Organisationsform wäre hierzulande durchaus technisch realisierbar, aber:Telearbeit stößt bei uns auf wenig Interesse

20.03.1987

Telearbeit setzt sich hierzulande nur zögernd durch. Obwohl in den USA und einigen europäischen Ländern bereits erfolgreiche Projekte laufen, stößt diese neue Arbeitsform in der Bundesrepublik noch weitgehend auf Desinteresse. Wolfgang J. Steinle von der sozialwissenschaftlichen Forschungsgesellschaft empirica in Bonn beschreibt, wie Telematik auch bei uns organisiert werden kann und wie groß das Interesse der Erwerbstätigen ist.

Durch den wachsenden Einsatz elektronischer Medien und Datenverarbeitungsanlagen sind eine Reihe von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen zu erwarten, deren Tragweite derzeit sicherlich noch nicht vollständig absehbar ist. Während das quantitative Ausmaß zu erwartender Veränderungen kurz - und mittelfristig oftmals bei weitem überschätzt wird, zeichnen sich in qualitativer Hinsicht Entwicklungstendenzen ab, deren weitreichende Folgen zur Zeit sicherlich unterschätzt werden. Diese Veränderungen betreffen die Arbeitsorganisation im gleichen Maße wie die Privatsphäre sowie das Zusammenspiel dieser Bereiche.

Dezentral ausgeübte elektronisch gestützte Tätigkeiten lassen sich in vielfältiger Art und Weise organisieren. Zunächst ist zu unterscheiden zwischen Tätigkeiten im engeren und im weiteren Sinn.

Bei dezentralen elektronischen Tätigkeiten im weiteren Sinn werden Arbeitsergebnisse auf Datenträgern gespeichert und mit der gelben Post übermittelt. Bei Telearbeit im engeren Sinn besteht eine Telekommunikationsverbindung (zum Beispiel Datenübertragungsdienste der Deutschen Bundespost), die sowohl zur Kommunikation zwischen Informationshersteller und - nutzer als auch zur Übertragung von Informationen benutzt wird. In beiden Fällen erfolgt eine Leistungserbringung überwiegend mit elektronischen Endgeräten.

Nachfolgend einige Beispiele wie die neue Arbeitsform Telematik aussehen kann:

Satellitenbüros:

Dies sind von Unternehmen ausgelagerte Zweigstellen, die über alle wesentlichen technischen Einrichtungen verfügen und in leicht erreichbarer Entfernung der Mitarbeiter -Wohnungen liegen.

Nachbarschaftsbüros:

Darunter versteht man Arbeitsstätten für Angestellte eines Stadtbezirks, die verschiedenen Unternehmungen angehören. Sie werden eingerichtet, um Pendelzeit und - kosten einzusparen. Ein weiterer Grund für ihre Schaffung sind beengte räumliche Verhältnisse, die der Beschäftigung von Arbeitskräften am Unternehmensstandort entgegenstehen oder die Ausnutzung niedriger Raumkosten gegenüber einem zentralen Standort.

Elektronische Dienstleistungsbüros:

Hierbei handelt es sich um selbständige Unternehmen, die entweder eine breite Palette von informationstechnisch - / computergestützten Angeboten (zum Beispiel Textverarbeitung, Datenverarbeitung, computergestützte Finanzbuchhaltung, Fakturierung, Lagerverwaltung) beziehungsweise sehr stark spezialisierte Angebote auf dem Markt anbieten.

Heimarbeit:

Informationstechnisch gestützte Arbeit zu Hause stellt eine extreme Form der organisatorischen und räumlichen Dezentralisierung dar. Ein solcher Arbeitsplatz bietet Beschäftigungsmöglichkeiten für Mitarbeiter, die aufgrund eingeschränkter Mobilität (Behinderung, Schwangerschaft, Umzug in weiter entfernt liegende Orte, Wunsch nach Teilzeitarbeit) nicht im Betrieb selbst tätig sein können oder wollen. Alle Arbeiten jedoch, die eine dichte, weniger standardisierte Kommunikation erfordern, werden allenfalls von gelegentlichen Heimarbeiten durchgeführt werden können.

Elektronisch gestützte "mobile Arbeit":

Bestimmte Tätigkeiten, die einen hohen Anteil von "mobiler Arbeit" beinhalten (Außendienstmitarbeiter, Vertreter, Mitarbeiter im Service - oder Vertretungsbüro), lassen sich sinnvoll elektronisch gestützt und dezentral ausführen. Diese Organisationsform dient unter anderem zur Wegeeinsparung und verbesserten Kommunikation zwischen Unternehmen und mobilen Betriebsangehörigen.

Technisch realisierbar ist all dies schon heute firmenintern oder - übergreifend. Die gerade angeführten Organisationsformen lassen sich grundsätzlich beliebig verknüpfen. Beispielsweise können elektronische Dienstleistungsbüros einen Teil ihrer Leistungen in Heimarbeit erbringen lassen. "Mobile Arbeitnehmer" können mit der Unternehmensseite von zu Hause oder von dezentralen Servicebüros aus interaktiv kommunizieren.

Nur Datenverarbeiter zeigen Interesse

Eine vollständige Akzeptanzmessung im Rahmen der Telematik ist derzeit nicht möglich. Sie würde voraussetzen, daß breite Kreise der Bevölkerung diesbezüglich informiert sind oder im Rahmen einer Erhebung entsprechend informiert werden. Ersteres kann nicht angenommen werden, letzteres ist zumindest bei einer Repräsentativerhebung nicht möglich.

Um dennoch repräsentative Anhaltspunkte zu Akzeptanzaspekten zu gewinnen, wurde eine Befragung bezüglich eines ausgewählten Einsatzbereichs - nämlich der elektronisch gestützten Heimarbeit - durchgeführt. Für diesen Bereich war es möglich, im Rahmen der Erhebung den Befragten relevante Informationen zu vermitteln und verwertbare Aussagen zu erzielen.

Das Interesse an informationstechnisch gestützten Heimarbeitsplätzen bei den Erwerbstätigen liegt bei durchschnittlich rund acht Prozent; dies entspricht in etwa zwei Millionen Erwerbstätigen.

Das Interesse ist bei den Erwerbstätigen, die schon heute an einem Arbeitsplatz tätig sind, der sich für arbeitsbezogene Anwendungen der Telematik eignet, mit 17 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. Die größere Vertrautheit mit technischen Geräten, geringere Schwellenangst vor der Arbeit mit Bildschirmgeräten, sind hierfür mitausschlaggebend. Neben Berührungsangst mit neuen Informations - und Kommunikationstechniken spielt aber auch fehlender persönlicher Kontakt eine wichtige Rolle als Grund für die Ablehnung eines entsprechenden Arbeitsplatzes. Dies spricht neben arbeitsrechtlichen und organisatorischen Gesichtspunkten gegen eine breite Einführung der elektronischen Heimarbeit.

Hohe Akzeptanz bei großen Betrieben

Insgesamt scheint die Adoption neuer Informations - und Kommunikationssysteme ein entscheidender Faktor zu sein, der die Einstellung zu DV - gestützten dezentralen Arbeitsformen bestimmt. Dies spiegelt sich auch in der Verteilung der Einstellung von Erwerbstätigen nach Berufsgruppen wider. Das größte Interesse ist bei den Erwerbstätigen aus dem Bereich der Datenverarbeitung vorzufinden (fast 50 Prozent) sowie bei Erwerbstätigen aus dem Ingenieurbereich. Das Interesse in Betrieben mit 1000 und mehr Beschäftigten ist fast doppelt so groß wie in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten. Dies läßt sich darauf zurückführen, daß größere Unternehmen in der Regel informationstechnisch weitaus intensiver ausgestattet sind als kleine, und von daher die Vertrautheit im Umgang mit der Bildschirmarbeit bei größeren Firmen in höherem Maß gegeben ist.