Organisation und Personal auf Technikwandel vorbereiten

15.05.1987

Professor Dr. Wolfgang H. Staehle, Direktor des Instituts für Unternehmensführung Freie Universität Berlin

Die immer schneller fortschreitende technisch-wissenschafliche Entwicklung führt zu einer Erweiterung, Erhöhung, Verschiebung oder Senkung der Arbeitsanforderungen.

In der Qualifikationsforschung wurde lange Zeit ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen einzelnen Stufen der Mechanisierung und Automatisierung der Arbeit und der Veränderung von Arbeitsqualifikationen unterstellt. Empirische Untersuchungen belegen indes, daß ein solcher "technologischer Determinimus" die Realität nicht adäquat beschreibt, sondern daß vielmehr Organisationsspielräume bestehen, die den Einfluß der Technologie relativieren.

In der Praxis werden solche Spielräume jedoch kaum genutzt - es werden konservative organisatorische Lösungen für innovative Technologien gewählt, was zwangsläufig zu Problemen und Konflikten führt. Die Unternehmungen sind weder personell noch organisatorisch auf den Wandel vorbereitet.

Ich vertrete deshalb die These, daß eine soziale beziehungsweise organisatorische Innovation einer technologischen Innovation vorausgehen muß. Dabei kann die Arbeitsstrukturierung selbst als Instrument der Organisations- und Personalentwicklung genutzt werden.

Arbeitsstrukturierung als Personalentwickungs-Instrument setzt primär an den Arbeitsinhalten und Handlungsspielräumen von Tätigkeiten an - Personalentwicklung on-the-job. Aber auch die Arbeitsbedingungen wie etwa die Arbeitszeit und das Arbeitsumfeld, beispielsweise Arbeitsraum sowie Arbeit in Gruppen, haben positiven - oder negativen - Einfluß auf die Personalentwicklung.

Jeder Arbeitsplatz ist zumindest ein Ort, wo Erfahrungen gesammelt werden können. Ob er auch als Lern- und Entwicklungsfeld zu betrachten ist, hängt sehr von dessen Ausgestaltung sowie der (Eingangs-)Qualifikation und Motivation des Arbeitsplatzinhabers ab.

Die qualifikations- und persönlichkeitsförderliche Gestaltung der Arbeit ist vor allem in, den 70er Jahren Gegenstand von Forschungsvorhaben zur Humanisierung der Arbeit (HdA) und zur Qualität des Arbeitslebens gewesen. Was damals primär unter dem Humanisierungsaspekt eher halbherzig vom Management toleriert wurde, ist heute unter dem Flexibilisierungs- und Qualifikationsaspekt eine zwingende Notwendigkeit geworden. Flexible Systeme der Fertigung und Montage erlauben es, den Mitarbeiter von starrer Technik, Taktzwang und Normarbeitszeit zu entkoppeln, und schaffen die Chance, häufig sogar die Notwendigkeit, für eigenverantwortliches, fachlich kompetentes Verhalten. Neue Informationstechnologien im Büro- und Verwaltungsbereich, zum Beispiel vernetzte Personal Computer, multifunktionale Terminals oder integrierte Bürosysteme, erlauben bei entsprechender Arbeitsorganisation eine verstärkte Aufgabenintegration und -automation.

Was die persönlichkeitsförderliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen anbetrifft, sind in jüngerer Zeit vor allem die Lage und Dauer der Arbeitszeit als weitere Gestaltungsparameter entdeckt worden. Aus Sicht der Personalentwicklung wäre es sinnvoll, die Arbeitszeit besonders den Anforderungen unterschiedlicher Karrierephasen anzupassen. Hierfür können die von der Praxis entwickelten variablen. Arbeitszeitmodelle genutzt werden, die vom gleitenden Einstieg in das Erwerbsleben über Teilzeitarbeit, Job Sharing, Bildungsurlaub, Sabaticals etc. bis zum gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben reichen. Bei der Nutzung dieser Modelle steht der Aspekt der Personalentwicklung allerdings heute noch völlig nachgeordnet hinter dem der Beschäftigungspolitik Stichwort Verringerung der Arbeitslosigkeit - und der betrieblichen Flexibilisierungspolitik. Dabei wäre es durchaus naheliegend, den durch Arbeitszeitverkürzung gewonnenen Spielraum nicht (nur) für Freizeit-, sondern verstärkt für Weiterbildungsaktivitäten zu nutzen. Oder den temporären Übergang von Vollzeit- zu Teilzeitbeschäftigung auch deshalb anzustreben, um Qualifikationsdefizite zu beseitigen, notwendige Bildungsabschlüsse nachzuholen.

Die Veränderung der Arbeitsanforderungen erfolgt zur Zeit wegen des unterschiedlichen Nutzungsgrades neuer Technologien in den Unternehmungen in einer höchst betriebsspezifischen Weise. Betriebliche Aus- und Weiterbildung aber werden zu einer zwingenden Notwendigkeit, da die passenden Qualifikationen vom externen Arbeitsmarkt ad hoc nicht zu bekommen sind.

Gegenüber dem Faktor Arbeit ist folglich von seiten des Managements ein Einstellungswandel erkennbar. Nicht zuletzt aufgrund der chronischen Knappheit hochqualifizierter Fachleute und der zentralen Bedeutung einer hochmotivierten Stammbelegschaft für den Unternehmenserfolg wird heute das Personal als Pool von Ressourcen angesehen, den es gezielt aufzubauen, pfleglich zu erhalten und anforderungsgerecht weiterzubilden gilt.