COMPUTERWOCHE-Kongress verbreitet gedämpften Optimismus

"Party vorbei, Kater ausgeschlafen"

19.10.2001
MÜNCHEN - Die Dotcom-Blase ist geplatzt, die E-Business-Euphorie verflogen. Was bedeutet das für Anbieter und Anwender von Informationstechnik? Mit dieser Frage beschäftigte sich der diesjährige COMPUTERWOCHE-Kongress "IT meets Business" - und deutete die Antwort bereits in seinem Untertitel an: "E-Business, Phase zwei".

"Während eines Tornados können Schweine fliegen. Aber der Tornado ist vorbei." Mit diesem Bonmot fasste Bernd Fussy, Geschäftsführungsmitglied des Softwareanbieters Crystal Decisions, den Hype und die darauf folgende Ernüchterung zusammen. Die Rückkehr zur Normalität thematisierte auch Peter Hermann, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters EDS. Dass Geschäftsmodelle sich nicht als tragfähig erweisen, sei keineswegs außergewöhnlich. Erstaunlich sei vielmehr die Annahme, allein durch das Schlagwort Internet lasse sich das Geschäft ankurbeln. "Mars verkauft ja auch nicht mehr Riegel, nur weil Schokolade drin ist."

Dennoch förderte die Podiumsdiskussion mit Topmanagern der IT-Industrie tief sitzende Befürchtungen zutage. Microsoft-Deutschland-Chef Kurt Sibold formulierte sie: "Auch unsere Kunden haben eine Krise. Und bevor sie Leute entlassen, reden sie lieber mit dem CIO, ob sie nicht die IT-Ausgaben um ein halbes Jahr verschieben können."

Das bedeutet aber nicht unbedingt den Abschied von allen E-Business-Projekten. Fussy ist überzeugt: "Die mittel- bis langfristigen Pläne der Kunden werden eingehalten." Helmut Schulte-Croonenberg, Vice President beim Consulting-Unternehmen A.T. Kearney, prognostizierte jedoch langfristige Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten: "Der Kunde wird künftig kritischer mit Technologie- und Beratungsversprechen umgehen." Alles, was mit mehr Komfort und Nice-to-have zu tun habe, werde derzeit nicht gekauft. Die Anwender forderten "Hard Savings" - am besten innerhalb von sechs Monaten. Deshalb werde künftig der wirtschaftliche Erfolg der Anbieter stark davon abhängen, inwieweit sie ihre Versprechen einlösten.

Vorsicht: Substanzverlust drohtAngesichts der wählerisch gewordenen Klientel demonstrierte Heribert Schmitz, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Hewlett-Packard, eine für die erfolgsverwöhnte Branche ungewöhnliche Bescheidenheit: "Ich bitte die Kunden, uns in Zukunft verstärkt an dem Mehrwert zu messen, den wir ihnen vermitteln."

Allerdings warnte Schulte-Croonenberg die Anwender davor, nur IT-Projekte mit schnellem Return on Investment aufzulegen: "Man braucht nicht nur Produktivitätsverbesserung, sondern auch Innovation. Sonst handelt es sich nicht um eine Sparmaßnahme, sondern um einen Angriff auf die Substanz."

Eine Reihe von Anwenderpräsentationen belegte, dass die Botschaft angekommen ist. Olaf Koch, Vice President Corporate E-Business der Daimler-Chrysler AG, begann seinen Vortrag mit einer Frage, die bis dahin unausgesprochen über dem gesamten Kongress geschwebt hatte: "E-Business wurde zu einem Großteil durch den Kapitalmarkt in die Unternehmen getragen. Ist der Kapitalmarkt auch in der Lage, das E-Business zu beenden?"

Für seinen Arbeitgeber beantwortete Koch diese Frage mit "nein". Dafür, dass Daimler-Chrysler mit der "DCX.net"-Initiative die Vernetzung des Gesamtunternehmens fortführt, nannte Koch eine Reihe von Beispielen - darunter ein Multichannel-fähiges und personalisierbares Kundenportal, das der weltgrößte Automobilhersteller gemeinsam mit T-Online aufbaut.

Auch die Deutsche Bank treibt ihre "E-Transformation" unbeirrt weiter, so Martin Setzer, Head of Corporate IT Office. Für die Informationstechnik ergäben sich daraus zwei Wirkungsrichtungen. Zum einen übe der Markt größeren Einfluss auf die IT aus, zum anderen müsse die IT als "Business-Enabler" selbst geschäftsrelevante Veränderungen vorantreiben.

Mit dem Thema Customer-Relationship-Management (CRM) beschäftigte sich Kai Zercher, Mitglied der Geschäftsleitung von Bertelsmann Media Systems. Als Beispiel für ein gelungenes Vorhaben beschrieb er das Projekt "Common Club Information Technology" (CCIT) des Bertelsmann-Buchclubs.

Dem Thema Wissens-Management widmete sich Günter Köster, CIO der Dynamit Nobel AG. Er entwarf eine "digitale Wertschöpfungskette", die vom E-Procurement über Supply-Chain- Management, Enterprise Resource Planning und CRM bis zum E-Commerce reicht. Unterstützt werde sie von einem prozessorientierten Wissens-Management. Diese "Kulturrevolution" müsse auch die IT selbst erfassen. Köster schlug vor, Kompetenzzentren zu einer virtuellen IT-Organisation zu vernetzen.

Bodenhaftung stellte Werner-Jürgen Schmitt, CIO des vor der Übernahme stehenden Wälzlagerproduzenten FAG Kugelfischer, unter Beweis: "Wenn das ERP-System nicht sauber funktioniert, brauchen wir über eine Öffnung der Unternehmens-IT nicht zu diskutieren", lautet sein Credo. Als die wichtigste Aufgabe des CIO sieht Schmitt die "Harmonisierung, Integration und Standardisierung von Hard- und Softwareplattformen sowie deren Weiterentwicklung". Die fortschreitende Integration unternehmensübergreifender Prozessketten stelle jedoch zusätzliche Anforderungen an den Chefinformatiker: Er spiele die Rolle eines Mittlers zwischen Geschäft und IT.

Den theoretischen Überbau für die Anwendererfahrungen lieferte Michael Earl, stellvertretender Leiter der London Business School. Das oft postulierte "Alignment" von IT und Business sei "altmodisch", weil es nur eine Richtung - vom Geschäft zur IT - beschreibe. Die Frage müsse heißen: "Wie kann IT die Geschäftsstrategie verändern?"

Nach dem E-Business-Hype regiere in vielen Chefetagen die Frustration. Earl zitierte die Klagen der Geschäftsführer: Sie hätten ihren IT-Leuten blind geglaubt, seien dabei "in eine Falle getappt", hätten Geld zum Fenster hinausgeworfen und müssten deshalb jetzt "zurück zu den Wurzeln" - und die Budgets kürzen. Diese Haltung sei gefährlich, warnte der Wirtschaftswissenschaftler. Der heute erlebte Wettbewerbsdruck dürfe die Entscheider nicht dazu verleiten, das Morgen aus den Augen zu verlieren.

Mit Spott überschüttete Lothar Späth, Vorstandsvorsitzender der Jenoptik AG, die geläuterten Dotcom-Enthusiasten: "Die Revolution findet nicht statt. Jetzt fällt vielen Leuten ein, dass sie eigentlich gar nicht teilnehmen wollten." Der Forderung nach einem staatlichen Eingreifen erteilte der ehemalige Spitzenpolitiker eine Abfuhr: "Das ist typisch deutsch: Raus aus dem Casino - rein in die Planwirtschaft."

Mit Bezug auf die Anwenderunternehmen vertrat Späth die Ansicht, dass die ausgefallene Revolution keineswegs das Ende des E-Business bedeute: "Die Grundlagen sind noch da, nur die Einschätzungen haben sich verändert." Früher seien die IT-Budgets erhöht worden, um Aufbruchsstimmung zu dokumentieren. Heute werde wieder zäh um Projekte gerungen. Späths Fazit: "Die Party ist vorbei, der Kater ausgeschlafen, jetzt wird gearbeitet."

Karin Quackkquack@computerwoche.de

Der "Brückenschlag"Auch in diesem Jahr bot die COMPUTERWOCHE-Konferenz den 360 Teilnehmern die Möglichkeit, in kleinen Diskussionsrunden die Brücke zwischen IT und Business zu schlagen. Auf die Frage: "Ist die Bewertung des E-Business richtig gewesen?" kamen Antworten wie:

- Der Hype hat die Technologie überholt.

- Viele Unternehmen haben sich das Geld von der Bank geholt statt vom Kunden.

- Profitiert haben nur die Banken. Wirtschaftsprüfer und Analysten haben total versagt.

- In der Vergangenheit hat man sich zu wenig um die Backend-Prozesse gekümmert.

Daneben gab es aber auch Ermutigendes zu hören:

- E-Commerce ist nur die Spitze des Eisbergs. Es geht weiter.

- Jetzt rückt die Wirtschaftlichkeit in den Fokus.

- Dass die Finanzierung durch Werbung nicht funktioniert, stellt das Web nicht in Frage.

Ein Thema war auch die Rolle des CIO. Dazu meinten die einen:

- Die IT ist nur ausführendes Organ und der CIO der klassische IT-Chef.

- Es gibt immer noch die Lochkartenpäpste.

Andere forderten:

- Der CIO braucht Ergebnisverantwortung. Er muss als Unternehmer agieren.

- Die Funktion Chief Information Officer und Chief Process Officer gehören in eine Hand.

Eine weitere Diskussionsrunde stand unter dem Thema Kreativität und Change-Management. Nur wenige Teilnehmer wollten der IT dabei eine herausragende Rolle zubilligen. Sie meinten:

- Die IT sollte das tun, was die Business-Verantwortlichen vorgeben.

Oder sie konstatierten:

- Wir brauchen keine Kreativität, wir setzen Standardsoftware ein.

Einer hingegen klagte:

- Gute Ideen verkaufen zu können ist selten in der IT, aber eine gefragte Qualifikation.

Das Thema Outsourcing erregte ebenfalls die Gemüter. Einige Diskutanten standen ihm grundsätzlich positiv gegenüber:

- Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der es noch IT-Abteilungen gibt.

Andere urteilten eher skeptisch:

- Die Unternehmen sollten niemals Kernkompetenz auslagern.

- Viele möchten schon outsourcen. Aber die Partner sind nicht kompetent genug.

- Es gibt große Informationsdefizite auf beiden Seiten. Der Nutzen ist nicht klar definiert.

- Man sollte meinen, es sei billiger, 10000 PCs zu betreiben als zehnmal 1000, aber es lässt sich nicht nachweisen.

- Was bleibt, sind die Juristen.

Eher schlecht kam der Themenkomplex "Collaborative Commerce" weg. Die Diskussionsteilnehmer äußerten Ansichten wie:

- Das funktioniert nur bei einfach strukturierten Produkten.

- Es gibt keine Geschäftsmodelle dafür.

- Bislang erschöpft sich Collaborative Commerce darin, dass ein Automobilhändler einen befreundeten Reifenhändler empfiehlt.

- Das größte Problem ist, die Ressentiments gegen die Transparenz zu beseitigen.

Immerhin konnten sich die Gesprächspartner darauf einigen, dass das Thema keineswegs eine "Marketing-Eintagsfliege" sei. Es habe vielmehr die Eigenschaften einer "Schildkröte": Es bewege sich langsam und habe noch ein langes Leben vor sich.