Ost-Unternehmen: Aufwaerts durch Mitarbeiterbeteiligung

01.10.1993

Den Gewerkschaften sind Investivlohn- und Mitarbeiter- Erfolgsbeiteiligungs-Modelle sowie Belegschaftsaktien ein Dorn im Auge.Aber gerade in Ostdeutschland geht kleinen Unternehmen und Firmen-Neugruendungen - nicht zuletzt durch die Gewerkschaftsforderungen - langsam, aber sicher die Luft aus. Eine Statistik des Freistaates Sachsen legt offen, dass eine Steigerung der Loehne und Gehaelter um sechs Prozent 20 Prozent mehr Firmenpleiten bedeutet. Mitarbeiterbeteiligungen im tariffreien Raum koennen hier durchaus erfolreich sein, wie das Bespiel des thueringischen Senkrechtstarters ER&P (Ebeling, Rossner & Partner GmbH) zeigt.

Wenn Monika Schubert am Monatsende ihre Gehalts-ueberweisung bekommt, schluckt sie jedesmal. Die 33jaehrige Unternehmens- und Organisationsberaterin (zwei Kinder) erhaelt ein auf 60 Prozent reduziertes Fixgehalt von 2500 Mark - ein Vielfaches weniger als Kolleginnen in vergleichbarer Position in Westdeutschland. Trotzdem ist die Jenenserin zufrieden.

Die Beschraenkung des Gehaltes ist, wie bei ihren Firmenkollegen, freiwillig. Erst wenn das Unternehmen sein Quartalssoll erfuellt, kommt sie in den Genuss des zu 40 Prozent variabel gestalteten Endgehaltes.

Die Zielvorgaben sind zwar hoch gesteckt, aber man koenne sie erreichen. Schubert: "Dann liege ich bei knapp ueber 4000 Mark im Monat. Mein Mann, um einen Vergleich zu geben, arbeitet in einer anderen Firma; als Diplomingenieur und Informatiker verdient er im Monat 3900 Mark brutto." Waehrend ihr Ehegatte aber lediglich den Status eines Angestellten innehat, ist Monika Schubert Mitgesellschafterin des Unternehmens. "Ich bin von unserem Modell voll ueberzeugt. Weil ich fuer mich, also fuer mein Unternehmen, arbeite, nehme ich momentan gerne Gehaltsabstriche in Kauf."

Monika Schubert ist Mitarbeiterin eines kleinen, aber erfolgreichen Unternehmens in Jena, das sich einem Mitarbeiterbeteiligungs-Modell verschrieben hat und sich so selber finanziert. Die Firma gilt bei Eingeweihten laengst als Beispiel, dass die von den Gewerkschaften abgelehnten Investivlohn- oder Erfolgsbeteiligungs-Modelle funktionieren koennen.

Waehrend Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Bluem sowie Wirtschaftsminister Guenter Rexrodt diese Modelle als Chance fuer die Wirtschaft sowie zur Erhaltung von Arbeitsplaetzen offiziell unterstuetzen, "uebt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbaende bei diesem Thema Zurueckhaltung," wie es eine Sprecherin vornehm ausdrueckte.

Die Gewerkschaften, die inzwischen immerhin verbilligte Belegschaftsaktien (laut Deutschem Aktieninstitut, Duesseldorf, sind zur Zeit rund 1,55 Millionen Mitarbeiter Inhaber) tolerieren, lehnen investive Mitarbeiterbeteiligungen weiterhin als Bereicherung an den Beschaeftigten ab. Sie befuerchten eine - sicherlich nicht immer auszuschliessende - gefaehrliche Verquickung von Arbeitslohn- und Arbeitsplatz-Risiko.

Dagmar Opoczynski, Pressesprecherin der IG Metall in Frankfurt am Main: "Wir sehen nicht ein, dass der Arbeitnehmer das Risiko fuer ein Unternehmen uebernehmen soll und seinen Arbeitsplatz verliert, wenn die Firma bei den Banken nicht kreditwuerdig ist." Statt dessen plaediert man fuer Haerteklauseln und befristete Lohnstundungen. Doch die helfen in der Regel kaum einem Unternehmen mit einer momentan schwachen Finanzdecke.

Auch bei ER&P in Jena wurde die Idee zum Mitarbeiter- Darlehensmodell aus der Not geboren. Im Herbst 1990, als sich abzeichnete, dass das Kombinat Zeiss-Jena Mitarbeiter abbauen musste, entschieden sich 34 Beschaeftigte der Abteilung Informatik und Organisation fuer die Selbstaendigkeit. Am 3. Oktober 1990, just zum Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten, gruendete sich in Jena das Systemhaus Ebeling, Rossner & Partner GmbH (ER&P).

Erfolgloser Versuch

der Fremdfinanzierung

Heinz Ebeling (38), Ex-Fachdirektor Informatik und Organisation bei Zeiss-Jena und heute geschaeftsfuehrender Gesellschafter bei ER&P: "Wir hatten Tage und Naechte vorher ueber Risiken und Chancen diskutiert, auch ueber Finanzierungsmoeglichkeiten usw. Doch wir sind schnell dahintergekommen, dass wir auf uns selbst gestellt sind." Bankkredite waren zu teuer, ausserdem konnte keiner der Beteiligten genuegend Sicherheiten bieten.

Ein Existenzgruendungs-Darlehen scheiterte bereits am Papierkrieg. Das Anklopfen bei einem westdeutschen Risiko-Kapitalgeber wurde sofort eingestellt, als dieser ein ellenlanges Fax mit Forderungen und Bestimmungen verschickte. Ebeling: "Wir wollten nicht von einer Abhaengigkeit in die andere fallen. So kratzten wir alles Geld zusammen, das wir hatten, finanzierten uns selbst und etablierten uns - bei freiwilliger Selbstbeschraenkung im Gehaltsniveau - am Markt. Dabei stand fest, dass wir uns weder Tarifen noch Parolen unterordnen konnten und wollten."

So wurde das Mitarbeiter-Beteiligungsmodell geboren. Jeder der 34 Gruender legte mindestens 2500 Mark in die GmbH ein, die groesste Einlage in Hoehe von 10 000 Mark kam von einem Nichtmitarbeiter. Damit wies das Unternehmen beim Start bereits ein Stammkapital von 200 000 Mark aus. Das ER&P-Gehaltsmodell sieht bis etwa 1995/97 fuer jeden Mitarbeiter ein 60prozentiges Fixgehalt plus einem 40prozentigen variablen Einkommen bei Erfuellung des Quartalsolls vor. Danach, so einigte man sich, sollte Westniveau erreicht sein. Ebeling: "Wir sind stolz auf unsere Firma, und jeder ist hochmotiviert. Ich glaube, dass viele Gewerkschaften falsch liegen: Sie erstreiken Wahnsinnsgehaelter, an denen die Unternehmen dann kaputtgehen."

Bei ER&P wurde bis 1995 festgeschrieben, vom Gewinn nach Steuern jaehrlich mindestens 50 Prozent zu reinvestieren. Im uebrigen entscheiden die Mitarbeiter gemeinsam von Jahr zu Jahr: 1993 soll grundsaetzlich auf eine Gewinnausschuettung verzichtet werden, um den gesamten Gewinn fuer Investitionen zu nutzen. Dafuer hob man zum 1. Januar 1993 saemtliche Grundgehaelter um fuenf Prozent an, eine weitere Steigerung erfolgte vor kurzem. Ebeling: "Dadurch gleichen wir die Teuerungsrate aus."

Gleichzeitig fuehrten die thueringischen Mitarbeiter-Unternehmer eine 936-Mark-Beteiligung ein, die die Finanzdecke der Firma zusaetzlich staerkte. Beeindruckt von der hochmotivierten ER&P- Mannschaft und ihrem Firmenkonzept, hatte Bernhard Schwetzler, Dozent am Lehrstuhl fuer Investition, Finanzierung und Banken an der Universitaet Regensburg, den Jungunternehmern zu diesem Steuerersparnis-Dreh geraten. Jeder Mitarbeiter ueberlaesst dem Unternehmen jaehrlich 936 Mark als zinsloses Darlehen. Diese Form der Unterstuetzung ist im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen fuer ArbeitnehmerSparvertraege moeglich. Bei einer Laufzeit von sechs Jahren profitieren davon beide Seiten: Der Arbeitnehmer erhaelt vom Gesetzgeber fuer die verbilligte Ueberlassung nach dem Vermoegensbildungsgesetz die hoechste Sparzulage von 20 Prozent sowie vom Arbeitgeber nach Paragraph 19 a des Einkommensteuergesetzes einen steuer- und sozialabgabenfreien Bonus von 500 Mark; ER&P verbleiben nach einem Steuerabzug vom Bonus 300 Mark plus 936 Mark, das ergibt eine Summe von 1236 Mark, die das Unternehmen sofort investieren kann - bei 34 Mitarbeitern im ersten Jahr sind das immerhin 42 024 Mark (siehe Tabelle und Interview: "Beteiligungsmodelle sind kein Rettungsanker"). Doch nun nagt Bundesfinanzminister Theo Waigel am 936-Mark-Gesetz. Denn das Arbeitnehmer-Vermoegensbildungsgesetz verursacht jaehrliche Steuerausfaelle in Milliardenhoehe. Nach Waigels Sparplaenen soll es deshalb 1994 dem Rotstift zum Opfer fallen.

Das Unternehmen begann Ende 1990 als Systemhaus mit Schwerpunkt auf Soft- und Hardwarekonzepten. Heute firmiert es europaweit als geachtete Gesellschaft fuer Organisation, Informations- und Netzwerktechnologie und Telekommunikation. Als Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen entwickeln die Mitarbeiter nicht nur Soft- und Hardwarekonzepte, sondern beraten jetzt auch andere Firmen und Institutionen unter anderem in Sachen Existenzgruendung und -sicherung, Management und Organisation - in West- und Osteuropa. Geschaeftsfuehrer Ebeling: "Wir waren uns einig, dass wir das aufgrund unserer Erfahrungen, unserer Kontakte und unseres Wissens um die Situation koennen. Doch es laesst sich nur durchfuehren, wenn jeder Mitarbeiter hochmotiviert ist und mit Stolz hinter der Firma steht."Ohne Mitarbeiterdarlehen und ohne Engagement waere dieser Start nicht realisierbar gewesen."

Welches Beteiligungsmodell ein Unternehmen waehlt, ist nach Ebeling fast unerheblich: "Es darf nur nicht sein, dass ein Unternehmer, der seine Firma heruntergewirtschaftet hat, nun auf Kosten der Mitarbeiter Geld in den maroden Betrieb bekommt - und ihn unter Umstaenden ein zweites Mal in den Ruin treibt. Wichtig ist ausserdem, dass dem Mitarbeiter eine Motivationsklammer geboten wird. Er muss von ´seiner´ Firma sprechen, nicht vom XY-Betrieb."

Darauf hat Ebeling von Anfang an gesetzt. Zum einen dient der Erfolg des Unternehmens, der das Engagement der Mitarbeiter dokumentiert, der Motivation.

Zum anderen sind es "kleine Schmankerl", wie bei ER&P 1991 eine verloste England-Reise nach einem Englisch-Crashkurs, oder 1992 der Aufbau einer Autoflotte, die auch privat genutzt werden kann.

Firma beteiligt sich

an Leasing-Autos

Voellig atypisch in der Geschaeftswelt bildete ER&P einen Autopool, indem das Unternehmen als Gross-Leasingnehmer auftrat. Jeder konnte sich seinen eigenen Wagen aussuchen, wobei die einzige Vorgabe war: Es musste ein Opel sein (Werk in Eisenach). Die Firma beteiligte sich mit 350 Mark pro Wagen, unabhaengig davon, wieviel PS und welche Ausstattung das Fahrzeug hatte. Ebeling: "20 Mitarbeiter haben das Angebot in Anspruch genommen. Wenn Sie so wollen, ist auch das eine Art Investivlohn und ein Entgegenkommen des Unternehmens."

Das Erfolgsrezept bei ER&P heisst Diskussion. Jede groessere Sache wird in der Art japanischer Management-Politik gemeinsam besprochen und entschieden. Bereits 1992 verzeichnete die Firma eine Umsatzsteigerung von 90 Prozent gegen-ueber dem Vorjahr, fuer 1993 ist ein weiterer 60prozentiger Zuwachs geplant. Die Liquiditaet des Unternehmens betrug bei der Bilanz zum Geschaeftsjahr 1992 eine Million bei einem Eigenkapital-Anteil von ueber 25 Prozent.

Inzwischen meldeten sich aus Westdeutschland auch schon Kaufinteressenten, deren Angebot bei 3,5 Millionen Mark lag. Theoretisch haette jeder Mitarbeiter also die Moeglichkeit gehabt, seine Einlage um das 15fache zu versilbern. Ebeling stolz: "Das haben wir gemeinsam abgelehnt. 1990 hatten wir einen Unternehmenswert von 200 000 Mark, heute betraegt unser Marktwert - nach unabhaengigen Schaetzern - bereits sechs Millionen Mark."

Von Klaus Lindlar

Der Autor ist freier Journalist in Muenchen.