unliebsame Konkurrenz auszuschalten, erwies sich als gravierender Fehlschlag: Das "Made in Germany" wurde schon bald zu einem umsatz- und werbetraechtigen Qualitaetssymbol. Daran sollten diejenigen denken, die heute gerne den Konkurrenzdruck aus Fernost durch eine Art "Lex Taiwan" beseitigen moechten.

Die fuer manche Nahrungsmittelhersteller sehr laestigen Inhaltsangaben, auch zu saemtlichen Zusatzstoffen, wird im EG-Markt sicherlich - zumindest fuer deutsche Verbraucher - ein wichtiges Kaufargument sein. Bei Produkten der Informations- und Kommunikationstechnik gibt es bereits aehnliche Entwicklungen bezueglich der Recyclingfaehigkeit der verwendeten Materialien.

Sinnlose Papierflut

"Information ist ein Buergerrecht" lautete der Titel einer Broschuere, die der Bundesverband Druck im November 1992 verschickte, um darzulegen, dass der Umweltschutz nicht zu einer gesetzlichen Einschraenkung des Papierverbrauchs fuehren duerfe.

Doch nicht immer ist Papier ein Informationstraeger; zumindest dann nicht, wenn die Empfaenger damit ueberschuettet werden, was beispielsweise vor, waehrend und nach Messen geschieht.

Ein Extremfall war sicherlich die Systems 91, nach der viele Briefe wie der der Berliner Expertise GmbH in die Welt gingen: "In den Papierbergen im Muenchner Pressezentrum war es vermutlich auch fuer Sie schwierig, die Presseinformationen zu finden, die Sie gesucht haben. Wir uebersenden Ihnen deshalb unsere Pressemappe."

Fuer die Journalisten ist es nicht leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ein Beispiel: Die fiktive NIC (New Intelligence Corporation) verschickte zum Karneval 1993 eine Pressemitteilung an drei Redaktionen.

Die erste warf die Nachricht in den Papierkorb, da der Absender kein Anzeigenkunde war; die zweite Redaktion druckte den Text kommentarlos - vermutlich ungelesen - ab; die dritte brachte zwar nicht die Mitteilung, aber einen Kommentar, in dem sie ueber die moeglichen Auswirkungen des angeblichen neuen Produktes spekulierte.

Enthaelt eine Pressemitteilung korrekte Informationen, muss der Redakteur immer noch klaeren, ob diese fuer die Leser interessant sind. Wenn beispielsweise der VSI (Verband der Software-Industrie) in einem mehrseitigen Manuskript mitteilt, dass "Neues Softwarerecht trotz fehlender Umsetzung in deutsches Recht in Kraft" sei, so mag das Juristen und Softwarehaeuser tangieren, aber wohl kaum den PC-Normalverbraucher,

der in der Regel auf ehrliche Weise seine Software erwirbt; es sei denn, das Produkt ist im Vergleich zu den USA-Preisen so ueberteuert, dass er nach einer preiswerteren Bezugsquelle sucht.

Noch juristischer kommt eine Pressemitteilung daher, die unter der Ueberschrift "Die Berthold AG kaempft weiter fuer die Erhaltung des Kulturgutes Schrift!" Gerichtsurteile woertlich zitiert. Sicherlich ist es das gute Recht jedes Anbieters, seine Interessen zu vertreten - ob geschuetzte Schriften als Kulturgut zu betrachten sind, sei dahingestellt. Doch allmaehlich entsteht der Eindruck, dass viele Pressemeldungen mehr der Propaganda gegen andere Unternehmen dienen. Da wird um das Urheberrecht an Fonts gekaempft, die sich inzwischen jeder Anwender selbst erstellen kann, oder um das an Oberflaechen, die viele PC-Benutzer sowieso modifizieren. Ein Glueck nur, dass zum Beispiel das Landgericht Nuernberg-Fuerth 1991 im Prozess Microdat kontra Datev das Recht auf die Nachahmungsfreiheit einer Benutzeroberflaeche verteidigte, denn sonst koennten sogar gewoehnliche PC-Benutzer in die Schusslinie geraten.

Letzteres kann auch Journalisten und Redakteuren passieren. Damit diese keinen Unfug veroeffentlichen, gibt es naemlich das Recht auf Gegendarstellung. Jeder Widerspruch eines im Artikel Genannten muss abgedruckt werden, auch wenn er offensichtlich unwahr ist. Vielleicht nehmen deshalb viele Unternehmen dieses Recht nicht in Anspruch, wenn nicht alle Fakten in der Veroeffentlichung stimmen (was in der Regel daran liegt, dass die Anbieter nicht in der Lage sind, sich klar und unmissverstaendlich auszudruecken). Ungewoehnlich hingegen ist, dass ein grosses Software-Unternehmen eine Gegendarstellung nicht etwa an die betreffende Publikation, sondern direkt an Journalisten verschickte, und das mit einem Begleitbrief, dessen Inhalt fast bedrohlich wirkte.

Artikel 5 des Grundgesetzes ("Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu aeussern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugaenglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Eine Zensur findet nicht statt.") gilt selbstverstaendlich auch fuer Anbieter. Damit sind auch sprachliche Rundumschlaege gedeckt. Aber ist das noch Kommunikation mit Anwendern und Informationsvermittlern?

Zwischen Wahrheit und Meinungsfreiheit

Das Recht auf freie Meinungsaeusserung hat natuerlich auch seine Nachteile. Vor allem in der Werbung; schliesslich hat schon vor langer Zeit ein Gericht sinngemaess gesagt, dass die Waschmittelwerber uebertreiben duerften, weil jeder Verbraucher wisse, dass ihre Anpreisungen nicht ganz woertlich zu nehmen seien. Uebertreibende Werbung findet man aber auch in der Informations- und Kommunikationstechnik. Erst in letzter Zeit hat das Stuttgarter Landgericht einigen Softwarehaeusern - zum Beispiel Computer Associates - wegen ihrer Werbeaussagen mit einstweiligen Verfuegungen auf die Finger geklopft.

Werbliche Passagen finden sich in vielen Pressemitteilungen. Werbung gehoert zur Kommunikation zwischen Anbieter und Anwender. Alwin Muenchmeyer definierte schon vor laengerer Zeit: "Wenn ein junger Mann einem jungen Maedchen sagt, was fuer ein grossartiger Kerl er sei, so ist das Reklame. Wenn er ihr sagt, wie reizend sie aussieht, dann ist das Werbung. Aber wenn das Maedchen sich fuer ihn entscheidet, weil es von anderen gehoert hat, was fuer ein feiner Kerl er waere, dann ist das Public Relations." Hier ist in jedem Satz von Kommunikation die Rede.

Wenn aber die Medien und Journalisten Kommunikationsmittler sind, so muessten eigentlich sie den Unternehmen, die die Grenzen ueberschreiten, in den Arm fallen. Freilich sollte niemand, der sich fuer intelligent haelt, etwas behaupten, was er nicht auch beweisen kann. Journalisten tun das aber staendig. Das ist speziell im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik auch gar nicht anders moeglich, denn kein Journalist kann zum Beispiel regelmaessig testen, ob die Leistungsangaben zu einem Computer auch stimmen oder ob die Software das haelt, was der Entwickler verspricht.

Andererseits weiss jeder intelligente Journalist, dass viele Informationen, die er von den Herstellern und Anbietern erhaelt, vermutlich nicht ganz zutreffen oder zumindest uebertrieben sind.

Vaporware in der Softwarebranche

Was ist da zu tun? Man sollte bei der Berichterstattung deutlich machen, dass die Informationen von einem Anbieter stammen. Natuerlich muss deshalb nicht jeder Satz mit "Wie der Anbieter behauptet" beginnen, aber irgendwie laesst sich schon einflechten, dass es sich um uebernommene Angaben handelt.

Alfred Polgar hat einmal gesagt: "Die Presse hat auch die Aufgabe, das Gras zu maehen, das ueber etwas zu wachsen droht." Journalisten sollten Anbieter daran erinnern, dass ihre Versprechung fuer morgen bald der Schnee von gestern sein wird. Was mit Schnee gemeint ist? Zum Beispiel lange angekuendigte Produkte, die nie auf den Markt kommen und in der Softwarebranche mittlerweile als Vaporware (Dampf-Ware) bezeichnet werden.

CD-ROM als neuer Trend

Nur selten befinden sich Pressemitteilungen auf Disketten. Nun haben diese Speichermedien den Vorteil, dass man sie nach Gebrauch wiederverwenden kann. Anders sieht das bei einem Medium aus, das neuerdings favorisiert wird: bei der CD-ROM.

Bei Katalogen - seien es der Pointer von Microsoft oder die ISIS- Softwarekataloge von Nomina - ist das noch akzeptabel, auch wenn sie nur ein halbes Jahr lang aktuell sind. Aber wenn das Beispiel von Apple

Schule macht, den Informationsdienst Applelink viermal im Jahr auf CD-ROM zu verteilen, entsteht bald ein neues Entsorgungsproblem. (Wie werden eigentlich CD-ROMs recycelt?) Nun sind CD-ROMs fuer die Weitergabe von Programmen und Bildern gut geeignet, inzwischen gibt es sogar den ersten interaktiven computerisierten Comic auf CD-ROM, aber Information beziehungsweise Kommunikation - ob auf Papier oder einem anderen Medium - bedarf mehr als nur bunter Bilder.

Frueher hatten die Werbetexter eine Leitformel, nach der sie ihre Texte aufbauten und gestalteten. Sie heisst Aida, hat aber nichts mit der Oper oder dem 1985 gestarteten Esprit-Projekt Aida (Advanced Integrated Circuit Design Aids) zu tun, sondern ist ein Akronym aus Attention, Interest, Desire, Action.

Wenn diese Formel auch auf Pressemitteilungen angewendet wuerde, so wuerde mindestens die Haelfte der Mitteilungen entfallen, waehrend die andere Haelfte wirklich der Kommunikation dienen wuerde.

Aber damit ist wohl nicht zu rechnen. So bleibt es weiterhin die Aufgabe der Journalisten, aus den Pressemitteilungen die Informationen (falls vorhanden) auszufiltern und so umzusetzen, dass mit Hilfe der Medien eine Kommunikation zwischen Anbietern und Anwendern stattfinden kann. Die Presseleute fungieren dabei als Uebersetzer und Interpreten, denn welcher normale Anwender versteht schon die Sprache der Anbieter?

*Fritz Schmidhaeusler ist freier Fachjournalist in Moenchengladbach.