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Plant Pentagon Monster-Datenbank zur Überwachung der US-Bürger?

22.05.2003

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Technisch scheint es momentan kaum machbar zu sein. Trotzdem ist vorhersehbar, dass sich mittelfristig verwirklichen lassen wird, was in der Defense Advanced Projects Research Agency (Darpa) des US-Verteidigungsministeriums gerade ausgedacht wird - und alles bisher für möglich Gehaltene an Überwachungsphantasmagorien bei weitem übersteigt: "Lifelog" ist ein Datenbankprojekt, das so gut wie jede Regung, jede Bewegung, alle Interessen, alle Aufenthaltsorte, alle Vorlieben, Krankheiten, alle Kommunikation - so gut wie jede Lebensregung eines Menschen zu erfassen, katalogisieren, einzustufen, zu analysieren und natürlich zu speichern trachtet. Mit anderen Worten: Der Albtraum jedes Datenschützers.

Wie der Name schon andeutet, scheint sich das Pentagon mit dem Vorsatz zu tragen, eine Datenbank zu entwickeln, die einen Menschen mit all seinen Lebensspuren lückenlos erfasst. Solch eine Datenbank würde nicht nur alles bisher Machbare in der digitalen Datenspeicherung weit übertreffen und riesige technische Anforderungen stellen. Es würde der umfassenden Überwachung aller Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika Tür und Tor öffnen.

Bislang existiert die Monster-Datenbank nur als Planspiel. Geht es nach den Vordenkern im Pentagon, soll Lifelog über jeden einzelnen Bürger jede nur erdenkliche Information sammeln und speichern: Welche E-Mails hat er empfangen und gesendet, welche Fotos aufgenommen, welche Web-Seiten angesteuert, was für TV-Sendungen gesehen? Auch jeder einzelne Telefonanruf würde nach den Phantasien der Mannen aus dem Verteidigungsministerium festgehalten, zudem jede Zeitung, jede Zeitschrift, jedes Magazin, das jemand liest. Damit nicht genug, wollen die Sammler auch gern festhalten, wo sich ein Mensch überall aufghehalten hat. Diese Informationen könnte etwa ein GPS-Transmitter (Global Positioning System) liefern. Auch könnte man, so die Überlegungen, gleich mittels audiovisueller Sensoren festhalten, was ein Mensch so alles sagt und was er sieht. Ein Bio-Monitor würde schließlich auch noch festhalten, wie es um die gesundheitliche Konstitution bestellt ist.

Pure Phantasie? Nicht ganz. In Teilen gibt es das schon. Steve Mann, Professor an der Universität von Toronto, zeichnet seit den 70er Jahren kontinuierlich sein Leben mit einer am Körper getragenen Kamera und Sensoren auf. Der selbsternannte "Cyborg" nennt dieses Experiment "existenzielle Technologie" und "die Metaphysik des freien Willens". Bislang konnte er schon 20 bis 30 Mitmenschen überzeugen, es ihm gleichzutun.

Gordon Bell, einer der Pioniere der IT und des Mini-Computers und jetziger Mitarbeiter bei Microsoft, scannt alle seine Briefe ein, nimmt seine Unterhaltungen auf, speichert jede Website, auf die er jemals surfte, und jede E-Mail, die er verschickt und empfangen hat in einer elektronischen "Lagerhalle", die er MyLifeBits nennt.

Warum aber will Darpa jeden US-Bürger sezieren und in Milliardenfachen Bits speichern? Darpa-Sprecherin Jan Walker gab ein Beispiel: Die Technologie würde es möglich machen, für Soldaten einen virtuellen Kompagnon zu kreieren, der dem Menschen zur Seite stehen kann, weil er die gesamte Vergangenheit dieses Wesens gespeichert hätte und genau wüsste, wie sich ein Mensch in bestimmten Situationen verhalten hat. Außerdem könnten Militärs mit dieser Technologie sehr ausgefeilte computerisierte Trainingssysteme entwerfen, weil diese Systeme wüssten, wie ein Proband beispielsweise lernt und wie er auf das System reagiert. Dieses wiederum könnte sich im Flug auf den Menschen einstellen.

Bürgerrechtler wie John Pike von der GlobalSecurity.org sagen zu den Erklärungen von Darpa-Frau Walker, sie seien "nur schwer zu verstehen." Das Lifelog-Projekt sei ein Auswuchs des in den USA bereits betriebenen Programms "Total Information Awareness" (TIA). TIA ist ein anderes Darpa-Projekt, das nach dem 11. September 2001 ins Leben gerufen wurde, um in den USA potenzielle Terroristen aufzuspüren.

Bislang existiert Lifelog nur in den Köpfen einiger Spezialisten im Pentagon. Allerdings hat Darpa begonnen, die Industrie und Wissenschaftler zu bitten, mögliche Forschungsvorhaben im Zusammenhang mit Lifelog zu präsentieren. Diese sollen auf 18 und maximal 24 Monate Laufzeit angelegt sein. Unklar ist noch, wieviel Geld Darpa für diese Forschungsvorhaben bereit ist zu investieren. (jm)